October 28, 2010

Maxim Gorki: Kinder der Sonne, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Stephan Kimmig)

Kinder der Sonne, geschrieben in Folge und unter dem Einfluss der gescheiterten russischen Revolution von 1905, ist ein Stück über Gegensätze. Auf der einen Seite die "Kinder der Sonne", die russische Intelligenz, erfüllt vom Glauben, für das Wohl der breiten Masse zu arbeiten, aber eingeschnürt in ihrer eigenen kleinen Realität. Auf der anderen steht der Pöbel, stumpf, unidealistisch, gewalttätig. Aus dieser Spannung zieht das Drama seine Energie, seine Wirkung. Nur vor dem Hintergrund des Außen, der wahren Welt, sind die narzisstischen, um sich selbst drehenden Diskussionen der Möchtegern-Weltverbesserer zu verstehen, nur vor ihm haben sie eine dramatische Funktion. Kinder der Sonne ist ein zutieft pessimistisches Stück: Weder die Elite, noch das Proletariat erscheinen hier als Motoren eines Wandels zum Besseren.

Stephan Kimmig nimmt zwei zentrale Änderungen vor: Erstens verlegt er das Geschehens in die heutige Zeit (wie Gorki es in die Vergangenheit schob), zweitens blendet er den Pöbel, das einfache Volk fast vollständig aus. Übrig bleibt nur der Hausmeister Jegor, der ein bisschen pöbeln darf, einige clowneske Momente hat, aber eher lächerlich als bedrohlich wirkt. Einmal darf er mit einem Hammer den von Katja Haß gebauten Stangenwald malträtieren. Ein Bild der Bedrohung der fragilen Innenwelt durch die Gewalt der Realität, dass in seiner Einfalls- und Hilflosigkeit seinesgleichen sucht.

Mit der Beschneidung des Personals und dem Bühnenbau endet dann auch die Regiearbeit Kimmigs weitgehend. Er stellt einfach ein Ensemble auf die Bühne, das jeden Theaterliebhaber mit der Zunge schnalzen lässt. Ulrich Matthes, Nina Hoss, Sven Lehmann oder Katharina Schüttler, so meint er, werden schon etwas draus machen. Und natürlich tun sie das, jeder für sich. Matthes spielt den Protassow als weltfremden lächerlichen Jammerlappe weit jenseits der Grenze zur Parodie, Nina Hoss spielt jede Schattierung des Gelangweiltseins durch, Lehmann probiert jede Nuance aus, die seine schnarrende Stimme hergibt und ergeht sich ansonstem in einem spöttischen Lächeln, das den Eindruck erweckt, es gelte der Inszenierung selbst. Nur Katharina Schüttler fühlt sich sichtlich unwohl und erscheint irritiert ob des behaupteten Weltschmerz, den sie darstellen soll. Ihre Lisa ist in der Verweigerung des oberflächlichen Leidens vielleicht die authentischste Figur.

Ansonsten spielt man vor sich hin und nebeneinander her, wird von Zeit zu Zeit zu bedeutungsschwangeren Tableaus aufgestellt, die eher das Niveau eines Fotoshootings für "Germany's Next Topmodel" haben, und wartet ansonsten auf den Vorhang. Da ist keine Spannung, zum einen weil der Reibungspunkt der feindlichen Außenwelt, der "echten" Realität fehlt, aber auch weil sich Kimmig weigert, das ganze wenigstens als Kammerspiel, als Drama einer hermetisch abgeschotteten Parallelwelt, zu inszenieren, wenn nicht als Tragödie, dann wenigstens als Farce. Aber es ist nicht einmal eine ironische Darstellung einer überdrehten Mittelklasse von heute. Was da auf der Bühne zu sehen ist, sind Aufwärmübungen eines Schauspiel-Workshops. Machen Sie mal einen weltfremden Professor. Sehr schön. Und jetzt ist Mittagspause.

