Am Anfang steht Thomas Loibl vor dem noch geschlossenen Vorhang und erklärt, eine Baustelle sei immer auch ein Kampfplatz, nicht zwischen Menschen, sondern zwischen Mensch und Natur. Was passiert, wenn sich der Mensch über die Natur erhebt und die Natur zurückschägt, zeigt Elfriede Jelinek in Das Werk, dessen Wiener Uraufführung 2003 bereits zum Theatertreffen eingeladen war, und in ihrem neuen Stück Ein Sturz, Als Brücke dient im Bus, eine Passage aus Jelineks Arbeit Tod-krank. Doc, ein Text von 2008, den sie dem damals schon schwerkranken Christoph Schlingensief widmete.
Bauprojekte stehen im Mittelpunkt aller drei Teile, und der Glaube, die Natur bezwingen oder zumindest beherrschen, dem Menschen dienstbar machen zu können: Jelinek erzählt drei Geschichten: die des österreischischen Speicherkraftwerks Kaprun und die zweier Unflücke beim U-Bahn-Bau: 1994 stürzt ein Bus in einen Krater, der sich in Sekundenschnelle aufgetan hatte, drei Menschen sterben, 2009 führen Arbeiten an der Kölner U-Bahn zum einsturz des Stadtarchives und zum Tod zweier Menschen. In Kaprun starben beim Staudammbau offiziell 160 Menschen - allerdings erst nach Kriegsende. Wieviele der vor 1945 eingesetzten Zwangsarbeiter, KZ-Insassen und Kriegsgefangenen ums Leben kamen, werden wir wohl nie erfahren.
Mensch gegen Natur: So könnte man die Klammer des Abends bezeichnen und das Ziel um einiges Verfehlen. Es wäre nicht Jeinek, wenn es nicht auch um den Kampf Mensch gegen Mensch ginge. Davon erzählt vor allem der erste Teil,während sich der Schlussteil vor alem um die Hybris des Menschen gegenüber der Natur widmet. Im Bus bildet dafür den Prolog, bleibt aber ein Fremdkörper der Inszenierung von Karin Beier, zerdrückt zwischen den großen Jelinekschen Textblöcken.
Das beginnt mit Wasser und endet auch damit. Zu Beginn gießen weißbehemdete Männer und schwarzgewandete Frauen Wasser in Gläser und auf den Boden, am Ende lässt Karin Beier die Bühne fluten, mit einer gelblich-schlammigen Brühe, Sinnbild der Vereinigung der Elemente Wasser und Erde, die zuvor zwei Darsteller bereits in angedeuteter Kopulation vollzogen hatten. In Kaprun wurde das Wasser nutzbar gemacht, in regulierte Bahnen gezwungen - in Köln schlug es zurück, in Kaprun triumphierte Baukunst über die Elemente, in Köln war es andersherum.
Das ist die Klammer des Abends, der jedoch noch soviel mehr ist. Da sind zunächst die zwei Texte: Ungetüme Jelinekscher Sprachmacht und doch so unterschiedlich, wie es zwei werke der gleichen Autorin nur sein können. Das Werk ist ein tiefernstes Requiem, eine Anklage gegen das, was Menschen Menschen antun im Namen des Fortschritts, eine Anklage auch gegen das Vergessen und Verdrängen, ein Appell an die Sprachlosen, ein Gedenken an die zahl- und namenlosen Toten.
karin beier inszeniert das mit einer stilistischen Vielfalt, die dem Zuschauer streckenweise den Atem raubt. Zunächst ist da ein statisches Balett der Schreibtische, eine Multiplizität des Ingenieurs und der Frau, ein hochdynamisches Tableau von Fortschrittsglauben und Fortschrittswahn, von menschlichem Ehrgeiz und Hybris. Doch es ist nicht der Angriff gegen die Natur, der diesen ersten Teil dominiert. Das Werk ist in Beiers Interpretation vor allem das Stück der Unterdrückten, Ausgebeuteten, der ihres Lebens, ihres Existenzrechts Beraubten.
Und so brechen sich diese Bahn, zunächst mit einem einzelnen, verzweifelt Brechts Solidaritätslied singenden Manfred Zapatka, später mit einem Tanz der Fallenden und Wiederaufstehenden, zuletzt mit einem großen, virtuos polyphonen Chor, von einer Kraft, die man seit Einar Schleef im deutschsprachigen Theater nicht mehr gesehen hat.. Da stehen sie, die Geknechteten, die willenlosen Handlanger eines Fortschritts, der sie töten wir. Oder schon getötet hat: Jelinek zitiert hier Goethes Gesang der Geister über dem Wasser und vielleicht ist es ein Geisterchor der Nichtvergessenwerdenwollenden. Jelinek und Beier lassen hier den Zeigefinger unten. Der geisterhafte Chor haucht sich in das gedächtnis des Zuschauers, der Preis, den wir für den Fortschritt zahlten, er steht unübersehbar auf der Bühne.
Ein Sturz ist ein völlig anderer Text. Ironisch, satirisch, parodistisch, voll des berühmt-berüchtigten beißenden und nie einem Kalauer abgeneigten Wortwitzes Jelinekscher Prägung. Die Autorin konstruiert ein natürlich monologischen Zwiegespräch des Menschen mit der Erde, der Erde, der er einen klaren Platz zugedacht hat, enge Grenzen, die natürlich nur er, der Mensch definiert. Natürlich nimmt sich die Erde ihr Recht, oder zumindest das Wasser, das starke, nicht zu bändigende Element. Der Mensch kann nur indigniert zuschauen - und vergessend weitermachen.
Karin Beier inszeniert das als lustvolles dynamisches Spiel, in dem Erde und Wasser kopulieren, die planenden Menschen die Erde aus ihrem Kreis verbannen dürfen und schließlich mitansehen müssen, wie sich die Folgen ihrer Hybris zunächst nicht verschweigen lassen und am Ende ihr Reich heimsuchen. Dazu weist der damalige Oberbürgermeister in O-Ton-Fetzen jegliche Verantwortung von sich, brüllt sich die Frage "Wer ist schuld?" wie von selbst, nur um wenig später der zweifellos wichtigeren nach den Kosten Platz zu machen. Am Ende hängen nasse, von der Flut überraschte Blätter an traurigen Wäscheleinen, eine leise Erinnerung daran, dass mit dem Einsturz des Stadtarchivs das Gedächtnis einer Stadt mit untergegangen ist.
Und so schließt sich der Kreis. Das Wasser, die gebändigt geglaubte Natur hat ebenso gesiegt wie das kollektive Vergessen. Ein Etappensieg nur das eine, Vorbote neuen Unheils das andere. Eine von Jelinek gewohnter pessimistischer Ausblick am Ende einer hochkomplexen, mitreißend-polyphonen Inszenierung. Wer Relevanz im Theater einfordert, hier findert er sie. Vielleicht sogar mehr,als ihm lieb ist.
May 08, 2011
Theatertreffen 2011 - Elfriede Jelinek: Das Werk / Im Bus / Ein Sturz, Schauspiel Köln (Regie: Karin Beier)
Labels:
deutsch,
Elfriede Jelinek,
Karin Beier,
Schauspiel Köln,
Theater,
Theatertreffen,
Theatre
Subscribe to:
Post Comments (Atom)
No comments:
Post a Comment