Stage and Screen has moved!
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May 12, 2011
May 10, 2011
Theatertreffen 2011 - Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz, Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin (Regie: Herbert Fritsch)
Sie will nicht enden, die Polonaise. Immer wieder setzt sie an, angeführt vom alten Schiffer Wulkow, immer wieder kommt der schrille Trupp urück, von hinter der Bühne, von draußen; das will und soll nicht enden. Natürlich ist das eine der üblichen Applausordnungen des Herbert Fritsch und doch ist es auch ein Hinweis, wie man diesen Abend auch verstehen kann, wenn man denn gewillt ist, ihn für mehr zu halten als "billigen Klamauk" (so ein Ruf aus dem Publikum in die Stille vor dem Schlussapplaus).
Hauptmann, so lässt sich auf dem Programzettel, ginge es nicht um eine geschlossene Handlung, im Gegenteil, er stünde dieser sogar feindselig gegenüber. Die Handlung des Biberpelz beginnt schon vor dem Stück und endet, wenn überhaupt, langenach dem Schlussvorhang. Es geht um eine Serie von Gaunereien, deren Ende nicht in Sicht ist. Wir kommen einfach irgendwann dazu und gehen dann auch wieder. Was auch immer sein mag, das Fritsch seinen Hauptmann bedeuten lassen will, es geht immer weiter, es ist nie vorbei, wie die Schlusspolonaise.
Es ist ein schriller, überdrehter, auch abgedrehter Biberpelz, den der ehemalige Volksbühnen-Schauspieler in Schwerin auf die Bühne gezaubert hat. Die schroffe, düstere Verzweiflung ohne den Trost der Menschlichkeit, der harte Naturalismus, der so oft mit Hauptmann assoziiert wird, er hat hier keinen Platz. Herbert Fritsch nimmt die "Diebskomödie" (so der Untertitel des Stücks) wörtlich und dreht die Schraube noch ein bisschen weiter. Zu einer grellen Farce, der auch der letzte Funken Realismus ausgetrieben wird von Beginn an. Die Schauspieler brüllen im Chor die Szenenanweisungen Hauptmanns, begleitet von comichafter Gestik und Mimik, wären der Zuschauer einen kahlen Raum mit beweglicher Wand sieht, ein rechteck aus bunter Blümchentapete mit Goldfransen (die später sogar einmal in wilder Drehung Gotscheffs gelbe Perser-Wand parodieren darf).
Die Figuren sind karikaturenhaft vereinfacht gezeichnet, in Konstümierung, Makeup wie in Bewegungen und Gesten. Expressionistisches Gezappel, weit aufgerissene Augen und Münder, verzerrte Gesichter: Subtilität ist Fritschs Sache nicht und will es auch nicht sein. Die Figuren sind Typen, jeder steht für einen Aspekt menschlicher Vielfalt, vor allem aber auch für eine Rolle in der Gesellschaft: der Vertreter der Obrigkeit, der sein bisschen Macht immer wieder beweisen muss, in erster Linie sich selbst, der arrogante und doch in ständiger Verlustangst erstarrte Reiche, der tumbe sich unterdrücken lassende Arbeiter, der schmeichelnde Speichellecker, der aasige Denunziant.
Gut kommt keine dieser erstarrten Figuren weg, Bewegung, vielleicht auch Hoffnung verkörpern wie so oft bei Hauptmann ausschließlich die Frauen. Allen voran Mutter Wolffen, eine gerissene Diebin und Manipulateurin,die aber ganz ihrem Namen verpflichtet bedingungslos ihr Rudel, will heißen ihre Familie zusammenhält und beschützt. Auch sie entgeht natürlich der Karikaturisierung nicht, den Produkt der deformierten Gesellschaft, die Fritsch beschreibt, ist auch sie.
Immer wieder lässt er seine Figuren erstarren, er malt Bilder mehr als dass er Theater spielen lässt. Es sind zumeist Gruppenanordnungen, zu denen er seine Tableaus ordnet. Am Anfang stehen alle Figuren eng zusammen, eine homgene Gruppe, vereint in Angst vor dem im ersten Satz des Abends adressierten Hauptmann, und in Entschlossenheit, die eigene Existenz zu verteidigen. Später finde sich die Gruppe (fast) wieder, da umschlingt sie jedoch ein Seil, die Gesichter erstarrt in Angst. Der Amtsvorsteher steht jetzt außen, ein sadistischer Dompteur, ein Sinnbild der Macht. Wenig später hat sich die Gruppe aufgelöst, der Vorsteher gehört wieder dazu, denn jetzt haben sie einen neuen gemeinsamen Gegner, ein Opfer diesmal.
Immer wieder stehen sich kleine Gruppen gegenüber, zuweilen auch Einzelpersonen. Die Regel bei Fritsch: Je höher jemand auf der sozialen Leiter steht, desto isolierter ist er. Die Kerngruppe der Familie Wolffen, sie wird kaum auseinandergerissen. Und so ist es auch folgerichtig, Mutter Wolffen irgendwann als eine Art Madonna hinzustellen, umgeben von ebenso zweifelhaften Heiligen.
So klamaukig das wirkt, so schrill-überzogen das gespielt ist, Fritsch bringt hier gesellschaftliche Mechanismen auf den Punkt, indem er sie bis zur Kenntlichkeit verzerrt. Wer über die zuweilen doch recht platten Wortspiele und die doch trotz gerade 80 Minuten Dauer spürbaren Längen hinweg-und durch sie durchsehen kann, dem bietet sich eine ins Extreme weitergesponnene Gesellschaftsparodie. Ob oben oder unten: Die Zwänge, welche die gesellschaftliche Mechanismen dem Individuum auferlegen, deformiert dieses in jedem Fall, zeigt uns Fritsch. Und wenn das so amüsamt geschieht, kann man sich dieser Wahrheit gern auch einmal stellen. Oder man schließt sich vergnügt der Polonaise an.
Hauptmann, so lässt sich auf dem Programzettel, ginge es nicht um eine geschlossene Handlung, im Gegenteil, er stünde dieser sogar feindselig gegenüber. Die Handlung des Biberpelz beginnt schon vor dem Stück und endet, wenn überhaupt, langenach dem Schlussvorhang. Es geht um eine Serie von Gaunereien, deren Ende nicht in Sicht ist. Wir kommen einfach irgendwann dazu und gehen dann auch wieder. Was auch immer sein mag, das Fritsch seinen Hauptmann bedeuten lassen will, es geht immer weiter, es ist nie vorbei, wie die Schlusspolonaise.
Es ist ein schriller, überdrehter, auch abgedrehter Biberpelz, den der ehemalige Volksbühnen-Schauspieler in Schwerin auf die Bühne gezaubert hat. Die schroffe, düstere Verzweiflung ohne den Trost der Menschlichkeit, der harte Naturalismus, der so oft mit Hauptmann assoziiert wird, er hat hier keinen Platz. Herbert Fritsch nimmt die "Diebskomödie" (so der Untertitel des Stücks) wörtlich und dreht die Schraube noch ein bisschen weiter. Zu einer grellen Farce, der auch der letzte Funken Realismus ausgetrieben wird von Beginn an. Die Schauspieler brüllen im Chor die Szenenanweisungen Hauptmanns, begleitet von comichafter Gestik und Mimik, wären der Zuschauer einen kahlen Raum mit beweglicher Wand sieht, ein rechteck aus bunter Blümchentapete mit Goldfransen (die später sogar einmal in wilder Drehung Gotscheffs gelbe Perser-Wand parodieren darf).
Die Figuren sind karikaturenhaft vereinfacht gezeichnet, in Konstümierung, Makeup wie in Bewegungen und Gesten. Expressionistisches Gezappel, weit aufgerissene Augen und Münder, verzerrte Gesichter: Subtilität ist Fritschs Sache nicht und will es auch nicht sein. Die Figuren sind Typen, jeder steht für einen Aspekt menschlicher Vielfalt, vor allem aber auch für eine Rolle in der Gesellschaft: der Vertreter der Obrigkeit, der sein bisschen Macht immer wieder beweisen muss, in erster Linie sich selbst, der arrogante und doch in ständiger Verlustangst erstarrte Reiche, der tumbe sich unterdrücken lassende Arbeiter, der schmeichelnde Speichellecker, der aasige Denunziant.
Gut kommt keine dieser erstarrten Figuren weg, Bewegung, vielleicht auch Hoffnung verkörpern wie so oft bei Hauptmann ausschließlich die Frauen. Allen voran Mutter Wolffen, eine gerissene Diebin und Manipulateurin,die aber ganz ihrem Namen verpflichtet bedingungslos ihr Rudel, will heißen ihre Familie zusammenhält und beschützt. Auch sie entgeht natürlich der Karikaturisierung nicht, den Produkt der deformierten Gesellschaft, die Fritsch beschreibt, ist auch sie.
Immer wieder lässt er seine Figuren erstarren, er malt Bilder mehr als dass er Theater spielen lässt. Es sind zumeist Gruppenanordnungen, zu denen er seine Tableaus ordnet. Am Anfang stehen alle Figuren eng zusammen, eine homgene Gruppe, vereint in Angst vor dem im ersten Satz des Abends adressierten Hauptmann, und in Entschlossenheit, die eigene Existenz zu verteidigen. Später finde sich die Gruppe (fast) wieder, da umschlingt sie jedoch ein Seil, die Gesichter erstarrt in Angst. Der Amtsvorsteher steht jetzt außen, ein sadistischer Dompteur, ein Sinnbild der Macht. Wenig später hat sich die Gruppe aufgelöst, der Vorsteher gehört wieder dazu, denn jetzt haben sie einen neuen gemeinsamen Gegner, ein Opfer diesmal.
Immer wieder stehen sich kleine Gruppen gegenüber, zuweilen auch Einzelpersonen. Die Regel bei Fritsch: Je höher jemand auf der sozialen Leiter steht, desto isolierter ist er. Die Kerngruppe der Familie Wolffen, sie wird kaum auseinandergerissen. Und so ist es auch folgerichtig, Mutter Wolffen irgendwann als eine Art Madonna hinzustellen, umgeben von ebenso zweifelhaften Heiligen.
So klamaukig das wirkt, so schrill-überzogen das gespielt ist, Fritsch bringt hier gesellschaftliche Mechanismen auf den Punkt, indem er sie bis zur Kenntlichkeit verzerrt. Wer über die zuweilen doch recht platten Wortspiele und die doch trotz gerade 80 Minuten Dauer spürbaren Längen hinweg-und durch sie durchsehen kann, dem bietet sich eine ins Extreme weitergesponnene Gesellschaftsparodie. Ob oben oder unten: Die Zwänge, welche die gesellschaftliche Mechanismen dem Individuum auferlegen, deformiert dieses in jedem Fall, zeigt uns Fritsch. Und wenn das so amüsamt geschieht, kann man sich dieser Wahrheit gern auch einmal stellen. Oder man schließt sich vergnügt der Polonaise an.
May 09, 2011
Theatertreffen 2011 - Anton Tschechow: Der Kirschgarten, Schauspiel Köln (Regie: Karin Henkel)
Der Kirschgarten als Zirkus - eigentlich eine hübsche Idee. Das zeitlich begrenzte Paralleluniversum als Sinnbild fü+r die Scheinwelt, das lägst Verlorene, dessen Nichtexistenz nicht eingestanden, nicht akzeptiert werden kann, ohne den eigenen Lebensentwurf, das Selbstbild, das gesamte Existenzgebäude in Frage stellen hzu müssen. Dunkel ist der Manegensand, verbrannte Erde, in der Mitte ein kleines rundes drehbares Podest, umgeben von billigen Lämpchen. Ein schäbiger Rest des vergangenen Glanzes.
