Eine "Textverarbeitungsmaschine" sei das, keine Inszenierung, so stimmt uns Nicolas Stemann zu Beginn dieses fast vierstündigen, pausenlosen Abends ein. Und tatsächlich, was der Zuschauer zu sehen und hören bekomt, ist keine gewöhnliche Aufführung, sondern ein Sich-Erarbeiten des sperrigen Jelinek-Textes, oder besser der Texte, ist dies doch ein Konglomerat verschiedner Textbausteine, ein Sich-Abarbeiten an ihnen auch, mit allem, was die Theatermaschinerie, vor allem in der Version Nicolas Stemanns zu bieten hat.
Jelinek hat in ihrem Stück, oder besser ihrem Textmonolith, mehrere österreichische Bankenskandale verarbeitet, die der globalen Finanzkrise noch vorangingen, und den Text setdem mehrfach ergänzt. Ein Work in Progress, fast eine Art Echtzeittheater, das ver-, er- und aufgearbeitet sein will, so wie es selbst ver-, er- und aufgearbeitet, nämlich die Sprache des Finanzsystem, die Sprache und Logik des Geldes. Eine Expedition in eine unbekannte (Parallel-)Welt, die unsere so zu dominieren scheint und vielleicht realer ist, als das, was wier Wirklichkeit nennen.
Es ist eine Arbeitssituation, so dass neben den Schauspielern und Musikern auch der Regisseur selbst auf der Bühne steht, ebenso der Dramaturg aber auch Videokünstlerin Claudia Lehmann, bis hin zur Souffleuse und dem Kabelhalter für die Videokamera. Ein Arbeitsprozess auch, bei dem die Türen offen bleiben, der Zuschauer kommen und gehen darf. Ein Counter zeigt, wie viele Seiten Text noch folgen.
Wenn auch viel mittlerweile feststeht, mehr als noch bei den improvisierteren Premieren in Köln und Hamburg, so bleibt dieses Sich-am-Text-Abarbeiten nach wievor Grundmotiv der Aufführung wie des Stückes. Denn schon Jenlineks Text ist Forschungsarbeit, Expedition in eine unbekannte Welt. Denn wo in Brechts Heiliger Johanna der Schlachthöfe (von Stemann selbst kürzlich nicht ohne Erfolg inszeniert) der Umweg über Figuren genommen wird, spricht hier das Geld selbst. Die auftretenden Menschengruppen, Banker und Anleger, sind nur noch Akteure, Agenten des Geldes, der Gier.
Es sind sprachmächtige Texte, voller Anspielungen, Wortspiele, Wiederholungen, Redundanzen, fast obsessiv erscheinender Arbeit an, mit und gegen die Sprache. Und so wie der Text die Sprache des Geldes und ihre eigene Logik, erarbeit, tut es auch die Aufführung. Da wird der Text vorgelesen, die eine oder andere Szene gespielt, da gibt es Spechchöre, da wird mit Musik gearbeitet, einzeln (Stemanns wunderbare Adaption von Falcos Jeannie auf die Lehman-Bank) oder choral, und auch Live-Video spielt eine wichtige Rolle (gipfelnd in einer grandiosen Projektion von Darsteller-Gesichtern auf weiße Ballons).
Alles wird aufgeboten, alles wird versucht, sich diese Welt, diesen Text, diese Sprache zu erarbeiten. Das ist zuweilen grotesk, nicht selten komisch, das hat tragische Momente und gerät streckenweise zur Nummernrevue. Das Ergebnis ist überraschend: Jelineks sperriger Text wird lebendig, unterhaltsam ist das allemal. Und so bleibt ein erstaunlich kurzweiliger Abend, der die Zwanghaftigkeit des Geldmarktes ebenso beleuchtet wie die eigentümliche, aber durchaus zwingende und nachvollziehbare Logik des Geldes. Doch wo Jelinek pessimistisch wertet, beschreibt Stemann, zeigt auf, macht lebendig. Ein außergewöhnlicher Theaterabend, der das Theatertreffen-Publikum völlig zu Recht begeisterte.
May 24, 2010
Theatertreffen 2010 - Elfriede Jelinek: Die Kontrakte des Kaufmanns, Thalia Theater Hamburg / Schauspiel Köln (Regie: Nicolas Stemann)
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