October 25, 2010

Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Thalia Theater, Hamburg (Regie: Nicolas Stemann)

Es gibt Langweiligeres zu sehen und Vorhersehbareres auf deutschen Bühnen als die Regiearbeiten Nicolas Stemanns. Stemann versteht Theater als Prozess, der stets bei Null anfängt und oft auch weitergeht, wenn die Premiere vorbei ist. Und so sind Stemanns Inszenierungen oft Versuchsanordnungen, die nicht selten etwas Probendes, Forschendes an sich haben. Eine "Textverarbeitungsmaschine" hat er seine Inszenierung der Kontrakte des Kaufmanns genannt, Text- und Stückaneignungsprozesse sind viele seiner Arbeiten.

Keinem Stück müsste ein solcher Ansatz so gut zu Gesicht stehen wie Lessings Nathan, dieser Utopie einer besseren Welt, eines Miteinanders der Religionen, der heute fast noch mehr als damals von nicht wenigen jeglicher Realitätsbezug abgesprochen wird. Als naiv empfinden wir die simpel anmutende "Versöhnungsideologie" (Stemann), das so leichte Wegwischen mörderischeren Streits, die so einfache Überbrückung tausendfach todbringender Konflikte. Wer heute Nathan auf die Bühne bringt, hat Jahrhunderte blutiger Geschichte gegen sich, als Beweismittel gegen ein Stück, das schon lange auf der Anklagebank pragmatischer Vernunft sitzt.

Stemann verhehlt seine Abneigung nicht - gegen die einfache, alle wirklichen Konflikte ausblendende Versöhnungsbotschaft, die naive Annahme, die Vorführung der Versöhnung könne den Menschen zur Umkehr und Einsicht verleiten. Eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine Inszenierung, die Lessings Stoff nicht nur hinterfragt, sondern auch erns tnimmt.

Und doch tut Stemann genau das. Er wolle, so sagt er im Programmheft, den Text zum Klingen bringen, die Geschichte sich selbt erzählen lassen. Und so wird zunächste ein Lautsprecher auf die leere Bühne heruntergelassen, durch den wir den Text hören, wie Lessing ihn geschrieben hat. Und siehe an, er beginnt zu leben, tastend, suchend, noch unsicher vorgetragen von den unsichtbaren Schauspielern. Ohne visuelle Unterstützung fängt der Text tatsächlich an zu klingen, sucht eine Melodie zwischen Zweifel und Affirmation, Ablehnung und Zuversicht. Der suchende Zuschauer und die tastenden Sprecher beschreiten gemeinsam einen Weg, auf den der Text sie führt und von dem keiner weiß, ob er tragen wird.

Irgendwann hebt sich ein Vorhang und die Darsteller werden sichtbar, zunächst halb versteckt von den Mikrofonen. Und je sicherer sie werden, je heimischer sie werden im Text, desto mehr trauen sie sich hervor, bis Nathan, unsicher noch, am Bühnenrand steht, um die Ringparabel vorzutragen. Hier jedoch bricht der Emanzipationsfluss des Textes, Nathan rezitiert den Text als sei es der eines anderen, er spricht eine Rolle, mit wachsender Skepsis ihrer Wahrheit gegenüber.

Und plötzlich steht da ein zweiter Nathan, in historischem Kostüm, später auch eine zweite Daja, eine zweite Recha, wie Verkörperungen des wachsenden Zweifels. Und wenn sie sprechen, spricht aus ihnen die Skepsis an der Wahrheit dieser zentralen Rede des Stückes und diese Skepsis hat die Worte Elfriede Jelineks, deren "Sekundärdrama" Abraumhalde, den dunklen Raum öffnen will, den Lessing zugeschüttet hat, und dem Stück, wie Stemann sagt, den Hass zurückgeben soll. Und so zerfällt die Ringparabel zur Frage, zur immer schwächer werdenden These, attackiert von Gegenthesen, bohrendere Fragen, ein Spiel von Aussgae und und Kreuzverhör. Ein zweites Mal wird sie versucht, als fernes Echo, eher um Gehör flehend als Anerkennung fordernd.

Und so beginnt ein zweites Stück, in dem Jelinek die Oberhand gewinnt. Da werden die Gegenpositionen durchgespielt als grotesker Maskenball, da wird verkleidet und mirt Requisiten gespielt, Video- und Standbilder aufgenommen und projiziert, ein Suchen auch dies, ein wilderes anarchischeres diesmal, nicht nach einer harmonischen Ordnung, sondern nach den Stellen, an denen diese fragiele Ordnung bricht und das Chaos hervortritt. Wo Lessing affirmiert, negiert Jelinek - und Stemann findet Rhythmus, Bilder und Klang für beide. Der ruhige Fluß, das geordnete Hineintasten in den Text steht dem wilden, ungeordneten, ausufernden Sprachgebäude Jelineks gegenüber.

