November 23, 2010

Roland Schimmelpfennig: Peggy Pickitt sieht das Gesicht Gottes , Deutsches Theater, Berlin (Regie: Martin Kušej)

Zwei Paare, um die Vierzig, gehobene Mittelklasse, gut situiert: Es ist sicher kein Zufall, dass man bei dieser Konstellation sofort an Yasmina Rezas Gott des Gemetzels denkt, zumal Annette Murschetz' weißer Lichtkubus vor schwarzem Bühnenhintergrund an Johannes Schütz' Bühnenbild für Jürgen Goschs Zürcher Reza-Inszenierung erinnert. Auch Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, ebenfalls in einer Gosch-Inszenierung mit ähnlicher Bühne seit Jahren ein Publikumsrenner an diesem Haus drängt sich auf. Schimmelpfennig, dessen beste Inszenierungen auf Goschs Konto gingen, wird sich der Ähnlichkeit bewusst sein, vielleicht ist der Vergleich sogar gewollt.

Doch er endet hier. Nicht, weil in dem Wiedersehen zweier befreundeter Paare nach sechs Jahren, in denen eines der Paare in Afrika Entwicklungshilfe geleistet hat, keine Konflikte auftreten, keine verdrängten Agressionen aufbrechen, keine Leichen aus den Schränken hervorquellen. Von alldem gibt es genug: Die Ehe der Daheimgebliebenen kriselt, das Afrika-Paar hat einander betrogen, ein aufgenommenens Mädchen wurde zurück- und dem wahrscheinlichen Tod überlassen, was ihnen die Hiergebliebenen auch vorwerfen, während diesen ihr Dableiben angelastet wird, jedem ist sein eigenes Handeln suspekt und vergrabene Ressentiment aller Beteiligter gegeneinander gibt es zuhauf.

Und trotzdem bleibt das Stück ebenso blass und blutleer wie Martin Kušejs Inszenierung. Zunächst zum Stück: Viel soll hier verhandelt werden, es geht um nichts weniger als die Schuld des Westens gegenüber Afrika, die neokolonialistische Selbstherrlichkeit, der Egoismus der Helfer, das Überlegenheitsgefühl - all das wird angesprochen und verpuft doch in erschreckend banalen Phrasen und Argumenten. Es bleibt bei der plumpen Karikatur, beim Kratzen an der Oberfläche, Tiefgründigkeit oder ernsthafte Auseinandersetzung sucht der Zuschauer vergebens.

Da hilft auch nicht, dass Schimmelpfenning eben nicht realistisch erzählt. Die Szenen werden von Kommentaren der Figuren durchbrochen, Sätze, Szenenfragmente werden wiederholt, zum Teil in unterschiedlicher Betonung, aus der anfänglich linearen Chronologie wird zunehmend eine Art Kreisbewegung. Da traut einer -zu Recht -seiner eigenen Geschichte nicht, schaft eine Distanz, wo ein Eindringen in die angekratzten Themen nötig wäre. Das ist "L'Art pour l'art" und weniger enthüllend als ablenkend.

Kušej verschlimmert die Sache noch: Anstatt Schimmelpfennigs gewollter Künstlichkeit zu folgen, lässt er fast naturalistisch spielen, als wäre man bei Reza oder Albee. Gleichzeitig akzentuiert er die Künstlichkeit durch absurd lange Pausen, die keinerlei Erzählfluss oder Rhythmus aufkomme lassen. Inmittel von alldem versuchen sich die allesamt auf verlorenem Posten befindlichen großartigen Darsteller in psychologisierendem Realismus, der am prästenziösen Korsett von Autor und Regisseur scheitert. Einzig Maren Eggert vermag in kurzen Momenten - entwa in den "Zwiegesprächen" der titelgebenden Plastikpuppe mit einer afrikanischen Holzpuppe - so etwas wie emotionale Tiefe anzudeuten.

Ansonsten bleibt ein - gerade vor dem Hintergrund eines durchaus diskssionswürdigen Themas - erschreckend sinnfreier Abend, der beweist, wie lang 80 Minuten sein können.

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