Wie gesagt eine hübsche Idee. Ebenso plausibel wie die, Teschechows letztes Stück mit seinem Autor als Komödie zu begreifen. Genug Potenzial bieten die Virtuosen des Scheins in all ihrer Lächerlichkeit. Die Fallsüchtigen, immer wieder zu leblosen Puppen Erstarrenden, auf dem Podestchen ihre letzte Rolle spielenden. Hyperaktive Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen sind sie alle, kindisch in ihrer Realitätsverweigerung.
Der Kirschgarten als Farce, so suggeriert der Beginn, und er deutet auch an: Das kann funktionieren. Tut es aber nicht, weil Regisseurin Karin Henkel ihrer Idee nicht so recht traut. Nie treibt sie das Absurde, Lächerliche auf die Spitze, ins Extrem, immer bleibt sie und mit ihr die Inszenierung auf halber Strecke stehen. Und so mischt sich in die grellen farcenhaften Töne immer wieder auch diese bekannte Melancholie, die man mit Tschechow zu assoziieren gelernt hat, doch auch sie wird immer wieder abgewürgt, gestoppt von neuem Klamauk, neuer Überdrehtheit, Geschrei, Augenrollen oder Gesten, welche die eigene Überzogenheit allzu plakativ betonen.
Die ruhigen ernsten Zwischentöne und das laute zu gewollt Komödiantische: Sie kontrastieren einander nicht, sie heben sich eher auf in einem immer stärker zu vernehmenden Gähnen. Es ist Tschechows Stück, das sich da langweilt, das verärgert wirkt ob der Unentschiedenheit dieses Abends, der nichts ist, weil er zuvieles sein will. Auch die Komik zündet nicht, denn sie hat genausowenig Raum zum Atmen wie der ernste Hintergrund einer Gesellschaft, die sich gegen ihre Abschaffung nicht wehrt, sondern diese einfach nicht wahrnimmt, nicht wahrnehmen will.
Es gibt wunderbare Momente an diesem Abend, komödiantische wie solche voller Traurigkeit, doch sie vergehen, werden jäh beendet, bevor sie sich entfaltet haben. Und so läuft der Abend im Kreise, wie es seine Protagonisten immer wieder tun, ein plumpes Bild für eine totgelaufene Gesellschaft. Und wenn sie am Ende immer wieder von einer Seite auf die andere rennen und wieder zurück, wenn sie dabei "Auf in ein besseres Leben!" brüllen, dann ist das so blutleer und anstrengend wie der ganze Abend.
Wie gesagt eine hübsche Idee. Ebenso plausibel wie die, Teschechows letztes Stück mit seinem Autor als Komödie zu begreifen. Genug Potenzial bieten die Virtuosen des Scheins in all ihrer Lächerlichkeit. Die Fallsüchtigen, immer wieder zu leblosen Puppen Erstarrenden, auf dem Podestchen ihre letzte Rolle spielenden. Hyperaktive Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen sind sie alle, kindisch in ihrer Realitätsverweigerung.
Der Kirschgarten als Farce, so suggeriert der Beginn, und er deutet auch an: Das kann funktionieren. Tut es aber nicht, weil Regisseurin Karin Henkel ihrer Idee nicht so recht traut. Nie treibt sie das Absurde, Lächerliche auf die Spitze, ins Extrem, immer bleibt sie und mit ihr die Inszenierung auf halber Strecke stehen. Und so mischt sich in die grellen farcenhaften Töne immer wieder auch diese bekannte Melancholie, die man mit Tschechow zu assoziieren gelernt hat, doch auch sie wird immer wieder abgewürgt, gestoppt von neuem Klamauk, neuer Überdrehtheit, Geschrei, Augenrollen oder Gesten, welche die eigene Überzogenheit allzu plakativ betonen.
Die ruhigen ernsten Zwischentöne und das laute zu gewollt Komödiantische: Sie kontrastieren einander nicht, sie heben sich eher auf in einem immer stärker zu vernehmenden Gähnen. Es ist Tschechows Stück, das sich da langweilt, das verärgert wirkt ob der Unentschiedenheit dieses Abends, der nichts ist, weil er zuvieles sein will. Auch die Komik zündet nicht, denn sie hat genausowenig Raum zum Atmen wie der ernste Hintergrund einer Gesellschaft, die sich gegen ihre Abschaffung nicht wehrt, sondern diese einfach nicht wahrnimmt, nicht wahrnehmen will.
Es gibt wunderbare Momente an diesem Abend, komödiantische wie solche voller Traurigkeit, doch sie vergehen, werden jäh beendet, bevor sie sich entfaltet haben. Und so läuft der Abend im Kreise, wie es seine Protagonisten immer wieder tun, ein plumpes Bild für eine totgelaufene Gesellschaft. Und wenn sie am Ende immer wieder von einer Seite auf die andere rennen und wieder zurück, wenn sie dabei "Auf in ein besseres Leben!" brüllen, dann ist das so blutleer und anstrengend wie der ganze Abend.
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May 08, 2011
Theatertreffen 2011 - Elfriede Jelinek: Das Werk / Im Bus / Ein Sturz, Schauspiel Köln (Regie: Karin Beier)
Am Anfang steht Thomas Loibl vor dem noch geschlossenen Vorhang und erklärt, eine Baustelle sei immer auch ein Kampfplatz, nicht zwischen Menschen, sondern zwischen Mensch und Natur. Was passiert, wenn sich der Mensch über die Natur erhebt und die Natur zurückschägt, zeigt Elfriede Jelinek in Das Werk, dessen Wiener Uraufführung 2003 bereits zum Theatertreffen eingeladen war, und in ihrem neuen Stück Ein Sturz, Als Brücke dient im Bus, eine Passage aus Jelineks Arbeit Tod-krank. Doc, ein Text von 2008, den sie dem damals schon schwerkranken Christoph Schlingensief widmete.
Bauprojekte stehen im Mittelpunkt aller drei Teile, und der Glaube, die Natur bezwingen oder zumindest beherrschen, dem Menschen dienstbar machen zu können: Jelinek erzählt drei Geschichten: die des österreischischen Speicherkraftwerks Kaprun und die zweier Unflücke beim U-Bahn-Bau: 1994 stürzt ein Bus in einen Krater, der sich in Sekundenschnelle aufgetan hatte, drei Menschen sterben, 2009 führen Arbeiten an der Kölner U-Bahn zum einsturz des Stadtarchives und zum Tod zweier Menschen. In Kaprun starben beim Staudammbau offiziell 160 Menschen - allerdings erst nach Kriegsende. Wieviele der vor 1945 eingesetzten Zwangsarbeiter, KZ-Insassen und Kriegsgefangenen ums Leben kamen, werden wir wohl nie erfahren.
Mensch gegen Natur: So könnte man die Klammer des Abends bezeichnen und das Ziel um einiges Verfehlen. Es wäre nicht Jeinek, wenn es nicht auch um den Kampf Mensch gegen Mensch ginge. Davon erzählt vor allem der erste Teil,während sich der Schlussteil vor alem um die Hybris des Menschen gegenüber der Natur widmet. Im Bus bildet dafür den Prolog, bleibt aber ein Fremdkörper der Inszenierung von Karin Beier, zerdrückt zwischen den großen Jelinekschen Textblöcken.
Das beginnt mit Wasser und endet auch damit. Zu Beginn gießen weißbehemdete Männer und schwarzgewandete Frauen Wasser in Gläser und auf den Boden, am Ende lässt Karin Beier die Bühne fluten, mit einer gelblich-schlammigen Brühe, Sinnbild der Vereinigung der Elemente Wasser und Erde, die zuvor zwei Darsteller bereits in angedeuteter Kopulation vollzogen hatten. In Kaprun wurde das Wasser nutzbar gemacht, in regulierte Bahnen gezwungen - in Köln schlug es zurück, in Kaprun triumphierte Baukunst über die Elemente, in Köln war es andersherum.
Das ist die Klammer des Abends, der jedoch noch soviel mehr ist. Da sind zunächst die zwei Texte: Ungetüme Jelinekscher Sprachmacht und doch so unterschiedlich, wie es zwei werke der gleichen Autorin nur sein können. Das Werk ist ein tiefernstes Requiem, eine Anklage gegen das, was Menschen Menschen antun im Namen des Fortschritts, eine Anklage auch gegen das Vergessen und Verdrängen, ein Appell an die Sprachlosen, ein Gedenken an die zahl- und namenlosen Toten.
karin beier inszeniert das mit einer stilistischen Vielfalt, die dem Zuschauer streckenweise den Atem raubt. Zunächst ist da ein statisches Balett der Schreibtische, eine Multiplizität des Ingenieurs und der Frau, ein hochdynamisches Tableau von Fortschrittsglauben und Fortschrittswahn, von menschlichem Ehrgeiz und Hybris. Doch es ist nicht der Angriff gegen die Natur, der diesen ersten Teil dominiert. Das Werk ist in Beiers Interpretation vor allem das Stück der Unterdrückten, Ausgebeuteten, der ihres Lebens, ihres Existenzrechts Beraubten.
Und so brechen sich diese Bahn, zunächst mit einem einzelnen, verzweifelt Brechts Solidaritätslied singenden Manfred Zapatka, später mit einem Tanz der Fallenden und Wiederaufstehenden, zuletzt mit einem großen, virtuos polyphonen Chor, von einer Kraft, die man seit Einar Schleef im deutschsprachigen Theater nicht mehr gesehen hat.. Da stehen sie, die Geknechteten, die willenlosen Handlanger eines Fortschritts, der sie töten wir. Oder schon getötet hat: Jelinek zitiert hier Goethes Gesang der Geister über dem Wasser und vielleicht ist es ein Geisterchor der Nichtvergessenwerdenwollenden. Jelinek und Beier lassen hier den Zeigefinger unten. Der geisterhafte Chor haucht sich in das gedächtnis des Zuschauers, der Preis, den wir für den Fortschritt zahlten, er steht unübersehbar auf der Bühne.
Ein Sturz ist ein völlig anderer Text. Ironisch, satirisch, parodistisch, voll des berühmt-berüchtigten beißenden und nie einem Kalauer abgeneigten Wortwitzes Jelinekscher Prägung. Die Autorin konstruiert ein natürlich monologischen Zwiegespräch des Menschen mit der Erde, der Erde, der er einen klaren Platz zugedacht hat, enge Grenzen, die natürlich nur er, der Mensch definiert. Natürlich nimmt sich die Erde ihr Recht, oder zumindest das Wasser, das starke, nicht zu bändigende Element. Der Mensch kann nur indigniert zuschauen - und vergessend weitermachen.
Karin Beier inszeniert das als lustvolles dynamisches Spiel, in dem Erde und Wasser kopulieren, die planenden Menschen die Erde aus ihrem Kreis verbannen dürfen und schließlich mitansehen müssen, wie sich die Folgen ihrer Hybris zunächst nicht verschweigen lassen und am Ende ihr Reich heimsuchen. Dazu weist der damalige Oberbürgermeister in O-Ton-Fetzen jegliche Verantwortung von sich, brüllt sich die Frage "Wer ist schuld?" wie von selbst, nur um wenig später der zweifellos wichtigeren nach den Kosten Platz zu machen. Am Ende hängen nasse, von der Flut überraschte Blätter an traurigen Wäscheleinen, eine leise Erinnerung daran, dass mit dem Einsturz des Stadtarchivs das Gedächtnis einer Stadt mit untergegangen ist.
