December 22, 2010

Dirk Laucke: Bakunin auf dem Rücksitz, Deutsches Theater / Kammerspiele, Berlin (Regie: Sabine Auf der Heyde)

Jörg ist tot. Ein Opfer der Gentrifizierung. Als er seine Wohnung räumen sollte, um Platz zu machen für die Errichtung eines Carlofts, hat er den Gashahn aufgedreht. Überlebt hat sein Hund Bakuni, den der Immobilienspekulant und Hauseigentümer kurzterhand mitnimmt. Alles klar. Gut und böse sind klar verteilt und eindeutig durchdefiniert. Hier die Alteingesessenen, dort die Spekulanten, die ersge aus reiner Profitgier vertreiben wollen.

Es ist Dirk Lauckes - gerade 28 Jahre alt und schon einer der Stars der deutschsprachigen Dramatikerszene - Verdienst, dass er das nicht so stehen lässt. Immobilienhai Steven ist gar nicht so unsympathisch, seine Geliebte, die Politikerin Charlotte Pragmatikerin, aber beileibe nicht ohne Werte, Kneipenbesitzerin Moni dagegen die intoleranteste Figur des Stückes und Jung-Punk Jan ein phrasendreschendes Muttersöhnchen. Es mag banal klingen, aber wenn aus Klischees reale Personen werden, vermischen sich schwarz und weiß ganz schnell zu vielen vielen Grauschattierungen. Und so brechen zwischen Steven und Charlotte bald ebenso Meinungsverschiedenheiten auf wie zwischen Moni und Pflegerin Eddi, die ja eigentlich auf der gleichen Seite stehen.

Und dazwischen - Bakunin. Der Hund ist Beobachter, Erzähler, wenn ötig auch Gesprächspartner und vor allem Analytiker mit Verständnis für beide Seiten. Mathias Neukirch spielt ihnzwischen hechelndem Köter und abgebrühtem Revolutionstheoretiker, vielleicht der einzig Außenstehende, dessen Blick nicht am Tellerrand kleben bleibt, weil er keinen hat. Laucke nennt ihn im Programmheft eine Art Spielleiter und hat sicher Recht. Bakunin ist Impulsgeber und Kommentator, Mittler und Katalysator, Auslöser, Mittelpunkt und Ziel von Handlungen - und doch steht er außen, als Instanz, die das Geschehen immer wieder ironisch brincht, die kleine Geschichte in das große Ganze ausbreitet und wieder in sich zusammenfallen lässt. Wenn sich Laucke hier jedem Gut-Böse-Schema, jedem Schwarz-Weiß verweigert, dann ist di Bakunin die Verkörperung dessen.

Dass dies hier kein naturalistisches Sozialdrama ist, macht auch Sabine Auf der Heyde von Beginn an klar. Die Kulisse wird comicartig gezeichnet und auf die Rückwand projiziert, am Ende gibt es sogar Schlusstitel, der Comiccharakter find3et sich auch im Spiel wieder. Die Figuren wahren eine fragile Balance zwischen Glaubwürdigkeit und Typisierung, sie sind ebenso Klischees wie sie dreidimensionale Individuen zumindest andeuten. Leichtfüßig springen Regie und Darsteller zwischen Ernst und Komik. In einem Moment realistisches Spiel folgt im nächsten karikaturhafte Überzeischnung.

Wie Laucke die "Moral von der Geschicht'" in der Schwebe lässt, tut das auch die Inszenierung. Ironische Distanz ist nie weit und doch ist der Zuschauer auch immer bei den Figuren. Offenheit ist das Grundprinzip von Stück und Inszenierung, natürlich kippt die Sypathie ein wenig in die eine Richtung, aber nie soweit, dass sich der Zuschauer bequem in unfehlbarer Gewissheit zurücklehnen kann. Immer bleibt ein Rest in dieser ebenso kurzweiligen und unterhaltsamen wie intelligenten Inszenierung.

December 20, 2010

Arthur Miller: Alle meine Söhne, Deutsches Theater / Kammerspiele, Berlin (Regie: Roger Vontobel)

Er ist der neue Stern am deutschen Regiehimmel: Roger Vontobel. Nachwuchsregisseur des Jahres war er schon, gerade wurde sein Dresdner Don Carlos mit dem Faust-Theaterpreis für die beste Inszenierung des Jahres ausgezeichnet. Nun durfte er sein Debüt am Deutschen Theater geben, immer noch so etwas wie ein kleiner Ritteschlag für Theaterregisseure. Ausgesucht hat er sich diesmal keinen Klassiker und auch keinen antiken Stoff.

Arthur Miller soll es sein, auch noch sein selten gespieltes Alle meine Söhne, Millers erster Broadway-Erfolg, aber schon seit langem im Schatten ungleich bekannterer und populärerer Werke wie des unvermeidlichen Tod eines Handlungsreisenden. Wie so oft ebei Miller eine Familiengeschichte mit vielen Leichen im Keller, gespickt mit einem Schuss Sozialdrama, erzählt das Stück die Geschichte der Familie Keller, deren Oberhaupt einst verantwortlich war für die Lieferung fehlerhafter Bauteile für die Air Force, als deren Resultat mehrere Flieger abstürzten und eine Reihe von Soldaten umkamen. Keller kam gut durch die Sache, sein damaliger Partner wurde verurteilt. Aber die Schatten der Vergangenheit kommen zurück und verrichten ihr zerstörerisches Werk. Alle meine Söhne ist mit seinem streckenweise recht platten Moralismus, seinen nicht gerade subtilen Wendungen und seiner recht einfach gestrickten Botschaft der Amoralität des Geldverdienens am Krieg nicht gerade Millers stärkstes Stück. Was anderswo bei Miller so schmerzhaft hervorbricht, gerade weil es nur angedeutet bleibt, hier malt er alles mit recht dickem Pinselstrich.

Vontobel reduziert das Stück bewusst zum  Familiendrama. Die Außenwelt ist präsent, hat Einfluss, aber die wirklichen Konflikte, die verschwiegene wie die sich andeutende Tragödie passieren in der Familie, gehen von ihr aus und führen in sie zurück. So reduziert Vontobel die Außenwelt auf eine Figur, die er auch hätte getrost weglassen können. Was ihn interessiert, ist die Dynamik einer familiären Eskalation und so reduziert ist das äußerst stringent und überzeugend.

