Es gab einmal eine Zeit, da konnte man keinen Spielplan aufschlagen, ohne dass einem ein Sommernachtstraum entgegensprang. Heute ist das Angebot deutlich übersichtlicher, vielleicht, weil im meistgespielten Stück des wahrscheinlich meistgespielten Autors überhaupt, alles gesagt zu sein scheint. Und so ist es durchaus auch als Statement zu interpretiereen, dass Andreas Kriegenburg seine zweite Spielzeit als Hausregisseur des Deutschen Theaters ausgerechnet mit diesem Stück eröffnet. Einem Stück, dessen letzte Inszenierung an diesem Haus der unvergessene Jürgen Gosch besorgt hatte, der sie letzten Jahre dieses Theaters wie kaum ein anderer geprägt hatte - ein Erbe, an dem auch Kriegenburg vergangenes Jahr durchaus zu tragen hatte.
Wenn die Saisoneröffnung ein Indiz für die kommende Spielzeit ist, kann sich das Berliner Publikum auf eine spannende Saiso freuen. Kriegenburg präsentiert eine so schwebende, atmosphärisch dichte, bildstarke, kurzweilige und abwechslungsreiche Inszenierung, dass man sich als Zuschauer überrascht daran erinnert, dass das Theater ja ursprünglich einmal primär der Unterhaltung dienste.
Eine Schlüsselrolle gehört dabei den Handwerkern, die hier zu Fensterputzern transformiert und mit Ausnahme des Zettel (Marquardt Müller-Elmau) mit Frauen besetzt werden. Vor allem Margit Bendokat, Barbara Schnitzler und Almut Zilcher erweisen sich als wahres komödiantisches "Dream Team". Die Handwerker putzen, den Glaskubus, den Kriegenburg als Treibhaus menschlicher Lüste und Liebesversuche auf die Bühne gestellt hat, sie packen ihre Pausenbrote aus und diskutieren Traumtheorien von Benjamin bis Freud. Die unaufdringliche ironische Leichtigkeit, mit der hier der theoretische Überbau für das zentrale Thema des Stücks, das fragile Spannungsverhaältnis von Traum und Realität, geliefert wird, setzt den Standard für den ganzen Abend.
Die Kernhandlung tritt dabei ins zweite Glied oder bleibt zumindest auf Augenhöhe mit der Handwerkergeschichte. Eine Relativierung, die ihr gut tut. Was bei anderen Regisseuren zu einem lauten Spektakel physischer wie psychischer Auseinandersetzung wird, ist bei Kriegenburg wunderlich tastend, zerbrechlich, suchend. Die "Liebenden" sind keine jugendlich enthusiastisch Liebenden, sondern mittelalte Verlorene. Kriegenburg schafft dafür grandiose Tableaus: Stehen sie anfangs noch einsam und ratlos inmitten einer Menge telefonierender Menschen, finden sie sich später in der gleichen Gesellschaft wieder. Nun irren sie ziel- und richtungslos umher und werden von den zielgerichtet im Kreis laufenden Handy-Jüngern über den Haufen gerannt.
So ziellos ihre Bewegungen, so inhaltslos ist ihr Lieben. Und so fehlt die große Agressivität und Leidenschaft, sie werden ersetzt durch eingeübte Mechanismen und Rituale, die selbst die sie einsetzenden "Helden" langweilen. Keine Wahrheit nirgends: Ob Demetrius Hermia liebt oder Helena, ob erstere von beiden Männern verstoßen wird oder letztere - es macht keinen Unterschied. Das eine ist so wenig wahrhaftig wie das andere. Oberon und Puck, gelangweilte Dandys und vielleicht die eigentlichen Regisseure des Abends, kreieren eine Versuchsanordnung, deren Ergebnisse sie mit ironischer Distanz beobachten. Wie der "Liebesreigen" ist auch das nur Zeitvertreib. Und so ist es auch egal, dass der Zauber am Ende nur von Lysander genommen wird, nicht von Demetrius. Ob verzaubert oder "real": So ist es ordentlicher, und einen wirklichen Unterschied macht es nicht.
Doch so zynisch und desillusioniert wie dies klingen mag, ist der Abend nicht. Dies liegt zum einen an der atmosphärisch starken und, ja, auch zauberhaften, magischen Atmosphäre, die Kriegenburg durch eine ausgeklügelte Mischung aus Bühnenbild, Licht- und Musikregie sowie Choreografie schaft. Zum anderen stellt Kriegenburg den Athenern die ebenfalls verzauberte Titania entgegen. Wo jene sich in abgestandenen Liebesschwüren ergehen, liebt diese mit einer Bedingungslosigkeit und Hingabe, in der vielleicht so etwas wie Wahrheit aufscheint. Auch hierfür gelingen Kriegenburg atemberaubende Bilder, die lange im Gedächtnis bleiben werden.
Und dann sind da natürlich noch die Handwerker, denen das letzte Wort gehört. Wenn sie am Ende endlich ihr Stück aufführen und dabei ein wahrhaftes Slapstick-Feuerwerk abbrennen, kommentieren und relativieren sie das Vorangegangene. Doch bei allem leeren Pathos und schlechten Reimen: Weniger Wahrheit als im Reigen wechselnder Liebesschwüre der Protagonisten offenbart sich hier auch nicht. Ganz im Gegenteil: In der Unbedingtheit, der naiven Begeisterung, mit der sie ihr dilletantisches Machwerk auf die Bühne bringen, scheint ein wenig von der wahren Leidenschaft auf, die man zuvor so vermisst hatte.
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