Und so schließt sich der Kreis. Das Wasser, die gebändigt geglaubte Natur hat ebenso gesiegt wie das kollektive Vergessen. Ein Etappensieg nur das eine, Vorbote neuen Unheils das andere. Eine von Jelinek gewohnter pessimistischer Ausblick am Ende einer hochkomplexen, mitreißend-polyphonen Inszenierung. Wer Relevanz im Theater einfordert, hier findert er sie. Vielleicht sogar mehr,als ihm lieb ist.
Bauprojekte stehen im Mittelpunkt aller drei Teile, und der Glaube, die Natur bezwingen oder zumindest beherrschen, dem Menschen dienstbar machen zu können: Jelinek erzählt drei Geschichten: die des österreischischen Speicherkraftwerks Kaprun und die zweier Unflücke beim U-Bahn-Bau: 1994 stürzt ein Bus in einen Krater, der sich in Sekundenschnelle aufgetan hatte, drei Menschen sterben, 2009 führen Arbeiten an der Kölner U-Bahn zum einsturz des Stadtarchives und zum Tod zweier Menschen. In Kaprun starben beim Staudammbau offiziell 160 Menschen - allerdings erst nach Kriegsende. Wieviele der vor 1945 eingesetzten Zwangsarbeiter, KZ-Insassen und Kriegsgefangenen ums Leben kamen, werden wir wohl nie erfahren.
Mensch gegen Natur: So könnte man die Klammer des Abends bezeichnen und das Ziel um einiges Verfehlen. Es wäre nicht Jeinek, wenn es nicht auch um den Kampf Mensch gegen Mensch ginge. Davon erzählt vor allem der erste Teil,während sich der Schlussteil vor alem um die Hybris des Menschen gegenüber der Natur widmet. Im Bus bildet dafür den Prolog, bleibt aber ein Fremdkörper der Inszenierung von Karin Beier, zerdrückt zwischen den großen Jelinekschen Textblöcken.
Das beginnt mit Wasser und endet auch damit. Zu Beginn gießen weißbehemdete Männer und schwarzgewandete Frauen Wasser in Gläser und auf den Boden, am Ende lässt Karin Beier die Bühne fluten, mit einer gelblich-schlammigen Brühe, Sinnbild der Vereinigung der Elemente Wasser und Erde, die zuvor zwei Darsteller bereits in angedeuteter Kopulation vollzogen hatten. In Kaprun wurde das Wasser nutzbar gemacht, in regulierte Bahnen gezwungen - in Köln schlug es zurück, in Kaprun triumphierte Baukunst über die Elemente, in Köln war es andersherum.
Das ist die Klammer des Abends, der jedoch noch soviel mehr ist. Da sind zunächst die zwei Texte: Ungetüme Jelinekscher Sprachmacht und doch so unterschiedlich, wie es zwei werke der gleichen Autorin nur sein können. Das Werk ist ein tiefernstes Requiem, eine Anklage gegen das, was Menschen Menschen antun im Namen des Fortschritts, eine Anklage auch gegen das Vergessen und Verdrängen, ein Appell an die Sprachlosen, ein Gedenken an die zahl- und namenlosen Toten.
karin beier inszeniert das mit einer stilistischen Vielfalt, die dem Zuschauer streckenweise den Atem raubt. Zunächst ist da ein statisches Balett der Schreibtische, eine Multiplizität des Ingenieurs und der Frau, ein hochdynamisches Tableau von Fortschrittsglauben und Fortschrittswahn, von menschlichem Ehrgeiz und Hybris. Doch es ist nicht der Angriff gegen die Natur, der diesen ersten Teil dominiert. Das Werk ist in Beiers Interpretation vor allem das Stück der Unterdrückten, Ausgebeuteten, der ihres Lebens, ihres Existenzrechts Beraubten.
Und so brechen sich diese Bahn, zunächst mit einem einzelnen, verzweifelt Brechts Solidaritätslied singenden Manfred Zapatka, später mit einem Tanz der Fallenden und Wiederaufstehenden, zuletzt mit einem großen, virtuos polyphonen Chor, von einer Kraft, die man seit Einar Schleef im deutschsprachigen Theater nicht mehr gesehen hat.. Da stehen sie, die Geknechteten, die willenlosen Handlanger eines Fortschritts, der sie töten wir. Oder schon getötet hat: Jelinek zitiert hier Goethes Gesang der Geister über dem Wasser und vielleicht ist es ein Geisterchor der Nichtvergessenwerdenwollenden. Jelinek und Beier lassen hier den Zeigefinger unten. Der geisterhafte Chor haucht sich in das gedächtnis des Zuschauers, der Preis, den wir für den Fortschritt zahlten, er steht unübersehbar auf der Bühne.
Ein Sturz ist ein völlig anderer Text. Ironisch, satirisch, parodistisch, voll des berühmt-berüchtigten beißenden und nie einem Kalauer abgeneigten Wortwitzes Jelinekscher Prägung. Die Autorin konstruiert ein natürlich monologischen Zwiegespräch des Menschen mit der Erde, der Erde, der er einen klaren Platz zugedacht hat, enge Grenzen, die natürlich nur er, der Mensch definiert. Natürlich nimmt sich die Erde ihr Recht, oder zumindest das Wasser, das starke, nicht zu bändigende Element. Der Mensch kann nur indigniert zuschauen - und vergessend weitermachen.
Karin Beier inszeniert das als lustvolles dynamisches Spiel, in dem Erde und Wasser kopulieren, die planenden Menschen die Erde aus ihrem Kreis verbannen dürfen und schließlich mitansehen müssen, wie sich die Folgen ihrer Hybris zunächst nicht verschweigen lassen und am Ende ihr Reich heimsuchen. Dazu weist der damalige Oberbürgermeister in O-Ton-Fetzen jegliche Verantwortung von sich, brüllt sich die Frage "Wer ist schuld?" wie von selbst, nur um wenig später der zweifellos wichtigeren nach den Kosten Platz zu machen. Am Ende hängen nasse, von der Flut überraschte Blätter an traurigen Wäscheleinen, eine leise Erinnerung daran, dass mit dem Einsturz des Stadtarchivs das Gedächtnis einer Stadt mit untergegangen ist.
Und so schließt sich der Kreis. Das Wasser, die gebändigt geglaubte Natur hat ebenso gesiegt wie das kollektive Vergessen. Ein Etappensieg nur das eine, Vorbote neuen Unheils das andere. Eine von Jelinek gewohnter pessimistischer Ausblick am Ende einer hochkomplexen, mitreißend-polyphonen Inszenierung. Wer Relevanz im Theater einfordert, hier findert er sie. Vielleicht sogar mehr,als ihm lieb ist.
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May 07, 2011
Film review: Four Lions (Director: Christopher Morris)
A comedy about Islamist suicide bombers? The idea will strike many as strange at best, irresponsible maybe, possibly even perverse to some. How can one laugh about those who kill out of hatred, murdering civilians for what they consider their beliefs, their faith, their ideology? Is there a funny side to mass murder and terrorism? It is an argument that is not new, it was presented, and has been to this day and with some justification, against Chaplin's The Great Dictator or Lubitsch's To Be or Not to Be, brilliant satires about Nazi Germany. While one could argue about the fact that both directors could not know the full extent of the atrocities commited when the films were made in the early 1940s, no such excuse can be made for Christopher Morris. He knows what Islamist terrorism is and what damage it has done. Nonetheless he has chosen to make this film. Why? He has talked about the liberating force of laughter. So is this all escapism in the end?
Far from it. Four Lions is a hilarious funny film, a farce at times, a biting satire at others, but one which never loses sight of what this is actually about. When we laugh, we never belittle the tragedy, the laughter liberates us to open our eyes, not close them. The ridiculousness of it all makes it even harder to understand why people have to die.
Four Lions focusses on a little makeshift terror cell in London two of which set out for a traning camp in Pakistan only to return having failed completely. On their return they need to save their face so they pretend they've been trusted with a mission which for the time being consists of nothing more than "blowing something up". There is tension between Omar, the group leader, and Barry, an Englishman converted to Islam, over control and over what mission to perform. Barry wants to bomb a mosque, in order to make the moderate Muslims rise up, a plan soon discarded by the rest of the group who after many more and more grotesque arguments settle on an attack on the london Marathon.
Their attempts to plan the attacks are amateurish at best, the ideas they come up with often ludicrous - such as fitting crows with explosives in order to detonate them above targets, their arguments have the dynamic, structure and effiency of a rollercoaster ride and reveal the ridiculousness, the grotesque absurdity of the underlying ideology, of the gap between pretense and effect. They may consider themselves heroes and future martyrs but they spend much of their time bickering just like a group of pubescent schoolkids. Their cause is about little more than their egos, about power, mostly within the group, about creating scapegoats.
Morris succeeds in achieving a sharp, poignat, painful satire of totalitarian ideologies, providing simple answers which may not make any sense but relieve their followers of the need to think for themselves. The irony is that the simple is not simple at all but as long as you refuse to face the absurdity of it you can still go along nicely.
One of the most harrowing aspects of the film is the normalcy particularly of Omar's family. this is a perfectly modern Muslim family, a loving home, a relationship based on equality - a stark contrast to Oar's brother, fundamentalist muslim who refuses to be even in the same room as a woman. yet ist is not this reactionary man who goes the way of violence but the modern, seemingly moderate Muslim whose mission is surported, not fanatically, but cheerfully by this totally normal family. One of the many absurdities of this film and one that s hardly bearable.
The film is full of hilarious scenes, slapstick, farce, the comedy of words, but the abyss is never far. One moment, the wouldbe terrorists run in funny movements trying to balance the explosives they're carrying, the next one of them is blown up. He is not the last casualty because even as the absurdity of their actions dawns on some of them, particularly Omar, they do not find the strength to stop. Failure is not an option, losing face is not an option, s they must continue no matter what.
When the last detonation has passed, there is an eerie silence, a quiet that is hardest to bear. the laughter is over, there is nothing left to laugh about. It is this silence, this sense of none of this being a game that brings the audience crashing to the ground in the realisation that as hilarious, ludicrous, absurd as all of this is, it is, first and foremost, extremely serious. It is this balace, this never losing sight of the consequences that makes this film truly great. No tearjerking pathos, no earnest portayal of terrorism could cause the devastation of this laughter.
Far from it. Four Lions is a hilarious funny film, a farce at times, a biting satire at others, but one which never loses sight of what this is actually about. When we laugh, we never belittle the tragedy, the laughter liberates us to open our eyes, not close them. The ridiculousness of it all makes it even harder to understand why people have to die.
Four Lions focusses on a little makeshift terror cell in London two of which set out for a traning camp in Pakistan only to return having failed completely. On their return they need to save their face so they pretend they've been trusted with a mission which for the time being consists of nothing more than "blowing something up". There is tension between Omar, the group leader, and Barry, an Englishman converted to Islam, over control and over what mission to perform. Barry wants to bomb a mosque, in order to make the moderate Muslims rise up, a plan soon discarded by the rest of the group who after many more and more grotesque arguments settle on an attack on the london Marathon.