Vontobel hat sich von Claudia Rohner die Kammerspiele in eine Arena umbauen lassen. Umringt von Publikum entfaltet sich das Drama auf einem Rechteck Rollrasen. Beim Einzug des Publikums spielen Kinder, ein Familienidyll, von dem wir bald erfahren, dass es längst verloren ist. Ein Sohn ist tot, sein Tod verleugnet von der Mutter, der Vater wieder im Geschäft, sein ehemaliger Partner im Gefängnis. Die spielenden Kinder, das Ausrollen des Rasens durch die Kinder gemeinsam mit ihren älteren Egos - Vontobel gelingt ein überaus stimmungsvoller, atmosphärischer Auftakt, der eine Leichtigkeit verströmt, wie sie der behaupteten Idylle entspricht.

Langsam, subtil brechen die Gespenseter der Vergangenheit hervor, kratzen zunächst an der glitzernden Oberfläche familiärer Harmonie und Wärme, der Wiedersehensfreude auch mit der Verlobten des verschollenen Sohnes, die jetzt der zweite Sohn heiraten will. Vontobel gelingen wunderbare Szenen, etwa wenn Chris und Annie zaghaft auf und ablaufen und nach ihrem hingedrucksten Liebesgeständnis immer ausgelassener herumtollen, unter Einbeziehung des Rasensprengers. Hier ist sie nochmal kurz, die unbefangene Freude der Kinder vonm Anfang.

Lange nicht mehr wurde ein so simples und gleichzeitig wirkungsvolles Bühnenbild in diesen Raum gezaubert. Das Rasenviereck steht am Anfang für Freiheit, Lebensfreude, Unbekümmertheit. Der Raum ist weit, die Weltin Sonne getaucht. Später wird es immer enger, ohne sich physisch zu verändern. Immer wieder eilen einzelne Figuren wie gehetzt um das Viereck herum, reden, schreien auf die Figuren im Rechteck ein, das zunehmend zum Gefängnis wird, in dem die Protagonisten eingeholt und eingesperrt werden von all dem Verdrängte, das sich da Bahn bricht. Wir Vontobel mit seinem Ensemble, einer behutsamen Lichtregie und einer nie aufdringlichen musikalischen Untermalung diesen Wandel gestaltet, ist zwingend und von atmosphärisch dichter Intensität.

Vontobel gibt dabei den Figuren und ihren Darstellern Raum, sie sind plastischer, vielschichtiger als von Miller angelegt. Ulrike Krumbiegels Mutter Kate wechselt zwischen hysterischem Schmerz und agressiver Härte, Meike Droste als Annie zwischen zweifelnder Ängstlichkeit und in sich ruhender Selbsterkenntnis, Daniel Hoevels Chris schwankt zunächst zwischen Hoffnung und Hilflosigkeit und gewinnt seine Stärke im Zusammenbruch aller Gewissheiten. Selbst Jörg Pose als Joe Keller ist weit mehr als der Schurke des Stücks. Sein Verbrechen geschieht aus einer Mischung aus Pragmatismus und Verteidigung der aufgebauten Fassade. Die Überzeugung, so handeln zu müssen, nimmt ihm der Zuschauer ihm ebenso ab wie die zaghaften und rfast hilflosen Versuche, die Wunden, die das eigene Handeln geschlagen hat, zumindest zu verdecken, wenn er sie schon nicht heilen kann.

Es ist ein redzierter, ganz ins Private gekehrter Miller, der die auch durch das Programmheft genährte Erwartung, eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Dbatte über die Zulässigkeit und die Grenzen von Gier, über die Moralität des Geldverdienens bewusst verweigert und dem Zuschauer überlässt. Vontobel erzählt eine Familiengeschichte, auf durchaus konservative Weise, aber gerade dadurch öffnet er den Assoziations- und Imaginationsraum so weit, wie es nur das Theater vermag.

December 19, 2010

Alina Bronsky: Scherbenpark, Deutsches Theater / Box (Junges DT), Berlin (Regie: Annette Kuß)

2008 veröffentlichte Alina Bronsky ihren Debütroman Scherbenpark über das Schicksal einer 17-jährigen Russlanddeutschen. Im Rahmen des Jungen DT hat Regisseurin Annette Kuß das für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2009 nominierte Werk jetzt gemeinsam mit russlanddeutschen Jugendlichen in der Box des Deutschen Theaters auf die Bühne gebracht.

Die trostlose Hochhaussiedlung in der die 17-jährige Sascha seit dem Mord an ihrer Mutter mit den jüngeren Geschwistern und einer Tante lebt, ist omnipräsent. Auf der hinteren Videoleinwand ebenso wie im kahlen, skelettartigen, an Betonkonstruktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre erinnernden Bühnenbild. Auch hier gibt es mehrere Leinwände, auf denen Verbrecherfotos des Steifvaters und Mörders ebenso gezeigt werden wie Familienbilder und -videos. Dieses Spannungsfeld zwischen Nähe, Wärme, Familie und der Sehnsucht danach sowi Gewalt, Wut, Hass und Perspektivlosigkeit bestimmt das Stück. Es ist das Verdienst der Inszenierung, dass sie die Balance hält.

Spielszenen wechseln sich ab mit Monologen, vor allem der gleich dreifach besetzten Sascha, deren unterschiedliche Facetten zunächst um Vorherrschaft streiten, auf ganz physische Weise, bevor sie imVerlauf des Abends immer mehr zueinander finden, so wie auch Sascha zu sich findet. In Einschüben erzählen die Darsteller aus ihren eigenen Lebensgeschichten und runden so das doch recht düstere Bild ab, das der Roman malt, relativieren es auch. Denn es kommt alles vor, was das klischee hergibt: Jede Menge Gewalt, gelangweilte Jugendliche, die ihren Frust in Alkohol ertränken und ihre Männlichkeit in Gewaltorgien und Vergewaltigungen beweisen, Ausbruchsfantasien, häusliche Misshandlungen, Perspektivlosigkeit.

Und doch ertrinkt das stück nicht im Elend, denn behutsam scheinen auch Träume hervor, bringen vor allem die Jugendlichen ein gehöriges Maß Lebensfreude und energie in die düstere Landschaft. Es ist ja auch eine Coming-of-Age-geschichte, in der Sascha, die Gebildete, den anderen "Russen" sich überlegen fühlende, aber auch in Hass - vor allem auf den Stiefvater, die Projektionsfläche ihrer Wut auf de Weld - Versinkende sich ins Leben tastet, mal erfolgreich, mal scheiternd.

