Es gibt Theaterabende, da sitzt man im Zuschauerraum und führt eine virtuelle Liste von sicheren Anzeichen dafür, dass es sich um eine schlechte Inszenierung handelt. Irgendwann ist es drei Stunden später, die Liste, hätte man sie tatsächlich geführt, wäre mehrere Seiten lang, und man stellt mit Verwunderung fest, dass man sich keine Minute gelangweilt hat. Andreas Kriegenburgs Insenierung von Hebbels Judith ist so ein seltsamer Abend.
Er beginnt äußert plakativ, Standbilder und Videos zeigen Szenen aus Afghanistan, Libyen, Irak, Nachrichtensprecher berichten stumm von Krieg und Zerstörung. Davor die Schauspieler, die irgendwann beginnen, Striche schwarzer Farbe über die Projektionen aufzutragen, Striche, die sich zu Farbflächen verdichten, und am Ende Umrisse übrig lassen, die offenbar Menschenformen darstellen sollen, die wiederum Katharina Marie Schubert mit brutroten Klecksen versieht.
Kriegenburgs Theater, das muss jeder wissen,d er sich darauf einlässt, ist eines derBilder, keines der wortmächtigen durchstrukturierten Erzählung. Der Text, er ist bei Kriegenburg immer der Diener des Bilds, das Visuelle das wichtigste Instrument der Inghaltsvermittlung.
Judith ist da am stärksten, wo Kriegenburg eindrucksvolle und sprechende Bilder gelingen. Die Eingangssequenz ist so eines. Ein anderes zeigt Holofernes, gespielt von Alexander Khuon, wie er nacheinander seine Untertanen ermordet und sie ihre blutverschmierten Kriegsmäntel einen nach dem anderen überzieht, bis er sich unter der Last kaum noch bewegen kann. Die Gewalt als Lebensinhalt, als Last, die er zu tragen bereit ist, eine stärkere und präzisere Charakterisierung als diese des Holofernes gelingt an diesem Abend nicht.
Stark auch, die Choreografie des Leidens der Bewohner in der belagerten Stadt, weiß getünchte Gestalten, zitternd, schreiend, ihre Menschlichkeit für ein Stückchen Hoffnung verkaufend. Das ist vielleicht etwas lang geraten, aber ein am Zuschauer zerrendes Tableau von Elend, Verelendung und menschlicher Verödung.
Nicht immer gelingen Kriegenburg und seiner Bühnenbildnerin Juliane Grebin diese Bilder. Manches wirkt bemüht, bleibt Effekt, nicht selten verzettelt sich der Regisseur in zu vielen Details. Dass das Tragische von Hebbels Stück, dass die extrem heutige Frage nach den Grenzen moralischen Handelns, nach der Rolle und Legitimität von Gewalt, nach der Möglichkeit, das Richtige zu tun, indem man moralische Grundregeln außer Kraft setzt, ja die zentrale Frage nach dem Richtig und dem Falsch und nach ihrer Unterscheidbarkeit, die Frage, die Hebbel stellt, aber nicht beantwortet, dass also diese Frage stets präsent bleibt, ist einer spannungsreichen wie fragilen Verbindung zu verdanken, um die Kriegenburg seine Inszenierung baut.
Denn zwischen den Bildern entwickelt sich ein zurückgenommenes, fast klassisches Kammerspiel deren Protagonisten Schuberts Judith und Khuons Holofernes sind. Schubert gibt die Tragödin, die Schmerzensfrau, die an ihrem Schicksal, ganz antike Tragödie, zerbricht. Khuon ist ein pragmatiker, der den hohen Ton eintauscht gegen einen alltäglichen, geschäftlichen Duktus, ein Gewaltarbeiter, ein Geschäftsmann der Vernichtung, kein Monster. Die Aufkündigung des Schwarz und Weiß, die Weigerung, klare und einfache Antworten zu akzeptieren, treibt Kriegenburg um wie sie Hebbel umtrieb. Wer ist hier der held, wer das Monster, wo liegen richtig und falsch? Es ist Kriegenburgs Verdienst, das Fragezeichen nicht aufzulösen, sondern stehen zu lassen und dem Zuschauer mitzugeben.
Wenn der Abend am Ende aber auch Fragen zum eigenen Sinn unbeantwortet lässt, dann liegt dass daran, dass ihm die anfangs behauptete Gegenwärtigkeit ud Heutigkeit nicht gelingt. Am nächsten kommt demnoch Khuon, ansonsten schwebt die Inszenierung in einer Zone des Unzeitgemäßen, des Ungefähren, das nie zur Zeitlosigkeit wird. Kriegenburg verweigert die klare Einordnung und stellungnahme zum jetzt, versagt sich damit aber auch eine spürbare Relevanz. Er verbleibt im überzeitlichen Vagen, das droht, zur Beliebigkeit zu werden. Es bleibt dem Zuschauer überlassen, die Fragen zu konkretisieren und an sich und seine Zeit zu stellen. Ein wahrhaft politischer Regisseur wird Kriegenburg wohl nie.
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