January 23, 2011

John Steinbeck: Früchte des Zorns, Maxim-Gorki-Theater, Berlin (Regie: Armin Petras)

Man nennt John Steinbecks Früchte des Zorns zuweilen einen Jahrhundertroman, zumindest einen Schlüsselroman des 20. Jahrhunderts. Nicht zu Unrecht, schließlich ist es kaum jemandem so wie Steinbeck gelungen, anhand einer spezifischen gesellschaftlichen Entwicklung die großen Menschheitsfragen zu erörtern, die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen, diue Möglichkeit und Grenzen menschlicher Beziehungen, die Bedeutung der Familie für Individuum wie Gesellschaft. Steinbecks Sujet ist die Vertreibung hunderttausender Bauern und Landarbeiter aus dem so genannten "Dust Bowl", insbesondere Oklahoma in den Dreißigerjahren und ihre Verwandlung in wandernde, nomadisierende, entwurzelte Erntehelfer. Die Bedeutung uns Wirkungsmacht des Buches geht jedoch weit darüber hinaus.

Es ist sicher keine Überraschung, dass es ausgerechnet Armin Petras ist, der gerade erst O'Neills Ein Mond für die Beladenen auf die Gorki-Studiobühne gebracht hat, der diesen in einem ähnlichen Umfeld spielenden Roman auf die Bühne bringt. Oder besser, der es versucht. Denn schon zu Beginn, als die Joad-Famile, auf die sich Petras hier konzentriert, noch zu Hause ist, wozu Olaf Altmann eine papierne Hausfassade an den Bühnenand geklebt hat (wenn die Familie loszieht, wird das Papier abgerissen), wird klar: Dieses mächtige Werk entzieht sich einer dramatischen Bearbeitung, zumindest in seiner Gesamtheit. Als einziger Ausweg erscheint, sich einen Teilaspekt herauszupicken - die Entscheidung, alles auf die Familie Joad zu konzentrieren, lässt vermuten, dass Petras sich dessen beusst war. Allein: Er versucht, alle wesentlichen Themen des Romans durchzuarbeiten. Das muss scheitern und das tut es auch.

Ist die Papierfassade erst einmal eingerisse, inszeniert Petras Steinbecks Gesellschaftspanorama als Roadmovie. Die Akteure sitzen oder stehen auf einer schrägen Rampe, rhythmisches Stampen symbolisiert die Fahrt, auf der Videowand erscheinen mal Highway-Bilder, mal Wildenten, hin und wieder wird ein Modell-Truck umhergetragen, später ein Motor, wenn sie eine panne haben, quillt Rauch aus dem Spielzeug-Laster - subtil ist das alles nicht. Wie bei einem echten Roadmovie erscheinen immer mal wieder neue Figuren, die schnell wieder verschwinden, die Personage der jeweiligen Haltepunkte. Meistens sind es Cops oder andere Gauner, die den Entwurzelten das Leben schwer machen. Egal wem sie begegnen - mit Ausnahme vielleicht des Camp-Wächters - jeder versucht sie zu schikanieren, auszubeuten oder übers Ohr zu hauen. Die Botschaft ist klar, doch der Holzhammer schmerzt.

Problematisch ist auch die Charakterisierung: Tom Joad (Max Simonischek) erscheint als spätpubertärer, grenzdebil grinsender und intellektuell entwas unterbelichteter Hooligan mit mangelnder Selbstbeherrschung. Wenn er am Ende seine revolutionären Thesen zum Besten gibt, ist das an Unglaubwürdigkeit und bizarrer Entgegengesetztheit zu seiner Charakterisierung kaum zu überbieten. Regine Zimmermann als Rose wechselt zwischen naiv-gutgläubig und hysterisch, ohne Zwischentöne zuzulassen, Julischka Eichel spielt Mutter Joad mit unerbittlicher Ernsthaftigkeit fast bis zu Erstarrung, die anderen Figutren bleiben durchgängig blass. Einzig die Großeltern (Ursula Werner und Wolfgang Hosfeld) vermögen kurz zu berühren.

Der ganze Aufbau ist statisch. Zunächst wird die Handlung gespielt, doch wirkliche Interaktion findet kaum statt, die Diaoge werden mehr zum Publikum gesprochen als zueinander. Später werden unvermittelt Erzählerpassagen eingestreut, willkürlich von der einen oder anderen Figur gesprochen. Das wirkt etwas rat- und hilflos - wie auch der Versuch, das familiäre Leiden zur Folie für die großen Themen zu machen, wie es Steinbeck in seinem Roman tut. Das bleibt trockene Deklamation, leere Behauptung, sinnentleerte Worthülsen. Ein Fremdkörper im Stück, aufgesetzt, aber ohne Verbindung zum rest des Geschehens.

Womit wir beim Grundproblem wären: Petras gelingt es nicht im Ansatz die xxx Seiten des Romans auf drei Stunden Theater zu reduzieren, auch weil er sich nicht entscheiden kann, etwas wichtiges Auszulassen. Und so wird der Abend zu einer losen Abfolge mehr oder weniger dramatischer Skizzen, in denen alles nur Andeutung bleibt und nichts eine Chance hat, sich zu entwickeln, greif- und erlebbar zu werden.

Warum alle paar Minuten wechselnde Darsteller Johnny-Cash-Songs singen, erschließt sich übrigens auch nicht.

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