Es gehört zu Stemanns Verdiensten, dass er den Zweifel, die Ablehnung ga, die Widerlegung zulässt, Lessings Text aber nicht über den Haufen wirft. So bricht sich Nathan zum Ende wieder Bahn, wenn auch nicht so wie bei Lessing. Während im Hintergrund die allzu simple Auflösung der Familienverhältnisse heruntergerasselt wird, liegt vorn der historische Nathan regungslos auf der Bühne, umringt von Daja und Recha, eine Dreifaltigkeit, welche die Schlussszene ebenso hinter sich lässt wie die blosse Negativität des Jeninek-Textes.

Dieser Nathan ist kein naiver Versöhner, sondern ein zweifelnder, vielleicht auch ein gebrochener Mann, der Hoffnung und Hoffnungslosikeit zu gleichen Teilen ist, kein strahlender Sieger, ein Verlorender vielleicht, aber einer, der seine Würde bewahrt. Die Botschaft des Nathan ist nicht gescheitert, sie ist durch die Konfrontation mit ihrem Gegenstück, vielfältiger geworden, fragiler auf den ersten Blick, vielleicht aber auch stärker am Ende. Nathan liegt am Boden und steht doch aufrechter, als er es in Lessings Text vermochte.

October 17, 2010

William Shakespeare: Othello, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Thomas Ostermeier)

Am Anfang ist hier nicht das Wort, sondern die Musik. Thomas Ostermeier stellt, oder genauer setzt, vier Musiker um seinen musikalischen Leiter Nils Ostendorf auf die Bühne und überlässt der Musik die Einstimmung. Dazu wird ein nackter Othello zunächst von Desdemona mit schwarzer Farbe bemalt, anschließend wird er per Videprojektion mit verrauschten Bildern angestrahlt. Anschließend landet er mit Desdemona auf dem Bett und unter der Decke, die dabei ebenfalls als Leinwand dient. Bett und Paar werden herausgeschoben und damit gleichsam entsorgt. Die Show gehört anderen.

Das ist zweifellos schön anzuschauen, eindrucksvolle Bilder gibt es wie so oft bei Ostermeier zur Genüge. Und auch die Botschaft ist klar: Othello, der Schwarze in einer weißen Gesellschaft, als Projektionsfläche, als Außenseiter, weil die Gesellschaft ihn als "anders" bestimmt und markiert. Das ist so einleuchtend wie wenig originell wie harmlos. Denn hier werden nur oberflächliche Bilder auf Basis plumper Metaphern erschaffen, eine aschlüssige Interpretation ergibt sich daraus nicht. Denn der Othello, den wir danach sehen, ist sehr wohl Teil dieser Gesellschaft, er grenzt sich vielmehr selbst aus. Was bei Shakespeare durchaus gesellschaftlichen Zündstoff besitzt, hier wird es zu bloßen Eifersuchtsdrama.

Das ist auch nicht überraschen, denn Ostermeiers Interesse gilt nicht Othello, den braucht er nur als Anlass und Opfer. Er ist beileibe nicht der erste, der Othello als Jagos Stück interpretiert, das Desinteresse, das er allen anderen und allem, was nicht Jago ist, entgegenbringt, ist aber doch erstaunlich und tut der Aufführung nicht gut. Und das liegt sicher nicht an Stefan Stern, der einen jugendlichen, kontrollbesessenen, wachen, unter Strom stehenden, manipulativen, vor allem aber spielwütigen und spielfreudigen Jago gibt. Stern sorgt für die wenigen Höhepunkte und hält den Abend, so weit es geht, zusammen.

