Fangen wir mal mit dem Positiven an: Es ist (Co-)Regisseur Jürgen Kruse und Intendant Sebastian Hartmann anzurechnen, dass sie den Jedermann, dieses Festival- und Event-Theater-Vehikel par excellence dorthin zurückgebracht haben, wo er hingehört: auf die Theaterbühne. Und schon vor dem eigentlichen Beginn wird klar, worum es hier gehen soll: eine Entrümpelungen des unter Jahrzehnten Kitsch und Effekthascherei erstarrten Stückes. Manuel Harder als Jedermann übt Small Talk mit dem Publikum, stellt den einen oder anderen Darsteller samt Rolle vor und demontiert schon während das Publikum seine Plätze einnimmt den heiligen Ernst, den Hoffmansthal durchaus so gemeint hat, der aber schon längst zwischen Salzburger Festspielen und Berliner Dom zur Pose verkommen ist.
Die moralisierende und an mittelalterliche Mysterienspiele anknüpfende Parabel vom Reichen, der in seiner letzten Stunde sein Leben Revue passieren lässt, der sich zunächst wehrt und dann verzweifelt versucht, seine Seele zu retten - sie ist schon seit Langem wenig mehr als eine Ausrede, mit mehr oder weniger prominenten Darstellern alljährlich viel Geld zu machen. Eine hübsche Ironie bei einem Stück, dass gerade die Nichtigkeit materiellen Reichtums proklamiert. Ernst genommen wird der Jedermann schon lange nicht mehr.
Leider gilt das auch für Kruse und seine Leipziger Inszenierung. Wenn er durch grelle Überzeichnung, alberne Späße und ein betont gekünstelt- übertriebenes Sprechen die Jedermann-Aufführungsgeschichte als oberflächliche Show entlarvt, wirft er gleichzeitig das Stück mit über Bord. Das Problem, so sagt uns diese Aufführung, liegt nicht in der Interpretation - es liegt im Stück selbst. Wenn die Scheinwerfer, die zu Beginn das Publikum blenden, ausgeschaltet sind, sieht man auch nicht klarer, denn wo Kruse die überkommene Effekthascherei beseitigt, ersetzt er diese nur durch neue Effekte. Da glitzert es golden und in grellen Farben, der Teufel erinnert an eine Burlesk-Tänzerin, Gott ist durch und durch Showman, der Tod cool, distanziert und gelangweilt und der Glaube hat sich eine Weltkugel um den Bauch geschnallt und sieht aus wie eine abgehalfterte und leicht debile Version einer Tolkienschen Elbe. Ernst genommen wird hier gar nichts, Lächerlichkeit ist der Modus des Abends.
Und je länger dieser dauert, desto stärker drängt sich die Frage auf, was das eigentlich soll, vor allem, was (Co-)Regisseur und Ensemble wollen, das es bedeutet. Naheliegendste Antwort: Kruse hat eine Gelegenheit gesucht, seine umfangreiche Plattensammlung auszugraben und eine Inszenierung darum zu bauen. Da ist auch das Bühnenbild von Volker Hintermeier kein Zufall, der eine Wand stilisierter Lautstärkerboxen aufgebaut hat. Dazu kommen de üblichen Requisiten wie Truhen, Bücher oder Totenschädel, einige von denen mit Strass besetzt. "Ironie!" schreit das so laut und schrill, dass man sich so manches Mal die Ohren zuhalten will.
Eine Geschichte irgendeiner Art wird hier nicht erzählt, dafür sind die Figuren viel zu plakativ und platt angelegt, dafür werden sie zu sehr der Lächerlichkeit preisgegeben. Stattdessen verkommt das Ganze schnell zur Nummernrevue, bei der sich vermeintlich passende Rock- und Schlagernummern mit platten Scherzen abwechseln und auch Harders im Ansatz durch aus interessanter und an Don Juan erinnernder Jedermann bald nicht mehr interessiert. Statt die rezeptionsgeschichte zu entlarven, wirft Kruse gleich das ganze Stück zum Fraß vor, samt seiner zweifellos nicht wirklich modernen Moralität.
Leider setzt er aber nichts an seine Stelle, keinen Alternativentwurf, nur Leere. Vielleicht ist Moralität altmodisch, vielleicht lohnt es sich nicht, über den Zustand der Welt und die eigene Rolle darin nachzudenken - vielleicht ist das die Botschaft des Abends. Und dann stellt sich Harder kurz vor Ende hin und schwadroniert über aktuelle gesellschaftliche und politische Themen und reißt der Inszenierung den letzten möglicherweise rettenden Strohhalm aus der Hand. Und so stellt Kruse letztlich nichts anderes auf die Bühne als die oft geschmähten Jedermann-Handwerker in Salzburg oder Berlin: eine nette, streckenweise unterhaltsame und immer bunte Show, deren Aussagekraft den Nullpunkt zumindest erreicht. Da kann es den Zuschauer schon frösteln.
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