Vor allem die Zweischneidigkeit von Sex - Ausdrück der Sehnsucht nach Nähe ebenso wie Instrument der Gewalt - ist eindringlich inszeniert. Wenn Sascha mit dem Sohn eines Journalisten, bei dem sie Unterschlupf gefunden hat, schläft, wird das als Kissenschlacht inszeniert. Die Vergewaltigung durch einen anderen russlanddeutschen Jugendlichen besteht darin, dass sie weggetragen und reglos im Betongerüst abgelegt wird.

Wie in einer antiken Tragödie scheint die Tragödie unvermeidlich. Und so steuert Sascha auf die Eskalation zu, die sich - natürlich, möchte man meinen - als Gewaltorgie entpuppt und die zur kathartischen Reinigung führt. Nicht jedoch wie in der Antike nur beim Publikum, sondern bei der Hauptfigur selbst. Und so blüht am Ende ein sanftes Pflänzchen der Hoffnung, keine Gewissheit, das alles gut wird, aber doch die Möglichkeit, dass manches gut werden kann. Ein starkes Stück Jugendtheater, wenn nicht gar mehr.

Aki Kaurismäki: Der Mann ohne Vergangenheit, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Dimiter Gotscheff)

Es wird ja oft genug darüber geschrieben und nicht selten auch lamentiert: Immer häufiger finden Stoffe ihren Weg auf die Bühne, die aus anderen Kunsgattungen als dem Drama stammen. Romanadaptionen finden sich heute an praktisch jeder deutschen Bühne und auch Film erfreuen sich zunehmender Beliebtheit bei Regisseuren. Dimiter Gotscheff ist dabei so etwas wie ein Vorreiter: Nach seinem godard-Abend Die Chinesin an der Volksbühne stellt er nun schon sein zweite Filmbearbeitung dieser Spielzeit vor: Der Mann ohne Vergangenheit des großen finnischen Melancholikers Aki Kaurismäki.

Nun gibt es aber einen Grund, warum der Roman viel häufiger im Theater adaptiert wid als der Film. Film und Thater stehen sich viel näher als Theater und Roman, arbeiten sie doch mit einer Reihe der gleichen Ausdruckselemente: Die Verbindung als Bild und Text, Darstellung und zeitlich gebundener Erzählung, auch das Element des Schauspiels finden sich in beiden Gattungen. Schafft die Transponierung eines geschriebenen Textes auf die Bühne bereits automatisch etwas Neues, ist das bei Filmstoffen viel schwieriger zu bewerkstellen, sollen sie mehr sein als eine bloße Nachstellung der Vorlage.

Es gilt also, dem Stoff etwas Neues abzugewinnen, zusätzliche thematische Aspekte, eine andere Interpretation oder schlicht eine neue Erzählweise. Gotscheff hat das bei seinem Godard-Abend versucht, in dem er den Film als Ausgangspunkt einer collagenhaften Auseinandersetzung mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Themen und generell der Möglichkeit, Unmöglichkeit und Sinnhaftigkeit revolutionären Handels genommen hat.

Bei Kaurimäkis Stoff fiel ihm leider nur wenig ein. So kippt er die Geschichte ins Komische. Wo Kaurismäki auf die stille Ironie der nicht selten absurden menschlichen Existenz setzt findet Gotscheff brachialere Komik bis hin zu Slapstickhaften. Das funktioniert teilweise ganz gut, etwa wenn die Figuren saunieren, ihre die Saunen andeutenden Stofftaschen öffnen und erst einmal Dampfwolken über die Bühne wabern. Andere Male jedoch kollidiert der simple Slapstick ungebremst mit der stoischen Lakonik Wolfram Kochs und bringt beide zu Fall.

Ohnehin krankt der Abend an seiner Uneinheitlichkeit. Während Koch ganz nah an Markku Peltolas stoischer Lakonik bleibt, lädt Almut Zilcher ihre Irma mit einer viel zu lauten, überdeutlichen, fast agressiven Nervosität auf, die jegliche Annäherung beider Protagonisten zur bloßen Behauptung verkümmern lässt. hat Katrin Brack eine Bühne gebaut, die gewollt antinaturalistisch ist und den Containerpark mit den bereits erwähnten bunten Riesenstofftaschen ersetzt, erzählt Gotscheff die Geschichte streng chronologisch herunter. Wo die Bühne also die Emanzipation von der Filmvorlage sucht, biedert sich der Erzählstil jener wiederum an. Zudem geraten Gotscheff die Figuren, zu holzschnittartig eindimensional, was zum Slapstickhaften passt, die für Kaurismäki charakteristische Mischung aus Melancholie und leider, verschämter Hoffnung, die vor allem Koch verkörpert, über weite Strecken erstickt.

Zudem trägt Gotscheff dick auf, wo Kaurismäki nur andeutet. Immer wieder eingeschobene Bibelzitate und kirchliche Gesänge sollen wohl Irmas Rolle als Heilsarmistin betonen, vor allem aber den Aspekt einer Wiederauferstehung, der sich auch bei Kaurismäki findet. Gotscheff tut beides mit dem Holzhammer und nimmt ihm dadurch viel von seiner Wirkung.

Und so plätschert der viel zu lange Abend dahin, bietet ein paar schöne Tableaus, etwa, wenn Irma und der namenlose Protagonist nebeneinadnersitzen, zaghaft Zukunftspläne entwickelt und die anderen Figuren es ihnen nachtun, jeder für sich. Das sind jedoch nur Momente, bevor das Stück wieder auseinanderbricht und träge dahinkriecht, ohne roten Faden und ohne die Frage zu beantworten, warum diese Inszenierung überhaupt entstanden ist. Und so ist auch das Schlussbild, bei dem Irma und der sich seiner Identität wieder bewusste Protagonist nebeineinander sitzen und in die (gemeinsame?) Zukunft schauen, ein passendes Bild für den gesamten Abend. Lädt Kaurismäki dies noch auf mit Sehnsucht und Hoffnung, tut sich bei Gotscheff gar nichts. Da sitzen die beiden einfach nur nebeneinander. Sonst nichts.

December 15, 2010

Walter Mehring: Der Kaufmann von Berlin, Volksbühne am Rosa-Lxemburg-Platz, Berlin (Regie: Frank Castorf)

Die Welt ist eine Hutschachtel. Bert Neumann hat sie Frank Castorf auf die Bühne gestellt für sein Unternehmen, Walter Mehrings Großstadtpanorama und Sittengemälde des Berlins der Zwanzigerjahre mitten im ehemaligen Scheunenviertel, wo ein Teil des Stücks spielt, neues Leben einzuhauchen. Groß und rot-weiß gestreift steht sie dort und versucht, diesem grellen und unbändigen Porträt einer Gesellschaft am Abgrund, einer Welt in Auflösung, einen Rahmen, ein Bild zu geben.