Ostermeier, das wird in Jagos ersten Worten schon klar, thematisiert hier das Theater selbst. Jago ist Regisseur und Schauspieler, Alleinunterhalter und Conférencier. Die Bühne ist eine Bühne - und eine Spielwiese, verkleidet als Planschbecken, denn ja, es wird mal wieder im Wasser gespielt - Jossi Wieler und andreas Kriegenburg haben es in der letzten Spielzeit vorgemacht. Im Hintergrund vertikale Neonröhren, natürlich verschiebbar, dahinter wie es scheint, der semitransparente Vorhang aus Ostermeiers Hamlet. Und wem das noch zu subtil ist, der bekommt Mikros vorgesetzt und Videosequenzen von Las Vegas. Hier geht es um Entertainment, klar?

Und doch, auch das zieht Ostermeier nicht durch. Denn wenn sich dann das Drama dann endlich entfaltet, ist von einem interpretatorischen Ansatz herzlich wenig zu spüren. Da wird müde vor sich hingespielt, da wird deklamiert und werden Gefühle inszeniert, als wäre man bei Peter Stein. Plötzlich hat Ostermeier keine Einfälle mehr, die darüber hinaus gehen, dass Othello Jago droht, in dem er seinen Kopf unter Wasser drückt. Das eigentliche Spiel ist dann fast regiefrei und gemahnt doch sehr an die üblichen Provinzbühnenklischees.

Für die Schaubühne ist das zu wenig und für Ostermeier eigentlich auch. Ein paar hübsche Einfälle machen eben keine gute Inszenierung, wenn man sie zum einen nicht durchzieht und zum zweiten kein erkennbarer interpretatorischer Ansatz zu sehen ist, der länger als ein oder zwei Szenen anhält. Warum Ostermeier den Othello aufführen wollte, verrät seine Inszenierung nicht.

October 13, 2010

Film Review: The Social Network (Director: David Fincher)

There are many indicators that can help decide on the quality of a film. One of the more reliable ones is this: You sit in the theatre, the closing credits start rolling and you're surprised because you're thinking not much more than an hour could have passed. Instead, it's been two hours. When this happens, it's usually not too bad a sign. The Social Network, Davis Fincher's fictionalized account of the foundation of Facebook, one of the greatest business success stories of our young century, is such a film.

It starts with a two minute tour de force: Mark Zuckerberg sits in a café with Erica, a girl he is dating. A discussion about his desire to enter one of Harvard's exclusive clubs ands in a war of words and the girl breaking up with him. Not before telling him that even though he may thing girls didn't like him because he was a nerd, that's not the reason: They don't like him because he is an a**hole, she says.

With this hilarious and yet disturbing fast-paced scene, the film starts as if it's kicking in a door. It also perfectly characterizes Mark Zuckerberg as we will get used to him in the next two hours: as a complex-ridden, ambitious, jealous, totally self-conscious character who bites when he feels attacked - especially those closest to him. Thus it is with Erica and thus ist is with his best freiend and Facebook co-founder Eduardo, who he will betray later.

And so it is no coincidence that the film not only starts with a sequence of events that gets him into trouble with the university and its female student but that it centers on two lawsuits against him from which the story is told in flashbacks. From here the story unfurls like a murder mystery - made even stronger by the fact that it's "only" the story of an IT company. It is a story of betrayal and hurt pride - set in a world of money, sex and drugs to which, strangely, the center of the storm, the villain of the piece is mostly immune. Zuckerberg want recognition more than money, self-affirmation more than sex or billions of dollars. maybe this is what sets him up as a target - for those feeling done wrong by him and those who try to use him as a toy. In the end, he comes out - not unharmed, not loved, but his own man, in a way.

The lawsuits play an interesting role too: There is the serious suits brought on by the betrayed friend Eduardo and its farcical counterpart initiated by affluent snobs thinking he stole their idea. The two proceedings shed light on each other and together create a picture so complex that in the end an easy condemnation is hard to get to.

Much of this is due to an excellent cast: Jesse Eisenberg is breathtaking as the over-confident yet vulnerable, love-seeking yet wounding, arrogant and lonesome Zuckerberg, Andrew Garfield is the honest, naive and proud Eduardo, Justin Timberlake the pompous and maipulating Sean Parker.

The result is a fast-paced, brilliantly structure thriller, as serious and deep as it is hilariously funny, full of fully threedimensional characters that does so much more that shed a light on an industry still underrepresented in Hollywood - it sheds a light on what it means to be a totally imperfect human being trying to figure out what this thing called life actually means. And maybe its greatest achievement is that it reserves judgement on its "villaint". "You're not an a**hole", another woman says at the end. "You're just trying too hard to act like one." Who can tell who is right?