Their attempts to plan the attacks are amateurish at best, the ideas they come up with often ludicrous - such as fitting crows with explosives in order to detonate them above targets, their arguments have the dynamic, structure and effiency of a rollercoaster ride and reveal the ridiculousness, the grotesque absurdity of the underlying ideology, of the gap between pretense and effect. They may consider themselves heroes and future martyrs but they spend much of their time bickering just like a group of pubescent schoolkids. Their cause is about little more than their egos, about power, mostly within the group, about creating scapegoats.
Morris succeeds in achieving a sharp, poignat, painful satire of totalitarian ideologies, providing simple answers which may not make any sense but relieve their followers of the need to think for themselves. The irony is that the simple is not simple at all but as long as you refuse to face the absurdity of it you can still go along nicely.
One of the most harrowing aspects of the film is the normalcy particularly of Omar's family. this is a perfectly modern Muslim family, a loving home, a relationship based on equality - a stark contrast to Oar's brother, fundamentalist muslim who refuses to be even in the same room as a woman. yet ist is not this reactionary man who goes the way of violence but the modern, seemingly moderate Muslim whose mission is surported, not fanatically, but cheerfully by this totally normal family. One of the many absurdities of this film and one that s hardly bearable.
The film is full of hilarious scenes, slapstick, farce, the comedy of words, but the abyss is never far. One moment, the wouldbe terrorists run in funny movements trying to balance the explosives they're carrying, the next one of them is blown up. He is not the last casualty because even as the absurdity of their actions dawns on some of them, particularly Omar, they do not find the strength to stop. Failure is not an option, losing face is not an option, s they must continue no matter what.
When the last detonation has passed, there is an eerie silence, a quiet that is hardest to bear. the laughter is over, there is nothing left to laugh about. It is this silence, this sense of none of this being a game that brings the audience crashing to the ground in the realisation that as hilarious, ludicrous, absurd as all of this is, it is, first and foremost, extremely serious. It is this balace, this never losing sight of the consequences that makes this film truly great. No tearjerking pathos, no earnest portayal of terrorism could cause the devastation of this laughter.
May 04, 2011
Nick Whitby: Sein oder Nichtsein, Maxim-Gorki-Theater Berlin (Regie: Milan Peschel)
Darf über Hitler gelacht werden? Diese Frage muss sich jeder stellen, der sich daran wagt, Ernst Lubitschs bis heute nicht unumstrittenen Film Sein oder Nichtsein auf die Bühne zu bringen. Nicht wenige sind daran gescheitert, zuletzt Rafael Sanchez am Deutschen Theater. Milan Peschel probiert es jetzt am Maxim-Gorki-Theater - und hat einen Trumpf im Ärmel: Peschels Inszenierung ist eine Doppelproduktion. Erarbeitet mit polnischen Darstellern am Stary Teatr in Krakau, wo sie vor einigen Wochen Premiere feierte, hat Peschel die fertige Inszenierung nach Berlin gebracht und mit deutschen Schauspielern besetzt. Trotz der kurzen und ungewöhnlichen Probenzeit ist die Berliner Inszenierung viel mehr als eine bloße Kopie geworden. Die Eingangsfrage beantwortet sie auch ganz eindeuting: Ja, darf man. Und vielleicht muss man das sogar.
Schon der Beginn zeigt exemplarisch, dass hier gelacht werden soll - und es ist kein Lachen, das im Halse stecken bleibt. Da steht ein ältlicher Hitler auf der Bühne, sitzt ein alberner SS-Mann in seinem Sessel, bekommt ein Hitlerjunge für eine Denunziation einen Spielzeugpanzer (der mit jeder Wiederholung der Szene größer wird!) und am Ende fällt krachend das Hitlerportrait von der Wand. Regisseur und Darsteller streiten sich über die Ernsthaftigkeit des Stückes und es fällt der kluge Satz: "Einen Lacher darf man nie verachten." Das ist High-Speed-Slapstick, zu dem dem auch das Bühnenbild, das vor allem aus verschieb- und tragbaren dünnen Wänden aus Holz und Papier besteht, die zudem sehr zum Umfallen neigen, seinen Teil beitragen darf.
Und doch ist nicht alles Gelächter. Die Eingangsszene, eine Probe des Stücks "Gestapo", das ein polnisches Ensemble kurz vor Kriegsbeginn einstudiert, verfliegt wie ein letzter Traum, ein Gest aus einer Zeit, die bereits vergangen ist, wenn sie noch als Gegenwart erscheint. Ist es denn schon September, fragt Horst Westphal, der August können doch noch nicht vorbei sein. Doch, sagt uns Peschel, ist er, und vielleicht gab es ihn auch nie. Dazu passt, dass er die berühmte Anfangsszene des Films abwandelt, in der der Hitler-Darsteller durch Warschau geht und erst durch ein kleines Mädchen als Doppelgänger enttarnt wird. Westphal spielt das nicht, er erzählt es kurz, in einem Nebensatz, wie eine verblassende Erinnerung, deren Wahrheitsgehalt sich schon gar nicht mehr feststellen lässt.
Dieser durchaus komplexe Beginn bestimmt den Ton des Abends. So sehr in der Folge die sprichwörtlichen Fetzen fliegen, so sehr bleibt der Hintergrund, bleibt die Leinwand, auf die Peschel seine grellen Farben aufträgt, präsent. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, immer nahe am Abgrund. Und doch ist es vor allem ein Tanz, ein Abend großer Komödienkunst, zwischen Farce und Satire, nicht den Boulevard scheuend oder vor gröberen Scherzen zurückschreckend.
Es ist vor allem ein Abend der Überzeichnung und das großartige Ensemble gibt dem komödiantischen Affen ordentlich Zucker. Allen voran Roland Kukulies als Tura, der große Charaktermime im Spannungsfeld zwischen Speillust, widerwilligem Heroismus, grenzenloser Eitelkeit und noch riesigerer Eifersucht. Oder Sabine Waibel als seine Frau, durchtriebener, manipulativ, mindestens ebenso eitel, aber auch nicht weniger heldenhaft. Oder aber Holger Stockhaus als Gestapo-Chef Erhardt, ein nicht weniger begnadeter Darsteller, der sich mit Tura ein großartiges Duell liefert.
Schauspieler sind sie alle, der SS-Mann, der sich mit seinem Adjutanten wunderbare Streitgespräche über Film und Theater liefert, wie die Theaterleute, Darsteller, die ihr Publikum in den Bann ziehen, auf ihre Seite bringen, für ihre Zwecke einspannen wollen. Das ist schon bei Lubitsch angedacht, Peschel stellt es in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Machthaber, insbesondere die autokratischer Regimes, bedienen sich seit jeher theatralischer Techniken, sie spielen Rollen, arbeiten mit Gestik, Artikulation, Choreografien. Das Nazi-Regime war vielleicht das theatralischte überhaupt - von den minutiös inszenierten Parteitagen bis zum großen Darsteller Hitler, der seine Rolle so perfekt spielt, dass er am Ende hinter ihr verschwindet.
Das hat schon Chaplin erkannt, den Peschel auch ausgiebig zitiert, wie er sich auch bei Tarantino und dessen fantasievoller gegengeschichte in Inglorious Basterds bedient. Dieses Zitieren, dieses Nutzen bekannter und wiedererkennbarer Versatzstücke, auch dies ist zutiefst theatralisch, auch dies ein in totalitären Regimes oft und gern eingesetztes Instrument.
Wenn am Ende die Schauspieler über SS und Gestapo triumphieren, schlagen sie diese mit deren Mitteln, die eigentlich die eigenen sind. Diese Unschärfe, diese vermeintliche Austauschbarkeit der Figurengruppen gibt dem Stück viel von seiner komik - und macht es gleichzeitig so verstörend. Denn die harmlose Eitelkeit Turas wird zur tödlichen Gefahr, findet sie sich gepaart mit der Macht eines Erhardt. Was eben noch Mittel zur Unterhaltung, vielleicht auch Erbauung war, dient im nächsten Moment der Unterdrückung, dem Terror. Leben und Tod liegen hier nah beieinander, kaum unterscheidbar, beide die gleiche Maske tragend. Es ist kein Zufall, wenn Peschel die Hamlet-Zitate deutlich ausweitet gegenüber der Filmvorlage. Es sind Szenen des Innehaltens, des fragenden Herantastens an diese abgründige Ambivalenz.
Und so endet der Abend nicht affirmativ, nicht triumphal wie der Film, kann er nicht so enden, denn er trägt das bleierne Gewicht, dessen, was wir wissen und was Lubitsch nicht wissen konnte. Die Unschuld, das Spielerische, das der Film noch haben durfte, der große Lehrmeister Zeit hat es unmöglich gemacht. Es ist eben nicht mehr August, es ist September, es ist vielleicht immer schon Dezember gewesen. Bei Peschel endet Sein oder Nichtsein im Ungewissen, im "Was nun?", in der Ratlosigkeit derer, die wissen, dass der Triumph über das Unmenschliche stets fragil ist, immer schon vergangen, wenn er gerade erst errungen scheint. Ein stilles, kluges Ende eines großen Theaterabends.
Rezension auf Nachtkritik.de
Rezension auf blog.theater-nachtgedanken.de
Schon der Beginn zeigt exemplarisch, dass hier gelacht werden soll - und es ist kein Lachen, das im Halse stecken bleibt. Da steht ein ältlicher Hitler auf der Bühne, sitzt ein alberner SS-Mann in seinem Sessel, bekommt ein Hitlerjunge für eine Denunziation einen Spielzeugpanzer (der mit jeder Wiederholung der Szene größer wird!) und am Ende fällt krachend das Hitlerportrait von der Wand. Regisseur und Darsteller streiten sich über die Ernsthaftigkeit des Stückes und es fällt der kluge Satz: "Einen Lacher darf man nie verachten." Das ist High-Speed-Slapstick, zu dem dem auch das Bühnenbild, das vor allem aus verschieb- und tragbaren dünnen Wänden aus Holz und Papier besteht, die zudem sehr zum Umfallen neigen, seinen Teil beitragen darf.
Und doch ist nicht alles Gelächter. Die Eingangsszene, eine Probe des Stücks "Gestapo", das ein polnisches Ensemble kurz vor Kriegsbeginn einstudiert, verfliegt wie ein letzter Traum, ein Gest aus einer Zeit, die bereits vergangen ist, wenn sie noch als Gegenwart erscheint. Ist es denn schon September, fragt Horst Westphal, der August können doch noch nicht vorbei sein. Doch, sagt uns Peschel, ist er, und vielleicht gab es ihn auch nie. Dazu passt, dass er die berühmte Anfangsszene des Films abwandelt, in der der Hitler-Darsteller durch Warschau geht und erst durch ein kleines Mädchen als Doppelgänger enttarnt wird. Westphal spielt das nicht, er erzählt es kurz, in einem Nebensatz, wie eine verblassende Erinnerung, deren Wahrheitsgehalt sich schon gar nicht mehr feststellen lässt.
Dieser durchaus komplexe Beginn bestimmt den Ton des Abends. So sehr in der Folge die sprichwörtlichen Fetzen fliegen, so sehr bleibt der Hintergrund, bleibt die Leinwand, auf die Peschel seine grellen Farben aufträgt, präsent. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, immer nahe am Abgrund. Und doch ist es vor allem ein Tanz, ein Abend großer Komödienkunst, zwischen Farce und Satire, nicht den Boulevard scheuend oder vor gröberen Scherzen zurückschreckend.