Die Hutschachtel ist Schauplatz des sich entfaltenden Weltpanorama am Beispiel Berlins, des "Nabels der Welt" in jener Zeit. Ein in die Seite eingelassenes Zugabteil, ein Grunewaldpanorama auf der Rückwand, Übertragungen per Leiwand aus dem Schachtelinneren, quergespannte Stoffbahnen, die mal das Scheunenviertel darstellen, mal ein Interieur bilden: Die Riesenschachtel ist Kulminations- und Katalysationspunkt, Schauplatz und Mittelpunkt alles Geschehens. Symbol wahrscheinlich auch, aber das erschließt die Inszenierung nicht.

Mehrings Großstadt-Sittengemälde ist eigentlich der ideale Stoff für den großen Eklektiker und Themenverrührer Castorf. Das Stück, das 1929 zu wilden Protesten und einer Verdammung durch Goebbels führte und dem Philosemitismus ebenso vorgeworfen wurde wie Antisemitismus, ist eine Ansammlung unterschiedlichster Gestalten, Themen, Episoden, ein Gemisch, das vom Fragmentarischen ebenso lebt wie von Nichtakzeptieren theatralischer Grenzen. Auch Castorfs Inszenierungen erinnern stets an Eintöpfe: Er wirft unterschiedlichste Zutaten zusammen, kocht sie miteinander und hofft, dass ihr Ergebnis mehr ist, als die Summe seiner Zutaten, dass die Vermischung einen Mehrwert ergibt.

Hier jedoch ist der Castorfsche Eintopf vollkommen ungenießbar, ja, man sollte ihn gar einer toxikologischen Untersuchung unterziehen. Das beginnt schon gleich am Anfang: Eine Gruppe Juden reist aus dem Osten nach Berlin, voller Hoffnungen und Pläne, aber auch Ängste. Da wird in Pseudo-Jiddisch parliert, meist brüllend, grotesk überzeichnet agiert, die Juden tragen Klischee-Kleidung und-Bärte und benehmen sich, wie es dumpfe Juden-Klischees vormachen. Vielleicht will Castorf die Klischees, die Vorurteile vorführen, ber er zerstört in dem Versuch die Integrität der Figuren. Sie werden zu lächerlichen Gestalten, die genau den Klischees entsprechen, die Castorf möglicherweise bloßstellen will.

Und so geht es weiter. Die Figurenzeichnung bleibt bestenfalls holzschnittartig, erreciht aber meist nicht einmal diese Subtilität. Die vielfältigen Themen: schwarze Reichswehr, Antisemitismus, Rathenau-Attentat, Versailler Vertrag und vieles mehr, werden deklamiert, hinterlassen im allgemeinen Gebrüll aber keinerlei Nachhall. Alles bleibt separat, nichts verbindet sich zu dem Panorama, das Mehring und vielleicht auch Castorf vorschwebte. Castorf erlaubt dem Publikum kaum zu folgen, es mag aber auch nicht viel verpassen.

Einzig Bärbel Bolle darf als sehnsuchtsvolle Generalsgattin kurz berühren, ansonsten verpufft das großartige Ensemble (das - vor allem Dieter Mann - mit erheblichen Texthängern kämpft) vollständig.Allen voran Sophie Rois in der Titelrolle, die sich aus der anfänglichen Karikierung nie befreien kann und deren Kaftean immer Abzieh- oder gar Zerrbild bleibt. Erkenntnisgewinn null, Mitgefühl noch weniger - dieser Kaftan ist weder Täter noch Opfer, sondern eine von vielen austauschbaren Knallchargen der Inszenierung. 

Vermochte es Castorf früher, wie ein Alchemist aus unterschiedlichsten Bestandteilen Gold zu erzeugen, erzeugt er hier das Nichts. Aber auch das ist durchaus eine erstaunliche Leistung.

November 25, 2010

spielzeit'europa - Un Tramway nach Tennessee Williams, Odéon-Théâtre de l’Europe Paris (Regie: Krzysztof Warlikowski)

Am Anfang, die Bühne ist noch dunkel, nur ein einzelnes Licht erhellt eine einsame Figur auf einem Barhocker, auf einer verglasten Galerie im Bühnenhintergrund, die Beine gespreizt. Sie rezitiert einen Kinderreim, irgendwo im Dreieck zwischen Laszivität, Unsicherheit und Unschuld. Ein Bild der Einsamkeit, der fortschreitenden Vereinsamung, der Einkapselung in sich selbst. Eion Bild, in dem die weitere Geschichte bereits vorweggenommen ist. Der Kinderreim wird am Ende wiederkehren. Stanley Kowalski wird ihn sprechen, um Blanche, die längst in sich gefangen ist, zu beruhigen, bevor sie weggebracht wird, in die Psychiatrie.

Regisseur  Krzysztof Warlikowski erzählt Tennessee Williams Drama konsequent aus der Perspektive von Blanche, sie ist der Dreh-, Angel- und Mittelpunkt und später die Leerstelle, über die sich alles andere definiert. Das ist auch folgerichtig, inszeniert er das Stück doch als Studie über Einsamkeit, über Sehnsüchte und ihr Absterben in der Unmöglichkeit echter menschlicher Beziehungen.

Und er hat in Isabelle Huppert eine Blanche, die das ganze Spektrum dieser Figur, die hier strahlende Symbolkraft hat, ausloten und ausspielen kann. Sie wechselt scheinbar mühelos zwischen Hysterie und Resignation, Kämpfertum und Selbstaufgabe, Unsicherheit und Selbstbewusstsein, Lebenswille und tiefster Verzweiflung, Stärke und Verletzlichkeit, bis sie am Ende, in sich zurückgezogen, in Erstarrung endet. Huppert macht aus dieser Blanche ein Symbol der Vereinsamung, das über die Figur hinausreicht und diese doch nie verrät. Un Tramway ist oim besten Sinne des Wortes Schauspielertheater und es hat eine Hauptdarstellerin, die die Möglichkeiten, die sich ihr bieten, restlos auslotet, ohne es zu einer narzisstischen One-Woman-Show werden zu lassen.