October 10, 2010

Günter Grass: Die Blechtrommel, Maxim-Gorki-Theater, Berlin (Regie: Jan Bosse)

Man muss sich Armin Petras als glücklichen Menschen vorstellen: Jahrzehntelang versuchten Theatermacher immer wieder, Günter Grass zu überzeugen, seinen Jahrhundertroman auf die Bühne bringen zu dürfen. Doch erst der Intendant des Berliner Maxim-Gorki-Theaters erhielt schließlich die Erlaubnis. Petras bearbeitete den Roman für das Theater und holte mit Jan Bosse einen Regisseur ins Boot, der spätestens seit seinem vielgelobten Werther als Spezialist für Romanbearbeitungen gilt.

Das Ergebnis ist wenig überraschend und dennoch durchaus erfolgreich. Bosse und Petras machen nicht den Fehler, den Stoff dramatisieren zu wollen, in dem sie die "Geschichte" "nachspielen". Stattdessen nehmen sie das Ursprungsgenre ernst und stellen die Frage, was eigentlich den Kern, das Fundament der Gattung Roman ausmacht. Und so ist es nicht überraschen, dass sich nicht nur die Texte im Programmheft. sondern auch die Inszenierung um das Geschichtenerzählen drehen, um seine fragile Beziehung zu dem, was wir für Wahrheit halten, aber auch um seine konstitutive Kraft, als einer der Grudpfeiler dessen, was es heißt, Mensch zu sein.

Und so beobachten wir nicht nur einen, sondern gleich sieben Oskar Matzeraths - junge und alte, mänliche und weibliche - dabei, wie sie Geschichten erzählen. Ihre eigene, die ihrer Vorfahren, die ihrer Zeit. Und wie es Geschichten eigen ist, erzählen sie dabei nicht nur Geschichte, sondern kreieren sie, berichten sie nicht nur, sondern schaffen ihre eigene Wahrheit. Dabei rivalisieren die sieben Oskars, kämpfen um Raum für ihre eigene Sicht, um kurz darauf einander dabei zu helfen, die vollständige Geschichte zu schaffen und zu erzählen.

Natürlich werden einzelne Szenen nachgespielt, wobei jeder Oskar aus der eigenen Rolle fällt und andere annimmt. Es sind Schlüsselszenen des Romans, die erzählt und visualisiert werden, und doch ist es kein "Best of", keine Nummernrevue. Da ist nichts Forciertes dabei, keine Schwere, die Spielszenen, entwickeln sich natürlich aus der Erzählung setzen sie fort und leiten spielerisch wieder in sie zurück. Dabei entwickelt die Inszenierung eine leichthändige Selbstverständlichkeit, die diesen eklektischen Stil eben nicht künstlich wirken lässt.

Auch visuell steht das Thema Geschichtenerzählen im Vordergrund, und das liegt vor allem am klugen Einsatz der Videotechnik: Da werden Erinnerungsfotos aufgereiht, da werden Szenen illustriert oder begleitet, manchmal auch ironisch gebrochen. Der Erzähler am Lagerfeuer, das Familienfotoalbum, die gezeichnete Illustration: Bei Bosse/Petras wie beim sich selbst vor allem als Geschichtenerzähler verstehenden Grassselbst sind dass alles Seiten der gleichen Medaille.

Doch auch wenn das Schaffen und Erzählen von Geschichten im Mittelpunkt stehen, so vergisst die Inszenierung nie, welche Geschichten hier erzählt werden. Das beginnt bei der bunkerartigen Bühne und setzt sich fort in dem leichtfüßigen Wechsel von Ernst und Komik, von Trauer und Groteske, die auch den Roman charakterisiert. Diese Figuren, diese Schicksale, diese Geschichten müssen erzählt werden, um sie nicht zu vergessen, nur in der Erzählung können sie existieren. Und so ist diese gelungene Inszenierung auch eine Studie über die sinnstiftende und lebenspendende Kraft des Erzählens. Und dies ist tatsächlich ganz im Sinne von Günter Grass.