Es ist vor allem ein Abend der Überzeichnung und das großartige Ensemble gibt dem komödiantischen Affen ordentlich Zucker. Allen voran Roland Kukulies als Tura, der große Charaktermime im Spannungsfeld zwischen Speillust, widerwilligem Heroismus, grenzenloser Eitelkeit und noch riesigerer Eifersucht. Oder Sabine Waibel als seine Frau, durchtriebener, manipulativ, mindestens ebenso eitel, aber auch nicht weniger heldenhaft. Oder aber Holger Stockhaus als Gestapo-Chef Erhardt, ein nicht weniger begnadeter Darsteller, der sich mit Tura ein großartiges Duell liefert.
Schauspieler sind sie alle, der SS-Mann, der sich mit seinem Adjutanten wunderbare Streitgespräche über Film und Theater liefert, wie die Theaterleute, Darsteller, die ihr Publikum in den Bann ziehen, auf ihre Seite bringen, für ihre Zwecke einspannen wollen. Das ist schon bei Lubitsch angedacht, Peschel stellt es in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Machthaber, insbesondere die autokratischer Regimes, bedienen sich seit jeher theatralischer Techniken, sie spielen Rollen, arbeiten mit Gestik, Artikulation, Choreografien. Das Nazi-Regime war vielleicht das theatralischte überhaupt - von den minutiös inszenierten Parteitagen bis zum großen Darsteller Hitler, der seine Rolle so perfekt spielt, dass er am Ende hinter ihr verschwindet.
Das hat schon Chaplin erkannt, den Peschel auch ausgiebig zitiert, wie er sich auch bei Tarantino und dessen fantasievoller gegengeschichte in Inglorious Basterds bedient. Dieses Zitieren, dieses Nutzen bekannter und wiedererkennbarer Versatzstücke, auch dies ist zutiefst theatralisch, auch dies ein in totalitären Regimes oft und gern eingesetztes Instrument.
Wenn am Ende die Schauspieler über SS und Gestapo triumphieren, schlagen sie diese mit deren Mitteln, die eigentlich die eigenen sind. Diese Unschärfe, diese vermeintliche Austauschbarkeit der Figurengruppen gibt dem Stück viel von seiner komik - und macht es gleichzeitig so verstörend. Denn die harmlose Eitelkeit Turas wird zur tödlichen Gefahr, findet sie sich gepaart mit der Macht eines Erhardt. Was eben noch Mittel zur Unterhaltung, vielleicht auch Erbauung war, dient im nächsten Moment der Unterdrückung, dem Terror. Leben und Tod liegen hier nah beieinander, kaum unterscheidbar, beide die gleiche Maske tragend. Es ist kein Zufall, wenn Peschel die Hamlet-Zitate deutlich ausweitet gegenüber der Filmvorlage. Es sind Szenen des Innehaltens, des fragenden Herantastens an diese abgründige Ambivalenz.
Und so endet der Abend nicht affirmativ, nicht triumphal wie der Film, kann er nicht so enden, denn er trägt das bleierne Gewicht, dessen, was wir wissen und was Lubitsch nicht wissen konnte. Die Unschuld, das Spielerische, das der Film noch haben durfte, der große Lehrmeister Zeit hat es unmöglich gemacht. Es ist eben nicht mehr August, es ist September, es ist vielleicht immer schon Dezember gewesen. Bei Peschel endet Sein oder Nichtsein im Ungewissen, im "Was nun?", in der Ratlosigkeit derer, die wissen, dass der Triumph über das Unmenschliche stets fragil ist, immer schon vergangen, wenn er gerade erst errungen scheint. Ein stilles, kluges Ende eines großen Theaterabends.
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April 24, 2011
Nurkan Erpulat und Dorle Trachternach: Clash, Deutsches Theater / Kammerspiele (Junges DT), Berlin (Regie: Nurkan Erpulat)
"Thilo Sarrazin meets Planet der Affen": We Verkürzungen mag, kann damit den Inhalt von Nurkan Erpulats Arbeit mit jugendlichen Darstellern im Rahmen des "Jungen DT" recht präzise zusammenfassen, ohne den Bedeutungskreis des Stücks auch nur im Ansatz auszumessen. Um Integration geht es, um den "Clash" von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch von Integrationswilligen und -unwilligen, Hartz-IV-Empfängern und Mittelschicht, ein Clash von Vorurteilen und Klischees, von Ängsten und Wut, von Sündenböcken.
Zu Beginn sind wir in einer Bibliothek, die schon bald zum Schauplatz ideologischer Auseinandersetzungen, gegenseitig entgengeschleuderter Klischees und Vorwürfe wird. Herrscht zu Beginn noch ein gewisser Pluralismus der Meinungen, stehen schnell MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen einander als mehr oder weniger homogenen Blöcke gegenüber. Vorurteile und der Wunsch, für die "eigenen Leute" einzustehen, haben über individuelle Meinungen und eigenständiges Denken triumphiert.
Die Situation ist verfahren, da katapultiert Erpulat uns und sein Ensemble in die Zukunft: Ein Raumschiff stürzt ab, auf einen vermeintlich unbekannten Planeten, der sich später als die Erde der Zukunft erweist. Hier haben mittlerweile die Affen die Macht gewonnen und unterdrücken die Menschen. Die immer wieder mehr als angedeutete Assoziation Affen=Türken, Menschen=Deutsche wirkt nur im ersten Augenblick provokant und störend, wird sie doch mit soviel Witz, Ironie und Intelligenz durchgespielt, dass der Zuschauer dieser vermeintlich kruden Metapher gern folgt.
Denn Erpulat hat noch eine besondere Wendung eingebaut: Die Affen haben ein heiliges Buch, deren Autor sie als Gott verehren, und deren Thesen sie gefolgt sind auf dem Weg zur Macht. Es handelt sich natürlich um Thilo Sarrazin, dessen Schreckensszenario einer drohenden Überfremdung die "Fremden" als Handlungsanweisung genutzt haben und dessen simple Integrationsideolgie sie jetzt gegen die neue Minderheit kehren. Diese Minderheit, so befürchten sie, könnte bald wieder zur Mehrheit werden, Sarrazins Horrorszenario zur nicht endenden Kreisbewegung, Überfremdungsangst als Perpetuum Mobile. Immer wieder erscheint eine Sarrazin-Puppe, als "Gott aus Maschine", wie einer der Raumfahrer wissend übersetzt, als oberste Instanz der "Affen".
Erpulat und sein ansteckend spielfreudiges, ja spielwüntiges Ensemble spielen sämtliche Klischees und Ängste durch und führen sie ad absurdum - nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern durch die Übertragung in neue Zusammenhänge oder einfach ihr Vorführen auf der Bühne. Da rappt ein Türke über seine Herkunft, das publikum spendet Szenenapplaus, bevor der Rapper die Erwartung, ein Türke auf der Bühne müsse rappen, als Klischee, als Vorurteil entlarvt. Da wird gelungene Integration als quasi-religiöser Prozess vorgeführt, an dessen Ende dem Integrierten eine Matte dichten Brusthaars sprießt. Da werden die Integrationswilligen schnell wieder aus der Gemeinschaft ausgestoßen, wenn sie aus Sicht der die Integration Fordernden ihre Rolle nicht fehlerfrei ausführen.
Clash belehrt nicht, Clash zeigt, es spielt Szenarien durch, kippt sie ins Absurde. Sarrazins (und nicht nur seines) Diktum der Umkehrung der Kräfteverhältnisse durch unterschiedlich hohe Geburtenraten: Nicht nur vertauscht Erpulat die Rollen, er lässt sein jugendliches Ensemble mit Begeisterung den nach Sarrazin logischen Ausweg durchexerzieren: Sich paaren, bis man (wieder) die Mehrheit ist.
Überhaupt darf man nicht vergessen: Dies ist eine Komödie! Und so lässt Erpulat auch gern einmal das Spiel laufen, wird die großartige Choreografie des Raumschiff-Absturzes zum rauschhaften Spiel, darf der Spieltrieb auch gern mal zum Selbstzweck werden. Das nimmt dem Stück den Ernst, nicht jedoch seine Schärfe.
Will man tatsächlich etwas kritisieren, sind es die musikalischen Einlagen. Am Bühnenrand - und auch sonst am Rande des Geschehens - steht ein Band-Podium, auf dem ein Teil des Ensembles seine musikalischen Talente ausleben und zeigen darf. Die sind durchaus beträchtlich, trotzdem tragen die musikalischen Einlagen wenig bis nichts zum Stück bei und stören den Rhythmus des Abends - zum einen, weil sie immer wieder den Spielfluss unterbrechen,zum anderen, weil sie einzelne Darsteller wiederholt für längere Zeit auf die Seite zwingt. Doch auch wenn es den Kritiker freut, etwas aussetzen zu können, bleibt es Jammern auf höchstem Niveau.
Nurkan Erpulat und seinem begeisterten und begeisterndem jungen Ensemble ist ein Abend gelungen, der vor Intelligenz, Witz und Spielfreude nur so strotzt, der nicht diskutiert, sondern zeigt, und immer wieder so weit um die Ecke denkt, dass plötzlich Wahrheiten aufscheinen, die auch dem Zuschauer sauer aufstoßen sollten. Indem die Integrationsdebatte bis ins Absurde weitergeführt wird, tritt ihr Kern ebenso zu Tage wie der Schleier, mit dem Klischees und Vorurteile, insbesondere jene, die gar nicht als solche erkannt werden, den Blick auf das Wesentliche verbergen. Und vielleicht ist es die größte Ironie, dass aqusgerechnet dem "Jungen DT" der gelungenste Abend dieser DT-Spielzeit gelingt.
Zu Beginn sind wir in einer Bibliothek, die schon bald zum Schauplatz ideologischer Auseinandersetzungen, gegenseitig entgengeschleuderter Klischees und Vorwürfe wird. Herrscht zu Beginn noch ein gewisser Pluralismus der Meinungen, stehen schnell MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen einander als mehr oder weniger homogenen Blöcke gegenüber. Vorurteile und der Wunsch, für die "eigenen Leute" einzustehen, haben über individuelle Meinungen und eigenständiges Denken triumphiert.
Die Situation ist verfahren, da katapultiert Erpulat uns und sein Ensemble in die Zukunft: Ein Raumschiff stürzt ab, auf einen vermeintlich unbekannten Planeten, der sich später als die Erde der Zukunft erweist. Hier haben mittlerweile die Affen die Macht gewonnen und unterdrücken die Menschen. Die immer wieder mehr als angedeutete Assoziation Affen=Türken, Menschen=Deutsche wirkt nur im ersten Augenblick provokant und störend, wird sie doch mit soviel Witz, Ironie und Intelligenz durchgespielt, dass der Zuschauer dieser vermeintlich kruden Metapher gern folgt.
Denn Erpulat hat noch eine besondere Wendung eingebaut: Die Affen haben ein heiliges Buch, deren Autor sie als Gott verehren, und deren Thesen sie gefolgt sind auf dem Weg zur Macht. Es handelt sich natürlich um Thilo Sarrazin, dessen Schreckensszenario einer drohenden Überfremdung die "Fremden" als Handlungsanweisung genutzt haben und dessen simple Integrationsideolgie sie jetzt gegen die neue Minderheit kehren. Diese Minderheit, so befürchten sie, könnte bald wieder zur Mehrheit werden, Sarrazins Horrorszenario zur nicht endenden Kreisbewegung, Überfremdungsangst als Perpetuum Mobile. Immer wieder erscheint eine Sarrazin-Puppe, als "Gott aus Maschine", wie einer der Raumfahrer wissend übersetzt, als oberste Instanz der "Affen".
