23 Jahre lang war Jörg Gudzuhn Ensemblemitglied am Deutschen Theater und eines der bekanntesten und beliebtesten Gesichter des Hauses noch dazu. Jetzt geht er mit 65 Jahren in den Ruhestand - eine Entscheidung, die sicherlich nicht dadurch behindert wurde, dass er zuletzt unter der Intendanz Ulrich Khuons kaum noch besetzt wurde. Gudzuhn ist eine der letzten der großen Theaterpersönlichkeiten, die dieses Haus über Jahrzehnte hinweg prägten. Ein Dinosaurier vielleicht, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, einem anderen Theater. Seine anderen DT-Rollen, etwa in Der einsame Weg, hat er bereits abgegeben - einen großen "Abgang" bekommt er trotzdem: In Oliver Bukowskis Monolog Der Heiler steht er jetzt - zum letzten Mal? - auf der Bühne der Kammerspiele.
Gudzuhn spielt einen angesehenen und erfolgreichen Psychotherapeuten, dem ein Ruf als eine Art "Wunderheiler" vorauseilt, der nackt neben der Leiche einer ehemaligen Patientin aufwachte und sich nun vor einer Ethikkommission seines Berufsstandes rechtfertigen muss, einer Kommission, die er einst, so betont er nicht ohne Selbstgerechtigkeit, einst selbst gegründet hatte. Wie soviele Monologe ist auch dieser ein verkapptes Mehrpersonendrama. Dieser Prof. Grebenhoeve spricht nicht nur mit sich selbst, er steht vor einer unsichtbaren Kommission, die er anblafft, belehrt, mit einem hohen Maß an Selbstbewusstsein, auch Überheblichkeit, seine Überlegenheit spüren lässt, bis hin zur Verachtung. Und da sind seine Patienten, vor allem die, an denen er scheiterte, die den direkten Weg aus der Praxis in den Suizid wählten, und die in noch immer nicht loslassen, die ihn zur Auseinandersetzung zwingen.
Und so steckt hinter der selbstgewissen, großspurigen, souveränen, eitlen Fassade ein Therapeut, der erfahren musste, dass er nie nur Therapeut sein kann, sondern immer auch Mensch ist, und dass hierin die Wurzel alles Scheiterns liegt. Er durchschaut die falschen Gewissheiten seines Berufsstands, er verzweifelt shier an der Diskrepanz zwischen dem, was der Therapeut versucht und dem, was die Welt verlangt, er kennt die Grenzen des Möglichen und er hat erfahren müssen, dass nicht immer der Therapeut dem Patienten überlegen ist. Und so erzählt er seine Geschichte als eine Geschichte des Scheitern, eine Geschichte, die vor allem auch eine seiner toten Patienten ist, insbesondere jene der Sophie Brettschneider, die den Tod aus freien Stücken, in selbstbestimmter Entscheidung wählt, eine selbstbewusste, kluge, erfolgreiche Frau, die dem berühmten Professor die eigene Unzulänglichkeit vor Augen führt. Dabei wird die Psychotherapie nicht verdammt oder in die Nähe der Scharlatanerie gerückt, sondern auf Normalmaß, soll heißen auf menschliches Maß zurückgeführt, aus dem Halbgott wird wieder ein Mensch, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Bukowski hat einen klugen, gut strukturierten Text geschrieben, der sich zwischen tiefer Ernsthaftigkeit, intelligentem Wortwitz und ehrlicher Selbstbetrachtung mühelos hin- und herbewegt. Und er hat in Gudzuhn einen Darsteller, der diese Wechsel mit einer Sicherheit, nein nicht darstellt, erlebbar macht, die nur als meisterlich bezeichnet werden kann. Schwelgt er zu Beginn noch ganz in seinem typischen spöttischen, musikalischen Tonfall, erweist er sich später als Meister vor allem der ganz leisen Töne. Von einer Sekunde auf die nächste wechselt er von brüllender Komik zu stiller, verzweifelter Ernsthaftigkeit, ohne Übergang, und trotzdem völlig natürlich. Und immer nimmt er das Publikum mit, wenn er die Höhen wie die Tiefen des Textes akzentuiert, ohne je zu übertreiben oder ins Karikaturstische abzudriften.
Bei ihm wird Bukowskis Text zur Auseinandersetzung mit der Fehlbarkeit, der eigenen, persönlichen, wie der eines ganzen Berufsstandes, bis hin zu jener unserer Gesellschaft. Und das alles ohne Plakativität, emotional, aber auch von rationaler Schärfe, fast ist dieser Grebenhoeve zu rational, sich aller seiner Handlungen, Fehler, Gedanken zu bewusst, seine Verzweiflug zu wenig akut, sondern immer schon reflektiert.
Gudzuhn gelingt eine große letzte Verbeugung, gerade weil er sich so zurücknimmt, so sehr als das Leise, Stille, Zerbrochene und gerade Zerbrechende zulässt. Das ist kein affirmativer Abschied und macht gerade dadurch die Lücke deutlich, die dieser große Mime hinterlassen wird. Nicht nur am DT.
January 18, 2011
Oliver Bukowski: Der Heiler, Deutsches Theater / Kammerspiele, Berlin (Regie: Piet Drescher)
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