Zugegeben: Die Messlatte lag hoch für diesen, Thalheimers zweiten Hauptmann-Abend am DT. Der Regisseur hatte sie selbst dort platziert, mit seinen fulminanten, schmerzvollen, bewegenden, ja erschütternden Ratten von 2007. Damals hatte Thalheimer Hauptmanns naturalistisches Drama ganz auf die Schicksale der einzelnen Figuren heruntergebrochen und gerade damit eine Verzweiflung geschaffen, die zutiefst menschlich war und gleichzeitig die Unausweichlichkeit, die Unerbittlichkei der antiken Tragödie aufwies. Olaf Altmann schuf dazu einen Bühnenbild, das aus massiven Blöcken bestand, dazwischen ein horizontaler Schlitz, der die bedrückende Enge der Figuren visualisierte und die Darsteller zwang gebückt zu gehen und zu stehen. Ein ebenso einfaches wie eindrucksvolles Bild.
Einfach ist es auch diesmal. Eine Treppe erfüllt die Bühne, unten sitzen die Weber, oben der Fabrikant, dazwischen sein Gehife, der nach oben buckelt und nach unten tritt (später wird er - freiwillig - bebückt die Treppe hinauf und hinab eilen). So eröffnet Thalheimer den abend, eindeutig, klar, wenn auch etwas plump. Denn wirklich neu oder gar originell ist das Bild nicht, eine eindrückliche Visualisierung des Loses der Prortagonisten wie in den Ratten bietet es auch nicht.
Und noch etwas ist anders: Hatte Thalheimer 2007 die großen gesellschaftskritischen Themen des Stücks auf die Figurenebene heruntergebrochen und dadurch erlebbar gemacht, stellt er diesmal Figurengruppen und Figurentypen auf die Bühne,jede eine Gesellschaftsschicht repräsentierend, aber keine Individuen. Jeder steht für etwas, aber keiner ist jemand. Mit einer Ausnahme: der alte Hilse (Jürgen Huth), der sich dem Aufstand verweigert und mit dieser eigenständigen Handlung, dieser souveränden Entscheidung eine Art Selbst gewinnt und für einen kurzen Moment die Intensität, auch Brutalität der Ratten andeutet. Doch da ist das Stück schon fast vorbei und der Abend gelaufen. Selbst den Tod durch einen Querschläger gönnt Thalheimer ihm nicht, Hilse sackt stattdessen einfach zusammen. Opfer duldet dieser Abend nicht.
Mit Naturalismus hat das nichts zu tun, will es auch nicht. Glaubwürdigkeit ist genauso wenig gefragt wie Individualität. Die Figuren bleiben daher Typen. Die weber sind eher versoffen krawallig als verzweifelt, Fabrikant Dreißiger ein gewiefter Rhetoriker, Expedient Pfeifer bis in die Gestik der Prototyp des sich an die Macht hängenden Krichers. Der Erkenntnisgewinn ist gleich Null, Figurenzeichnung nicht vorhanden, jegliche Charakterisierung typisierend, grell und überzeichnet. Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch Slapstick-Elemente den Weg in diese Inszenierung finden. Eigentlich, so sagt uns der Abend, ist das alles ganz lächerlich.
Das gilt auch für die sprachliche Ebene. Schon Hauptmann hat den schlesischen Dialekt in eine künstlerischeAnnäherung übersetzt, sein Schlesisch ist eine Kunstsprache. Thalheimer treibt die Entfremdung weiter. Die Texte werden tonlos, monoton deklamiert oder roboterhaft gebrüllt, Hauptmanns Sprache bleibt stets ein Fremdkörper, den die Darsteller nur widerwillig benutzen und am liebsten ausspeien würden.
Und eine Geschichte: findet eigentlich nicht statt. Thalheimer zeigt, nein er erlaubt keine Entwicklung. Die Rebellion am Ende ist bei ihm das gleiche wie das unzufriedene Meckern vonm Beginn. Der Fabrikant mag verjagt sein, doch selbst wenn die Soldaten nicht kämen, ändern würde sich nichts, nicht mit diesen grölenden Trinkern. Das mag zynoisch sein oder entlarvend, fatalistisch oder resignativ, es ist vor allem eines: uninteressant und langweilig. Und das bei einem Thalheimer-Abend.
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