Erpulat und sein ansteckend spielfreudiges, ja spielwüntiges Ensemble spielen sämtliche Klischees und Ängste durch und führen sie ad absurdum - nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern durch die Übertragung in neue Zusammenhänge oder einfach ihr Vorführen auf der Bühne. Da rappt ein Türke über seine Herkunft, das publikum spendet Szenenapplaus, bevor der Rapper die Erwartung, ein Türke auf der Bühne müsse rappen, als Klischee, als Vorurteil entlarvt. Da wird gelungene Integration als quasi-religiöser Prozess vorgeführt, an dessen Ende dem Integrierten eine Matte dichten Brusthaars sprießt. Da werden die Integrationswilligen schnell wieder aus der Gemeinschaft ausgestoßen, wenn sie aus Sicht der die Integration Fordernden ihre Rolle nicht fehlerfrei ausführen.
Clash belehrt nicht, Clash zeigt, es spielt Szenarien durch, kippt sie ins Absurde. Sarrazins (und nicht nur seines) Diktum der Umkehrung der Kräfteverhältnisse durch unterschiedlich hohe Geburtenraten: Nicht nur vertauscht Erpulat die Rollen, er lässt sein jugendliches Ensemble mit Begeisterung den nach Sarrazin logischen Ausweg durchexerzieren: Sich paaren, bis man (wieder) die Mehrheit ist.
Überhaupt darf man nicht vergessen: Dies ist eine Komödie! Und so lässt Erpulat auch gern einmal das Spiel laufen, wird die großartige Choreografie des Raumschiff-Absturzes zum rauschhaften Spiel, darf der Spieltrieb auch gern mal zum Selbstzweck werden. Das nimmt dem Stück den Ernst, nicht jedoch seine Schärfe.
Will man tatsächlich etwas kritisieren, sind es die musikalischen Einlagen. Am Bühnenrand - und auch sonst am Rande des Geschehens - steht ein Band-Podium, auf dem ein Teil des Ensembles seine musikalischen Talente ausleben und zeigen darf. Die sind durchaus beträchtlich, trotzdem tragen die musikalischen Einlagen wenig bis nichts zum Stück bei und stören den Rhythmus des Abends - zum einen, weil sie immer wieder den Spielfluss unterbrechen,zum anderen, weil sie einzelne Darsteller wiederholt für längere Zeit auf die Seite zwingt. Doch auch wenn es den Kritiker freut, etwas aussetzen zu können, bleibt es Jammern auf höchstem Niveau.
Nurkan Erpulat und seinem begeisterten und begeisterndem jungen Ensemble ist ein Abend gelungen, der vor Intelligenz, Witz und Spielfreude nur so strotzt, der nicht diskutiert, sondern zeigt, und immer wieder so weit um die Ecke denkt, dass plötzlich Wahrheiten aufscheinen, die auch dem Zuschauer sauer aufstoßen sollten. Indem die Integrationsdebatte bis ins Absurde weitergeführt wird, tritt ihr Kern ebenso zu Tage wie der Schleier, mit dem Klischees und Vorurteile, insbesondere jene, die gar nicht als solche erkannt werden, den Blick auf das Wesentliche verbergen. Und vielleicht ist es die größte Ironie, dass aqusgerechnet dem "Jungen DT" der gelungenste Abend dieser DT-Spielzeit gelingt.
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April 22, 2011
Film review: Never Let Me Go (Director: Mark Romanek)
Something is different. It may look and feel like the world we know, but it isn't. Or rather, it is but not quite. A medical breakthrough occurred in 1952, we read on the opening screen, leading to a cure of most serious diseases. Waht it was we do not learn. Rather we are soon plunged into an English boarding school, or maybe an orphanage. Everything is normal, the children happy, the teachers kind.
And yet, again there is feeling that something is not quite right. It's subtle hints mostly, easy to miss, hardly noticeable and yet, because of this subtlety, particularly powerful: the daily routines like the jug of milk for every child accompanied by what looks like a pill box, the scanner they must activated when they leave the building, they have first names but only initials or surnames, the teachers are called guardians, the cryptic hints that they are special. These children, we soon gather, ar not "normal", they are here for a reason, a special purpose.
When the secret is revealed, it happens so matter-of-factly, so devoid of sentimentality that the viewer has no way of escaping. Director Mark Romanek succeeds to translate this earthshattering moment in Kazuo Ishiguro's novel into such a dry, stark, totally unsensational scene that manages in its pointedly unremarkable nature to anchor the film. After this everything is different, especially because nothing changes.
For this is the most disturbing aspect of both book and film: When the children learn what their sole purpose in life is, that they have been created as nothing more than human material to help others, they continue like before. Their conditioning has been effective: Never is there even a hint that breaking out, rebelling against their fate is even conceivable. Not for the children, not for the guardians. Horror stories about what happens when you climb the fence are accepted without questioning. Even later, when they try to change the life for which they were created they do so within the system. To fight is never enters anybody's mind.
Romanek, along with Ishiguro, poses questions which touch the very essens of what it means to be human: How far are we willing to go for progress? What are we ready to sacrifice to help others? Surely, this goes way too far, but where is the limit? The film asks the questions, we must find the answers. But he also does something else: He shows, ever so subtly, how power mechanisms work, how societies function how people can be conditioned to willingly, even proudly, assist in their own destruction. And Romanek does this with the slightest of brushes, again, one must be careful not to miss the subtle hints.
In the middle of all of this, Romanek unfolds a growing-up story, a complicated love tale, so narmal, its stark contrast to the larger issues discussed is shockingly moving. He has assempled a fantastic cast: Carey Mulligan as the kind, rational, patient Cathy, Keira Knightly as the manipulative, dominating yet ultimately help- and clueless Ruth and particularly Andrew Garfield, whose Tommy, always a little lost, naive but hopeful, mirrors the audience's response most closely.
All of thois takes place in a pleasant enough world which however is strangely fogged. When the sun shines, it lacks brilliance and warmth, there is always a veil over the mages, infusing the scene with a sense of melancholy and a feeling that this is a shadow world, not even existing to the "normal people" out there. Yet there is color, there is life, against the odds. Each sequence of scenes is introduced with a different color, pale but vibrant. it is one of those many subtle, unassuming signals in this remarkable, humane as well as unforgiving film.
And yet, again there is feeling that something is not quite right. It's subtle hints mostly, easy to miss, hardly noticeable and yet, because of this subtlety, particularly powerful: the daily routines like the jug of milk for every child accompanied by what looks like a pill box, the scanner they must activated when they leave the building, they have first names but only initials or surnames, the teachers are called guardians, the cryptic hints that they are special. These children, we soon gather, ar not "normal", they are here for a reason, a special purpose.
When the secret is revealed, it happens so matter-of-factly, so devoid of sentimentality that the viewer has no way of escaping. Director Mark Romanek succeeds to translate this earthshattering moment in Kazuo Ishiguro's novel into such a dry, stark, totally unsensational scene that manages in its pointedly unremarkable nature to anchor the film. After this everything is different, especially because nothing changes.
For this is the most disturbing aspect of both book and film: When the children learn what their sole purpose in life is, that they have been created as nothing more than human material to help others, they continue like before. Their conditioning has been effective: Never is there even a hint that breaking out, rebelling against their fate is even conceivable. Not for the children, not for the guardians. Horror stories about what happens when you climb the fence are accepted without questioning. Even later, when they try to change the life for which they were created they do so within the system. To fight is never enters anybody's mind.
Romanek, along with Ishiguro, poses questions which touch the very essens of what it means to be human: How far are we willing to go for progress? What are we ready to sacrifice to help others? Surely, this goes way too far, but where is the limit? The film asks the questions, we must find the answers. But he also does something else: He shows, ever so subtly, how power mechanisms work, how societies function how people can be conditioned to willingly, even proudly, assist in their own destruction. And Romanek does this with the slightest of brushes, again, one must be careful not to miss the subtle hints.
In the middle of all of this, Romanek unfolds a growing-up story, a complicated love tale, so narmal, its stark contrast to the larger issues discussed is shockingly moving. He has assempled a fantastic cast: Carey Mulligan as the kind, rational, patient Cathy, Keira Knightly as the manipulative, dominating yet ultimately help- and clueless Ruth and particularly Andrew Garfield, whose Tommy, always a little lost, naive but hopeful, mirrors the audience's response most closely.
All of thois takes place in a pleasant enough world which however is strangely fogged. When the sun shines, it lacks brilliance and warmth, there is always a veil over the mages, infusing the scene with a sense of melancholy and a feeling that this is a shadow world, not even existing to the "normal people" out there. Yet there is color, there is life, against the odds. Each sequence of scenes is introduced with a different color, pale but vibrant. it is one of those many subtle, unassuming signals in this remarkable, humane as well as unforgiving film.
April 14, 2011
Frank Wedekind: Lulu, Berliner Ensemble (Regie Robert Wilson)
Lulu, Frank Wedekinds heute bekanntestes Stück, war schon immer für einen Skandal oder zumindest einen Aufreger gut. 1904 verhinderte die Polizei die zweite Aufführung, 1988 erregte sich die Presse über die nackte Susanne Lothar in Peter Zadeks legendärer Inszenierung, im vergangenen Jahr sorgteVolker Löschs Interpretation an der Berliner Schaubühne wenigstens noch für ein paar Schlagzeilen, stellte er doch einen Chor aus echten Prostituierten auf die Bühne. Nun hat sich Robert Wilson des Stoffs angenommen, dieser aus der Zeitgefallene Imprssionist, diese Theatermaler mit seinen weiß geschminkten Darstellern, den marionettenhaften Bewegungen, der grotesk überzeichneten Gestik und Mimik, den boulevardesken Sound-Effekten.
Wilsons Theater ist unverkennbar, im Guten wie im Schlechten. Stets visuell überwältigend, nicht selten aber auch steril und kalt. Wenn es funktioniert, gelingen ihm Neuinterpretationen atemberaubender Originalität, wenn nicht, bleibt leerer Manierismus. Die Frage ist immer: Inszeniert er ein Stück oder ist es "nur" ein Robert-Wilson-Abend. Oder um konkret zu werden: Wieviel Lulu steckt in Lulu? Stellt Wilson sein Regiewerk in den Dienst des Stücks oder doch nur in seinen eigenen?
Der Anfang ist viel versprechend. Früh wird klar: Wilson hat diesmal einen klaren interpretatorischen Ansatz. Er beginnt mit Lulus Tod, gestaltet mit ihm die Übergänge zwischen den Akten und endet damit. Diese Lulu ist schon tot, bevor der Reigen ihrer erotischen Abenteuer und Albträume beginnt.So legt sich eine leise Melancholie über das Geschehen, weit jenseits der gewohnten Mischung aus Sex und Gewalt. Es ist eine traurige lulu, ein sehnsuchtsvolles Traumspiel, das sich andeutet. Lulu, das männerverschliengende Kindweib, hier ist es eine einsame Sehnsuchtsfigur ohne Zukunft, ohne Liebe, ohne Erfüllung. Eine Projektion der sie begehrenden Männer, ein kaum greifbares Traumobjekt. Diese Lulu ist nie wirklich präsent, sie ist immer schon im Entschwinden.