Sie steht dabei für das gesamte Personal dieses Stücks, denn Warlikowski zeigt ohne Ausnahme jeden als vereinsamten, als Insel, der nicht imstande ist, Brücken zu den anderen zu bauen. In einem der vielenen Einschübe, die die Spielhandlung immer wieder unterbrechen, spottet Renate Jett über die Auffassung, Liebe bedeute, Kompromisse einzugehen und spricht dabei ein Grundmotiv des Abends an. Denn das, worin sich Blanche von den anderen Figuren Unterscheidet, ist nicht ihre Isolation, ihre Einsamkeit. Das sind alles einsame Menschen, deren Sehnsüchte, so noch vorhanden langsam absterben. Auch Kowalski ist nicht mehr der einst von Brando verkörperte, starke, von archaischer Kraft erfüllte wilde Mann, er ist ein Melancholiker, ein Einsamer, dessen Gewalt ein Ventil der Angst vor dem Alleinsein ist.

Nein, was Blanche von den anderen unterscheidet, ist ihr Unbedingtheit, ihre Weigerung, die Kompromisse einzugehen, die Abmachungen zu treffen, die es den anderen ermöglicht, ein vereinbartes Nebeneinander so zu leben, dass es als Miteinander erscheint. Ein wirkliches Miteinander kann es hier aber nicht geben. So ist Blanche vielleicht nur die einzig Konsequente. Und so behält sie am Ende ihre Würde, wie die anderen, die einen anderen Weg gegangen sind. Es gehört zu Warlikowskis Verdiensten, dass er niemanden opfert, niemanden vorführt.

Kongenial auch die Bühne von Malgorzata Szczesniak: Ein langer Glasriegel nimmt die gesamte Breite ein, wird vor und zurückgeschoben, unter ihm eine Bowlingbahn. Das wirkt edel, elegant, wie Blanche und ihre Klaidung, aber auch kalt, unpersönlich, nüchtern, abweisend. Ein schönes Gefängnis, aber ein Gefängnis nichtsdestotrotz. Hier gibt es keine Wärme, nicht in der Ausstattung, nicht in den Farben. Schwarz dominiert, am Ende trägt Blanche blau, aber da leuchtet, da lebt nichts.

Dazu trägt auch die Musik bei, die fast ohne Unterbrechung zu hören ist, ein meist ruhiger, trauriger Fluss, der laut wird, wenn Blanche ausbricht. Sie untermalt, sie stört nicht, wie so oft. Das gilt auch für das Video, das im Bühnenhintergrund versteckte Szenen zeigt, aber auch Nahhaufnahmen der Gesichter. Nichts an dieser Inszenierung ist aufdringlich, alles trägt dazu bei, die Grundstimmung des Verlorenseins, der unentrinnbaren Einsamkeit, zu schaffen und aufrechtzuerhalten.

Wenn der Abend eine Schwäche hat, liegt sie in den schon erwähnten Einschüben. Wenn Renate Jett scheinbar endlos eine Sage rezitiert und singt, wenn die biblische Gesichte der Salomé erzählt wird, wenn Jett wiederholt Liedgut der Popgeschichte zum besten gibt, trägt das wenig zum Geschehen bei, sondern unterbricht den Spielfluss, stört den Rhythmus,sorgt für unnötige Längen. Und ist angesichts der Naturgewalt Huppert und der sonst sehr stimmigen Inszenierung nur ein kleiner Schönheitsfehler.

November 23, 2010

Roland Schimmelpfennig: Peggy Pickitt sieht das Gesicht Gottes , Deutsches Theater, Berlin (Regie: Martin Kušej)

Zwei Paare, um die Vierzig, gehobene Mittelklasse, gut situiert: Es ist sicher kein Zufall, dass man bei dieser Konstellation sofort an Yasmina Rezas Gott des Gemetzels denkt, zumal Annette Murschetz' weißer Lichtkubus vor schwarzem Bühnenhintergrund an Johannes Schütz' Bühnenbild für Jürgen Goschs Zürcher Reza-Inszenierung erinnert. Auch Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, ebenfalls in einer Gosch-Inszenierung mit ähnlicher Bühne seit Jahren ein Publikumsrenner an diesem Haus drängt sich auf. Schimmelpfennig, dessen beste Inszenierungen auf Goschs Konto gingen, wird sich der Ähnlichkeit bewusst sein, vielleicht ist der Vergleich sogar gewollt.

Doch er endet hier. Nicht, weil in dem Wiedersehen zweier befreundeter Paare nach sechs Jahren, in denen eines der Paare in Afrika Entwicklungshilfe geleistet hat, keine Konflikte auftreten, keine verdrängten Agressionen aufbrechen, keine Leichen aus den Schränken hervorquellen. Von alldem gibt es genug: Die Ehe der Daheimgebliebenen kriselt, das Afrika-Paar hat einander betrogen, ein aufgenommenens Mädchen wurde zurück- und dem wahrscheinlichen Tod überlassen, was ihnen die Hiergebliebenen auch vorwerfen, während diesen ihr Dableiben angelastet wird, jedem ist sein eigenes Handeln suspekt und vergrabene Ressentiment aller Beteiligter gegeneinander gibt es zuhauf.

Und trotzdem bleibt das Stück ebenso blass und blutleer wie Martin Kušejs Inszenierung. Zunächst zum Stück: Viel soll hier verhandelt werden, es geht um nichts weniger als die Schuld des Westens gegenüber Afrika, die neokolonialistische Selbstherrlichkeit, der Egoismus der Helfer, das Überlegenheitsgefühl - all das wird angesprochen und verpuft doch in erschreckend banalen Phrasen und Argumenten. Es bleibt bei der plumpen Karikatur, beim Kratzen an der Oberfläche, Tiefgründigkeit oder ernsthafte Auseinandersetzung sucht der Zuschauer vergebens.

Da hilft auch nicht, dass Schimmelpfenning eben nicht realistisch erzählt. Die Szenen werden von Kommentaren der Figuren durchbrochen, Sätze, Szenenfragmente werden wiederholt, zum Teil in unterschiedlicher Betonung, aus der anfänglich linearen Chronologie wird zunehmend eine Art Kreisbewegung. Da traut einer -zu Recht -seiner eigenen Geschichte nicht, schaft eine Distanz, wo ein Eindringen in die angekratzten Themen nötig wäre. Das ist "L'Art pour l'art" und weniger enthüllend als ablenkend.