Die Besetzung der Titelfigur ist ein Geniestreich. Angela Winkler, eigentlich um Jahrzehnte zu alt für diese Rolle, spielt Lulu mit einer entrückten Unschuld, die so gar nicht zum Klischeebild dieser Figur passt. Kein sexuelles Raubtier, eher eine innerlich Getriebene, die aus ihrer eigenen Umklammerung nie wirklich entrinnt. Selbst Projektionsfläche, sind auch die sie umgebenden Männer nicht viel mehr als Leinwand für ihre Sehnsüchte, ihr Verlangen, etwas festzuhalten, das schon längst verschwunden ist, das vielleicht nie da war. Es beginnt als Traumspiel und wird doch schnell zum Geistertanz. Träumt Lulu oder wird sie geträumt, ist sie der geist oder sind es die Männer oder gar beide? Wilsons Deutung lässt vieles offen und genau das ist ihre Stärke.
Natürlich gelingen ihm großartige Bilder, am unvergesslichsten jenes direkt nach der Pause, das völlig zu Recht auch Szenenapplaus erhält. Eine Zypressenall, an ihrem Ende die schwarz gekleidete Lulu. Ein Bild zwischen Magritte und Hopper, zwischen surrealem Traumbild und Ikonografie der Einsamkeit. Es ist auch die stärkste Szene. Die in stakkatohaftem Selbstgespräch gefangene Lulu, die Polyphonie der aus allen Richtungen kommenden Stimmen, die kalte unmenschliche Schönheit der Szenerie - visuell eindrucksvoller und vor allem eindringlicher lassen dich Verlorenheit und Verlassenheit nicht darstellen.
So zwingend und spannend der interpretatorische Ansatz, so stark das Ensemble - neben Winkler ist vor allem der von Jürgen Holtz verkörperte Vater zu nennen, die einzige Figur, die aus dems scherenschnittartigen Charakteruniversum ausbricht, in seinem unerbittlichen, mitleidlosen, auf den eigenen Vorteil bedachten Pragmatismus - so grandios einzelne Bilder sind: Über weitere Strecken krankt die Inszenierung an Wilsons Grundprinzip: Sein Regiekonzept erstickt den Atem des Stücks, viel, zu viel des Wilsonschen Instrumentarium erstarrt zur Manier, ist nur Selbstzweck.
Die verzerrten Bewegungen, das expressionistisch sein wollende Spiel, die üblichen Zutaten vom Farbwechsel über den leeren Bilderrahmen bis zur Neonröhre: Sie sind zu sehr Wilson und zu wenig Lulu.Nur selten stehen Wilsons Mittel im Dienst des Stücks, zu oft knarrt und quietscht das Räderwerk, zu zäh quält sich das Geschehen voran. Vor allem im ersten Teil herrscht über weite Strecken gähnende Langeweile, wirkt der regisseur wie ein Magier, dessen Tricks man längst durchschaut hat.
Leider trägt dazu auch eine der Stärken von Wilsons Theater bei: die Musik. Gelingt es ihm sonst oft, Bilder, Sprache und Musik zu einer faszinierenden Einheit, einer neuen Sprache zu verschmelzen, bleiben die Songs, die es sich diesaml von Lou Reed hat schreiben lassen oder sich ausgeliehen hat, wie Fremdkörper. Die Übergänge zwischen Sprechen und Singen sind bemüht, immer wieder sind die Lieder Unterbrechungen, bremsen die den Rhythmus des Abends, zerfällt das stück zur Nummernrevue. Eine atmosphärische Dichte schaffen sie nicht, eher tragen sie dazu bei, dasss der Abend immer wieder zerfasert, dass die Puzzleteile nicht so recht zusammenpassen wollen.
Am Ende bleibt ein Abend mit einer spannenden Idee, einigen fantastischen Szenen, einem großartigen Ensemble, viel Leerlauf und einer Menge schöner, aber leerer Hüllen.
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Wilsons Theater ist unverkennbar, im Guten wie im Schlechten. Stets visuell überwältigend, nicht selten aber auch steril und kalt. Wenn es funktioniert, gelingen ihm Neuinterpretationen atemberaubender Originalität, wenn nicht, bleibt leerer Manierismus. Die Frage ist immer: Inszeniert er ein Stück oder ist es "nur" ein Robert-Wilson-Abend. Oder um konkret zu werden: Wieviel Lulu steckt in Lulu? Stellt Wilson sein Regiewerk in den Dienst des Stücks oder doch nur in seinen eigenen?
Der Anfang ist viel versprechend. Früh wird klar: Wilson hat diesmal einen klaren interpretatorischen Ansatz. Er beginnt mit Lulus Tod, gestaltet mit ihm die Übergänge zwischen den Akten und endet damit. Diese Lulu ist schon tot, bevor der Reigen ihrer erotischen Abenteuer und Albträume beginnt.So legt sich eine leise Melancholie über das Geschehen, weit jenseits der gewohnten Mischung aus Sex und Gewalt. Es ist eine traurige lulu, ein sehnsuchtsvolles Traumspiel, das sich andeutet. Lulu, das männerverschliengende Kindweib, hier ist es eine einsame Sehnsuchtsfigur ohne Zukunft, ohne Liebe, ohne Erfüllung. Eine Projektion der sie begehrenden Männer, ein kaum greifbares Traumobjekt. Diese Lulu ist nie wirklich präsent, sie ist immer schon im Entschwinden.
Die Besetzung der Titelfigur ist ein Geniestreich. Angela Winkler, eigentlich um Jahrzehnte zu alt für diese Rolle, spielt Lulu mit einer entrückten Unschuld, die so gar nicht zum Klischeebild dieser Figur passt. Kein sexuelles Raubtier, eher eine innerlich Getriebene, die aus ihrer eigenen Umklammerung nie wirklich entrinnt. Selbst Projektionsfläche, sind auch die sie umgebenden Männer nicht viel mehr als Leinwand für ihre Sehnsüchte, ihr Verlangen, etwas festzuhalten, das schon längst verschwunden ist, das vielleicht nie da war. Es beginnt als Traumspiel und wird doch schnell zum Geistertanz. Träumt Lulu oder wird sie geträumt, ist sie der geist oder sind es die Männer oder gar beide? Wilsons Deutung lässt vieles offen und genau das ist ihre Stärke.
Natürlich gelingen ihm großartige Bilder, am unvergesslichsten jenes direkt nach der Pause, das völlig zu Recht auch Szenenapplaus erhält. Eine Zypressenall, an ihrem Ende die schwarz gekleidete Lulu. Ein Bild zwischen Magritte und Hopper, zwischen surrealem Traumbild und Ikonografie der Einsamkeit. Es ist auch die stärkste Szene. Die in stakkatohaftem Selbstgespräch gefangene Lulu, die Polyphonie der aus allen Richtungen kommenden Stimmen, die kalte unmenschliche Schönheit der Szenerie - visuell eindrucksvoller und vor allem eindringlicher lassen dich Verlorenheit und Verlassenheit nicht darstellen.
So zwingend und spannend der interpretatorische Ansatz, so stark das Ensemble - neben Winkler ist vor allem der von Jürgen Holtz verkörperte Vater zu nennen, die einzige Figur, die aus dems scherenschnittartigen Charakteruniversum ausbricht, in seinem unerbittlichen, mitleidlosen, auf den eigenen Vorteil bedachten Pragmatismus - so grandios einzelne Bilder sind: Über weitere Strecken krankt die Inszenierung an Wilsons Grundprinzip: Sein Regiekonzept erstickt den Atem des Stücks, viel, zu viel des Wilsonschen Instrumentarium erstarrt zur Manier, ist nur Selbstzweck.
Die verzerrten Bewegungen, das expressionistisch sein wollende Spiel, die üblichen Zutaten vom Farbwechsel über den leeren Bilderrahmen bis zur Neonröhre: Sie sind zu sehr Wilson und zu wenig Lulu.Nur selten stehen Wilsons Mittel im Dienst des Stücks, zu oft knarrt und quietscht das Räderwerk, zu zäh quält sich das Geschehen voran. Vor allem im ersten Teil herrscht über weite Strecken gähnende Langeweile, wirkt der regisseur wie ein Magier, dessen Tricks man längst durchschaut hat.
Leider trägt dazu auch eine der Stärken von Wilsons Theater bei: die Musik. Gelingt es ihm sonst oft, Bilder, Sprache und Musik zu einer faszinierenden Einheit, einer neuen Sprache zu verschmelzen, bleiben die Songs, die es sich diesaml von Lou Reed hat schreiben lassen oder sich ausgeliehen hat, wie Fremdkörper. Die Übergänge zwischen Sprechen und Singen sind bemüht, immer wieder sind die Lieder Unterbrechungen, bremsen die den Rhythmus des Abends, zerfällt das stück zur Nummernrevue. Eine atmosphärische Dichte schaffen sie nicht, eher tragen sie dazu bei, dasss der Abend immer wieder zerfasert, dass die Puzzleteile nicht so recht zusammenpassen wollen.
Am Ende bleibt ein Abend mit einer spannenden Idee, einigen fantastischen Szenen, einem großartigen Ensemble, viel Leerlauf und einer Menge schöner, aber leerer Hüllen.
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April 10, 2011
Judith Herzberg: Über Leben, Deutsches Theater Berlin (Regie: Stephan Kimmig)
Es ist ein wahrer Kraftakt, den Regisseur Stephan Kimmig und sein Ensemble stemmen. Drei Stücke, eine Trilogie der niederländischen Dramatikerin und Dichterin judith Herzberg, an einem Abend, viereinhalb angespannte, zumindest schauspielerisch intensive, auf jeden Fall für Ensemble wie Zuschauer anstrengende. Stunden.
Zwischen 1982 und 2002 entstanden, umspannen Leas Hochzeit, Heftgarn und Simon die Geschichte einer jüdischen Familie über 26 Jahre und drei Generationen hinweg. Im Mittelpunkt stehen Simon und Ada, Holocaust-Überlebende, ihre Tochter Lea und Riet, eine nichtjüdische Frau, bei der Lea im Krieg Zuflucht fand und die von dieser immer noch Mama genannt wird. Dazu kommen Nico, Leas dritter Mann, und seine Familie, sowie einige Figuren an der Familienperipherie.
Leas Hochzeit ist beispielhaft für Herzbergs dramatischen Stil: Es ist ein episodenhaftes Theater, in dem sich kurze Einzelszenen, dialogische Aufabauten größter Spannung, abwechseln, quasi einander den Staffelstab übergeben.Stephan Kimmig inszeniert das als durchchoreografierte Abfolge familiärer Mikroaufstellungen. Kaum merklich bewegen sich die Figuren aufeinander zu und voneinander weg, bis sie die Konstellation erreicht, ihr Gegenüber gefunden haben, für das kurze Aufeinandertreffen.
Das ist klar und virtuos strukturiert, wirft den auch aus Zeitgründen sehr schnell auf einander folgenden Kleinszenen aber ein enges formales Korsett über, welches das Stück über weite Strecken einschnürt und nicht atmen lässt. Es ist vor allem den grandiosen Schauspielen zu verdanken, dass einige Szenen hängen bleiben.