Kušej verschlimmert die Sache noch: Anstatt Schimmelpfennigs gewollter Künstlichkeit zu folgen, lässt er fast naturalistisch spielen, als wäre man bei Reza oder Albee. Gleichzeitig akzentuiert er die Künstlichkeit durch absurd lange Pausen, die keinerlei Erzählfluss oder Rhythmus aufkomme lassen. Inmittel von alldem versuchen sich die allesamt auf verlorenem Posten befindlichen großartigen Darsteller in psychologisierendem Realismus, der am prästenziösen Korsett von Autor und Regisseur scheitert. Einzig Maren Eggert vermag in kurzen Momenten - entwa in den "Zwiegesprächen" der titelgebenden Plastikpuppe mit einer afrikanischen Holzpuppe - so etwas wie emotionale Tiefe anzudeuten.

Ansonsten bleibt ein - gerade vor dem Hintergrund eines durchaus diskssionswürdigen Themas - erschreckend sinnfreier Abend, der beweist, wie lang 80 Minuten sein können.

November 22, 2010

Film Review: Harry Potter and the Deathly Hallows Part 1 (Director: David Yates)

So this is it. The beginning of the end. The start of the final chapter. It's been ten years since the first film, about 15 since the first book. And now, with these two films, it's supposed to end. So it's not as if there was no pressure. And it's only the exposition, the prologue as it were, a film whose only purpose it is to set up the grand finale, the one all these years have been leading up to. So how do director David Yates, screenwriter Steve Kloves and the all-star cast fare?

The result is a mixed bag as was to be expected. The fact that the final part was split into two films - a decision that has financial benefits but is also due to the complexity of the book and the multitude of strands that need to be picked up and resolved - allows the film to adopt a slower pace, not the frantic rush that tormented some of the earlier instalments.

And indeed, the film is much slower. There are long scenes in which the protagonists just wait. For something to do or something to happen. The inertia, the paralysis, the grim despair that has begun to grip this world, it finds its expression in these scene. However, there are others which feel rushed, which get easy endings, too easy sometimes and which have no time to breathe or develop. The sense of a rushed succession of half-finished scenes which permeates the other films - it is not completely absent here.

The film is darker, too. No more relief, no more Hogwarts anecdotes, the gloom and bleakness, the desparation and hopelessness are constant. Gone is the colourful wizarding world of the first film, grey is now the prevailing colour. The film is cast in a pale, greyish light that drains it of all colour. The dark side has taken over, the images Yates and his DP Eduardo Serra create conform.

However, there is a "but" here too. It is particular the darkest aspect of the book which receives too little attention. For J.K. Rowling depicts the new regime as a fascist repressive totalitarian society which discriminates against all deemed not conforming to the new standard of normality, aiming at enslaving those left behind. It is a great and disturbing metaphor rowling creates. Yates, however, reduces it to hardly more than a footnote, thus reducing the abyss into which we get to stare. The same can be said about the sense of complete isolation from the outside world that is so strong in the book but much reduced here.

The special effects again are great but there is little that surprises, most has been seen in this series before. The one departure is great sequence in which the Tale of the Three Brothers, a key ingredient to the story, is told using expressionisting silhouette-like animation. It is, howver a short surprising moment among too many familiar images.

Finally, the acting. Left to fend on their own without the stellar supporting cast for much of the film, the three young protagonists do fairly well. Daniel Radcliffe is still a little wooden but he has its moments as does Rupert Grint who is less goofy and gets the adolescent outbreaks pretty well. But it's up to a matured, subtle, earnest Emma Watson to carry much of it, taking the other two with her. the scene in which Harry and Hermione, left on their own in complete isolation from the outside world, start dancing. Awkwardly, incompetently, but it's a short moment of life in a world that is dying.

So, an uneven impression remains in a film that is designed to serve another. Let's hope this one, the final chapter deserves this.

November 21, 2010

Henrik Ibsen: John Gabriel Borkman, Abbey Theatre, Dublin (Director: James Macdonald)

It's a cold and lonely world that director James Macdonald and set director Tom Pye have turned the Abbey stage into.  Mounds of snow frame the set on either side - in the end when all pretence of societal ambition, when all limits af civilised life are given up, the snow will take over. Before this rooms of different sizes are superimposed, greyish walls, hinting at cloudy skies, a bare, cold setting, fit for lonely people. The antique furniture does not create a feeling of comfort and cosiness - they are painful reminders of what has already been lost.

Ibsen's slowest, barest, bleakest play is a study of walking dead. People whose lives have long been over and who come to realise this in the course of an evening. Macdonald has assembled a stellar cast who can play all nuances of desperation, desparate hope, pretended grandeur or loneliness. Fiona Shaw in particular, as the wife of the disgraced bank manager Borkman who sets all her hope in her son who she wants to restore the family honor, is frightening in her desperate bitterness, her futile struggle against annihilation. Alan Rickman, playing Borkman, is quieter, more reserved, but even more encaged in his belief in his greatness, or rather his clinging on to it despite knowing better. He resists the temptation to show of and creates much more intensity by holding back. Lindsay Duncan as Borkman's great love and Mrs. Borkman's sister pales a little as the most realistic, the most resigned of the protagonists.

The bleakness, the hopelessness is spot on but it's never too much. And the main reason lies in Frank McGuinness who wrote this new, cleaner and fresher text version and James Mcdonald opting to explore the comic potential of this play that often leads to static, painfully slow and boring productions. Not much happens here, the story has been told, it's over, except not everyone is aware of it. It's difficult to stage but crew and cast have found a way. They turn the self-deception, the pretences of greatness, the hope against reality, they border on the ridiculous. In the hands of Rickman and Shaw in particular, the ridicolousness is released.

These are moments though which highlight the hopelessness of the aspirations rather than easing the weight of the despair. Through the laughter the walking dead become more visible. There is another temptation Macdonald avoids: He does not choose to transport the play into the present, an obvious idea in a time in which banks have become synonymous with the crisis facing the world economy. This is not a study on capitalism, it is a more universal story on human behaviour, on hope, hate, love, too, and the shells all of us hide in sometimes. The play shows what happens when we can't leave them anymore.

The final act is a bit of a problem as finally the melodrama takes over leaving a sour taste. Up to this point though this is a well-balanced, intense production which proves the dramatic potential of this stubborn play.

November 18, 2010

Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper, Berliner Ensemble (Regie: Robert Wilson)

1998 hat er zum ersten Mal hier inszeniert, seitdem kam er immer wieder: Den amerikanischen Theatermagier Robert Wilson und das Berliner Ensemble verbindet mittlerweile schon eine Langzeitbeziehung. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis Wilson Brecht inszenieren würde, den Gründer und bis heute Übervater des Hauses. Und welches Stück eignete sich besser als die Dreigroschenoper für einen Regisseur, der stets die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Bestandteile des Theaters propagiert - Text und Musik, Licht und Bühne. All diese sollen ihre eigene Sprache entwickelt, aus ihrem Zusammenspiel entsteht dann das einzigartige Theatererlebnis, mehr als die Summe seiner Teile. Wilson sieht sich darin bverwandt mit Brecht, dem Erfinder des epischen Theaters, dem Überschreiter von Grenzen zwischen Sprech- und Musiktheater, dem nach einer Einheit, nicht einem Nebeneinander Suchenden.

Doch der Vorhang ist noch nicht gehoben, die Bühne verdeckt von einer Wand voller ineinander verschlungener lichtbesetzter Kreise, da ist klar, dies ist zu allererst ein Wilson-Abend. Die weißgeschminkten Gesichter, die artifiziellen Bewegungen zwischen Puppenspiel und Karikatur, zwischen Expressionismus und Groteske, die Schwarz-Weiß-Ästhetik, die zwischen Zwanzigerjahre-Etertainment à la Cabaret und avantgardistischem Stummfilm schwankt: Das ist in erster Linie Wilson und noch lange nicht Brecht.

Und so stammt das Figurenarsenal aus dem Wilsonschen Universum: Karikaturenhafte, eindimensionale Charaktere mit grotesk überzeichneter Gestik, die sich jeglicher Psychologisierung verweigern - da ist Wilson nah bei Brecht. Sie bewegen sich marionettenhaft über die Bühne, die Wilson diesmal vor allem mit Leuchtstäben ausgestattet hat. Verschiebbare Quadrate aus vertikalen und horizontalen Stäben charakterisieren das Reich des Bettlerausstatters Peachum, ein großflächiges Dreieck, das später den Weg freimacht für einen blassblauen Himmel mit Mond, die Zuflucht Mackies und Pollys, ein paar vertikale Stäbe vor schwarzem Grund das Gefängnis.

Überhaupt ist vieles hier düster, weißes Licht auf Scharz die dominierende Farbwahl. Das ist dem Sujet angemessen und bleibt doch bloße Behauptung. Denn natürlich findet Wilson seine grandiosen Tableaus - sei es in der Spelunke der Huren oder in der abschließenden Galgenszene. Zwischendurch wähnt man sich fast im Musical, zu sehr erinnern die Gruppenszenen an die Masseninszenierungen am Broadway. Der Weg von Wilsons Brecht zu Les Misérables ist hier nur noch kurz.

Es gelingt Wilson eben nicht, eine eigene Sprache für sein Stück zu erschaffen, die Verbindung, aber auch Konfrontation visueller Poesie mit der des Textes, wie sie seine Bearbeitung von Shakespeares Sonetten am gleichen Haus zumindest teilweise auszeichnet, sie fehlt hier. Und das liegt vor allem daran, dass Wilson seinen Stil über das Stück stellt und dieses im Wilson-Look ertrinkt. Der sozialkritische Unterbau, der existenzielle Kampf, der immerwährende Konflikt zwischen Arm und Reich, von dem Brecht erzählt, sie gehen in Wilsons Hochglanz-Optik unter. Hier darf nichts arm, schäbig oder schmutzig sein.

Und so bleiben schöne Bilder ohne Botschaft - und kurze Momente, die allesamt den Schauspielern gehören. Stefan Kurts schmierig-stolzer Mackie, Axel Werners naiv-melancholischer Tigerbrown, vor allem àber  Jürgen Holtz' selbstbewusst-herrisch-karikaturesker Peachum bleiben im Gedächtnis. Die Krone gebührt jedoch Angela Winkler, deren Jenny aus der Welt und aus dem Stück gefallen scheint und sie als einzige andeutet, auf welchen Untiefen dieses Stück eigentlich gründet. Für Brecht imagined by Wilson ist das etwas wenig.

November 13, 2010

Corpus. Ein choreografisches Körperprojekt, Deutsches Theater (Junges DT), Berlin (Regie: Gudrun Herrbold, Bettina Tornau)

Zu den Akzenten, die Ulrich Khuon in seiner noch jungen, sicherlich nicht unumstrittenen und keineswegs leichten Amtszeit als Intendant des Deutschen Theaters gesetzt hat, gehört ein erklärter Fokus auf das, was man im Sport Nachwuchsarbeit, in der Wirtschaft Nachwuchsförderung nennen würde. Koproduktionen mit der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" und der Universität der Künste Berlin gehören ebenso dazu wie die umfangreichen und vielfältigen Projekte und Aktivitäten des Jungen DT. Junge Menschen an das Theater heranzuführen, es erlebbar zu machen, im Anschauen wie im Mitwirken, ist das erklärte Ziel dieser Initiative. Dabei geht es nicht um Jugendtheater im klassischen Sinne, auch nicht um Sichtung oder Förderung junger Talente, sondern um gegenseitige Inspiration und Herausforderung, vor allem aber um die Konfrontation der Lebenswirklichkeit Jugendlicher mit dem Theaterbetrieb und umgekehrt, sowie um die Möglichkeit, sich und sein Erleben über das Theater greif- und erlebbar zu machen.

Corpus, ein "choreografisches Körperprojekt", wirkt hierfür fast exemplarisch. Sieben Jugendliche und ein Schauspieler (Bernd Moss) befassen sich in sieben Teilen mit unterschiedlichsten Aspekten der Körperlichkeit nicht nur, aber vor allem junger Menschen. Und als wäre das noch nicht genug Wirklichkeit, zieht man dafür um aus dem Theater in den historischen Robert-Koch-Hörsaal der Charité, einen Ort, an dem sich seit jeher mit dem dem menschlichen Körper beschäftigt wird. Nun also wird hier aus der Theorie Praxis.

Die sieben Kapitel befassen sich jeweils mit einem Aspekt der Körpererfahrung und -empfindung, auch des Körperentdeckens. Da geht es um den Körper im Raum, Körperideale, krankhafte Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, Wünsche an den Körper, den Umgang mit ihm und um Selbstversuche in der Erfahrung fremder Körper und Körpermerkmale. Moss gibt zunächst den Dozenten, später ergreifen die Jugendlichen das Wort, berichten von eigenen Erfahrungen, beziehen auch das Publikum ein, als zu erkundende Körperlichkeiten.