Dies gilt vor allem für den nie ausgesprochenen Konflikt zwischen Ada (Almut Zilcher) und Riet (Christine Schorn). Riet ist für Ada eine Erinnerung an das Geschehene. Riet symbolisiert das Nieausgesprochene, das wie eine unsichtbare Mauer zwischen allen Beteiligten steht. Riet dagegen hat den Verlust Leas nie überwunden. Adas Überleben hat ihre Familie zerstört. Das Verhältnis der beiden ist das Herzstück von Herzbergs Trilogie, symbolisiert es doch die Macht, welche die Shoah über die Überlebenden und ihre Familien hat, der Schatten, mit dem sie sich über diese Leben legt. So bedeutend diesesVerhältnis ist, so behutsam hat Herzberg es in ihren Stücken nur angedeutet. Zilcher und Schorn spielen das auf subtilste Weise aus, in Blicken, Blickverweigerungen, kleinsten Bewegungen, kaum merklichen Änderungen im Tonfall. So unfassbar der Schrecken ist, so ungreifbar ist er hier.
Leider sind das nur kurze Momente, ansonsten bleibt der erste Teil seltsam blutarm, verpuffen die Dialoge, insbesondere die Shoah-Thematik, in leeren Sentenzen. Teil zwei ist zunächst nicht besser, was auch am Bühnenbild von Katja Haß liegt. Spielt Leas Hochzeit weitgehend vor einer Sperrholzwand, öffnet sich diese jetzt zu einer rechtwinkligen Anordnung mehrerer solcher Wände, mit untrerschiedlich großen Öffnungen, die sich nun auch noch fast ununterbrochen drehen. Das verleiht der Szenerie unnötige Hektik, ohne visuell zur Wirkung des Stücks beizutragen. Die Böhne bleibt Kulisse und wird nie zum Spielraum.
Teil zwei ist eine Abfolge von Auf- und Abgängen. Figuren komme auf die Bühne, haben einen kurzen Dialog, treten ab während die nächsten kommen. Und doch funktioniert dieser zweite Teil besser. zum einen liegtgt das daran, dass sie die eher statische Afstellung des Beginns zu einem immer zwingender werdenden Rhythmus verdichtet. Ein zweiter Grund ist, dass Kimmig jetzt auch den Humor zulässt, der bei Herzberg nie ganz fehlt. Vor allem Michael Gerber als Klempner sorgt für einige Lacher. Die Auflockerung lenkt nicht vom ernsten Gehalt ab, im Gegenteil: Sie atmet dem Stück erst Leben ein. Und so steht die erschütterndste Szene in eben diesem zweiten Teil. Sie gehört dem überragenden Markwart Müller-Elmau als Nicos Vater, ein etwas zwielichtiger Charakter, dessen Ausbruch über das Nichtfassenkönnen der Shoah wie ein Gewitter über die Szene fegt, kein reinigendes, aber eines, das dafür sorgt, dass das Nichtgesagte, das Nichtsagbare zumindest nicht mehr zu ignorieren ist.
Im dritten teil kehr Kimmig wieder zur Gruppenaufstellung zurück, die Figuren steh an der Rampe, sprechen zunächst mehr ins Publikum als zueinander. Geister der Toten treten auf, auch die junge Generation, die sich gegen den eisernen Griff der Vergangenheit, die nicht die ihre ist, zu wehren versucht, ist dabei. Kimmig und seinem Ensemble gelingen einige dichte Momente, am Ende zerfasert alles in zu vielen Abschiedsszenen vom sterbenden Simon (Christian Grashof). Simon ist das schwächste Stückder Trilogie, auch weil Ada, die in Heftgarn stirbt, fehlt. Zudem ist Herzberg anzumerken, dass sie Schwierigkeiten hat, die Unwilligkeit der Jungen, die Last der Älteren weiterzutragen, zu artikulieren, ohne platt zu wirken. Und so ist dieser Schlussteil ein unbefriedigendes Auslaufen. Grashof, den man lange nicht mehr so stark gesehen hat und der seinen Simon aansatzlos von Lebensbejahung in Verzweiflung fallen lssen kann, gibt sein bestes, diesen dritten teil zusammenzuhalten. Ganz gelingt ihm das nicht, auch wenn gerade die Jungen (insbesondere Moritz Grove und Paul Schröder) ihm hochkonzentriert dabei helfen.
Am Ende bleibt ein komplexer und anstrender Abend mit einigen Lichtblicken und einer Menge Schatten, an dem immerhin in einigen Momenten Herzbergs hochkomplexes Familiendrama im Schatten der Shoah aufblitzt, in seiner brutalen Verbindung aus Lebensbejahung und Ausweglosigkeit, aus Verdrängen und Hilflosigkeit, aus Herausschreienwollen und Nichtssagenkönnen. Ein Abend vor allem der Schauspieler: die große Christine Schorn als naiv-gutherzige duldsame Riet, Almut Zilchers immer am Rand des in den Wahnsinn Gleitens befindliche Ada, Müller-Elmaus und Grashofs sich gegen das Zerbrechen wehrende Väter, Meike drostes hysterisch-würdevolle Verlassene. Und vielleicht ist das Bemerkenswerteste und Wichtigste an diesem Abend, dass es ihn überhaupt gibt.
Zwischen 1982 und 2002 entstanden, umspannen Leas Hochzeit, Heftgarn und Simon die Geschichte einer jüdischen Familie über 26 Jahre und drei Generationen hinweg. Im Mittelpunkt stehen Simon und Ada, Holocaust-Überlebende, ihre Tochter Lea und Riet, eine nichtjüdische Frau, bei der Lea im Krieg Zuflucht fand und die von dieser immer noch Mama genannt wird. Dazu kommen Nico, Leas dritter Mann, und seine Familie, sowie einige Figuren an der Familienperipherie.
Leas Hochzeit ist beispielhaft für Herzbergs dramatischen Stil: Es ist ein episodenhaftes Theater, in dem sich kurze Einzelszenen, dialogische Aufabauten größter Spannung, abwechseln, quasi einander den Staffelstab übergeben.Stephan Kimmig inszeniert das als durchchoreografierte Abfolge familiärer Mikroaufstellungen. Kaum merklich bewegen sich die Figuren aufeinander zu und voneinander weg, bis sie die Konstellation erreicht, ihr Gegenüber gefunden haben, für das kurze Aufeinandertreffen.
Das ist klar und virtuos strukturiert, wirft den auch aus Zeitgründen sehr schnell auf einander folgenden Kleinszenen aber ein enges formales Korsett über, welches das Stück über weite Strecken einschnürt und nicht atmen lässt. Es ist vor allem den grandiosen Schauspielen zu verdanken, dass einige Szenen hängen bleiben.
Dies gilt vor allem für den nie ausgesprochenen Konflikt zwischen Ada (Almut Zilcher) und Riet (Christine Schorn). Riet ist für Ada eine Erinnerung an das Geschehene. Riet symbolisiert das Nieausgesprochene, das wie eine unsichtbare Mauer zwischen allen Beteiligten steht. Riet dagegen hat den Verlust Leas nie überwunden. Adas Überleben hat ihre Familie zerstört. Das Verhältnis der beiden ist das Herzstück von Herzbergs Trilogie, symbolisiert es doch die Macht, welche die Shoah über die Überlebenden und ihre Familien hat, der Schatten, mit dem sie sich über diese Leben legt. So bedeutend diesesVerhältnis ist, so behutsam hat Herzberg es in ihren Stücken nur angedeutet. Zilcher und Schorn spielen das auf subtilste Weise aus, in Blicken, Blickverweigerungen, kleinsten Bewegungen, kaum merklichen Änderungen im Tonfall. So unfassbar der Schrecken ist, so ungreifbar ist er hier.
Leider sind das nur kurze Momente, ansonsten bleibt der erste Teil seltsam blutarm, verpuffen die Dialoge, insbesondere die Shoah-Thematik, in leeren Sentenzen. Teil zwei ist zunächst nicht besser, was auch am Bühnenbild von Katja Haß liegt. Spielt Leas Hochzeit weitgehend vor einer Sperrholzwand, öffnet sich diese jetzt zu einer rechtwinkligen Anordnung mehrerer solcher Wände, mit untrerschiedlich großen Öffnungen, die sich nun auch noch fast ununterbrochen drehen. Das verleiht der Szenerie unnötige Hektik, ohne visuell zur Wirkung des Stücks beizutragen. Die Böhne bleibt Kulisse und wird nie zum Spielraum.
Teil zwei ist eine Abfolge von Auf- und Abgängen. Figuren komme auf die Bühne, haben einen kurzen Dialog, treten ab während die nächsten kommen. Und doch funktioniert dieser zweite Teil besser. zum einen liegtgt das daran, dass sie die eher statische Afstellung des Beginns zu einem immer zwingender werdenden Rhythmus verdichtet. Ein zweiter Grund ist, dass Kimmig jetzt auch den Humor zulässt, der bei Herzberg nie ganz fehlt. Vor allem Michael Gerber als Klempner sorgt für einige Lacher. Die Auflockerung lenkt nicht vom ernsten Gehalt ab, im Gegenteil: Sie atmet dem Stück erst Leben ein. Und so steht die erschütterndste Szene in eben diesem zweiten Teil. Sie gehört dem überragenden Markwart Müller-Elmau als Nicos Vater, ein etwas zwielichtiger Charakter, dessen Ausbruch über das Nichtfassenkönnen der Shoah wie ein Gewitter über die Szene fegt, kein reinigendes, aber eines, das dafür sorgt, dass das Nichtgesagte, das Nichtsagbare zumindest nicht mehr zu ignorieren ist.
Im dritten teil kehr Kimmig wieder zur Gruppenaufstellung zurück, die Figuren steh an der Rampe, sprechen zunächst mehr ins Publikum als zueinander. Geister der Toten treten auf, auch die junge Generation, die sich gegen den eisernen Griff der Vergangenheit, die nicht die ihre ist, zu wehren versucht, ist dabei. Kimmig und seinem Ensemble gelingen einige dichte Momente, am Ende zerfasert alles in zu vielen Abschiedsszenen vom sterbenden Simon (Christian Grashof). Simon ist das schwächste Stückder Trilogie, auch weil Ada, die in Heftgarn stirbt, fehlt. Zudem ist Herzberg anzumerken, dass sie Schwierigkeiten hat, die Unwilligkeit der Jungen, die Last der Älteren weiterzutragen, zu artikulieren, ohne platt zu wirken. Und so ist dieser Schlussteil ein unbefriedigendes Auslaufen. Grashof, den man lange nicht mehr so stark gesehen hat und der seinen Simon aansatzlos von Lebensbejahung in Verzweiflung fallen lssen kann, gibt sein bestes, diesen dritten teil zusammenzuhalten. Ganz gelingt ihm das nicht, auch wenn gerade die Jungen (insbesondere Moritz Grove und Paul Schröder) ihm hochkonzentriert dabei helfen.
Am Ende bleibt ein komplexer und anstrender Abend mit einigen Lichtblicken und einer Menge Schatten, an dem immerhin in einigen Momenten Herzbergs hochkomplexes Familiendrama im Schatten der Shoah aufblitzt, in seiner brutalen Verbindung aus Lebensbejahung und Ausweglosigkeit, aus Verdrängen und Hilflosigkeit, aus Herausschreienwollen und Nichtssagenkönnen. Ein Abend vor allem der Schauspieler: die große Christine Schorn als naiv-gutherzige duldsame Riet, Almut Zilchers immer am Rand des in den Wahnsinn Gleitens befindliche Ada, Müller-Elmaus und Grashofs sich gegen das Zerbrechen wehrende Väter, Meike drostes hysterisch-würdevolle Verlassene. Und vielleicht ist das Bemerkenswerteste und Wichtigste an diesem Abend, dass es ihn überhaupt gibt.
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