Am Anfang ist ein Sich-Ertasten, eine zaghafte Annäherung an den eigenen Körper und die der anderen, später ein Sich-Selbst-Ausprobieren, noch später eine gegenseitige Körpererfahrung im Sich-Ineinander-Verfangen und -Verknoten. Das ist durchchoreografiert und lässt doch jede Menge Freiraum für die individuelle Entfaltung der Darsteller, für das Zutagetreten eigenständiger Persönlichkeiten. Das Spielenlassen, das eigene Experimentierendürfen - hier ist es nicht nur Behauptung.

Doch es ist nicht alles freundliches Spiel und neugieriges Erkunden - der Körperkult, der Schön- und Schlankheitswahn unserer Gesellschaft, die Diskriminierung jener, die durch das Raster fallen, und ihre Auswirkungen auf junge Menschen - auch das wird thematisiert und ausgespielt.

Am eindrucksvollsten gelingt dies in einer Szene, in der die Jugendlichen über eigene Krankheitserfahrungen berichten. Sie sprechen, ein anderer sagt "Stopp", erhält dadurch das Wort, bis ihn wieder jemand anderes unterbricht und ablöst. Kommt zunächst noch jeder zu Wort, übernimmt nach und nach ein Mädchen mit einer unendlich anmutenden Ärzteodyssee, bis sie allen anderen das Wort entzieht, insistierend, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Die anderen, zum Verstummen gezwungen, verlassen einer nach dem anderen den Raum, bis das Mädchen allein ist. Als sich die Tür schließt, verstummt auch sie. Das Leiden am eigenen Körper, so erleben wir hier, führt zu einer Selbstbezogenheit, die die Selbsterfahrung, aber auch die Neugier auf andere ausschließt. Der unsichere, als ungenügend eingestufte, nicht-normierte Körper dreht sich nur noch um sich selbst und seine vermeintliche Unzulänglichkeit. Und erstarrt dabei - die Szene gehört allein dem Wort, die Körper bleiben stumm.

Wer über Theaterprojekte mit Jugendlichen berichtet, zieht sich gern auf den Gemeinplatz der "Spielfreude" zurück, vielleicht auch, um sich den Kriterien kritischer Beurteilung "normaler" Theaterabende entziehen zu können. Hier sei der Begriff jedoch erlaubt, durchzieht den Abend doch eine erfrischende Leidenschaftlichkeit, eine Freude am Spiel, eine Neugier auf Erfahrungen und Erlebnisse - mit dem Theater, aber auch dem Sujet des Projektes. Und dabei istdas Ganze so spannend, vielseitig, einfalls- und abwechslungsreich und geschieht auf so intellektuell hohem Niveau, dass es auch einer "normalen" Beurteilung ohne weiteres standhält. Die Gefahr, bei Themen wie Anorexie und Schlankheitswahn in Klischees zu verfallen, wird mit solcher Frische und Leichtigkeit umschifft, dass man sich am Ende nur darüber ärgert, dass der Abend so kurz ist.

November 11, 2010

Eugene O'Neill: Ein Mond für die Beladenen, Maxim-Gorki-Theater (Gorki Studio), Berlin / Schauspielhaus Bochum (Regie: Armin Petras)

Irgendwann während dieser gut 90 Minuten stehen Anja Schneider und Christian Kuchenbuch auf Stapeln von Sperrhulz-Quadraten, die zuvor die Bühne bedeckt hatten, und tasten sich unsicher an eine Liebeserklärung heran. Halb gelingt sie, halb bleibt sie im Versuch stecken, endet sie im Frage-, nicht im Ausrufezeichen. Es ist der vielleicht einzige Moment wirklicher Nähe, den O'Neill seinem düsteren Stück über Armut und Alkoholismus, vor allem aber über verletzte, seelisch versehrte und verkrüppelte Charaktere erlaubt. In Armin Petras Inszenierung ist dies die einzige Szene, die keine physische Nähe zulässt, ein Zusammensein unmöglich macht. Bei O'Neill wie bei Petras ist den Lebens- und Liebessuchenden von Beginn an der Misserfolg gewiss - es gibt nur, so heißt es schon zu Beginn, diese einzige mondklare Nacht, mehr ist es nicht, das sie teilen können. In dieser kurzen Nähe ist ihre Unmöglichkeit bereits präsent. Ein einfaches Bild - und doch ein äußerst eindringliches.

Leider bleibt es dabei, handelt Petras den Rest des Stücks doch eher holzschnittartig ab. So blendet er den politsischen Unterbau fast komplett aus, ein paar Sentenzen zum Klassenkampf sorgen eher für Belastigung. Es geht hier weniger wie bei O'Neill um den Einbruch existenzieller Ängste in die Privatheit, um tragische Interferenzen beider Sphären - der drohende Verlust der Familienfarm ist hier eher Beiwerk, das der Geschichte der nicht Zueinander-Finden-Könnenden etwas Würze verleiht. Und so irrt Thomas Azenhofer als Vater etwas verloren durch die Szenerie, spielt ein paar Lieder auf der Gitarre, ist aber eher schmückendes Beiwerk. Jim und Josies Geschichte steht im Mittelpunkt, alles andere ist Begleitrauschen.

Das mag als Konzentration aufs Wesentliche gemeint sein, nimmt dem Stück aber viel von seiner Kraft. Denn es ist eben nicht nur eine unmögliche Liebesgeschichte, es ist auch ein Kampf der großen Gegensätze - arm und reich, korrupt und ehrlich, mächtig und machtlos. All dies geht über weite Strecken unter, ebenso wie Jims persönliche Traumata. Der "wandelnde Tote", als der er bei O'Neill erscheint, ist er hier nicht, dazu ist er zu sehr Karikatur.

Und doch driftet er Abend nie ganz in Langeweile und völlige Belanglosigkeit ab - und das verdankt er Anja Schneider. Wie sie vom grenzdebilen groben Bauerntrampel zur desillusionierten Pragmatikerin wird, wie sie zwischen Verzweiflung und Hoffnung wechselt und sich am Ende der Wahrheit stellt, ohne Beschönigung, ohne sich ihr zu entziehen, ist faszinierend zu beobachten. In seinen besten Momenten ist Petras O'Neill spannendes Schauspielertheater. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

November 02, 2010

Falk Richter / Anouk van Dijk: Protect Me, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Falk Richter und Anouk van Dijk)

"Are ever alive or are we just special effects?" Die Frage stellt Anouk van Dijk gegen Ende des zweistündigen Abends - er könnte auch als Motto über diesem stehen. Vor einem Jahr verhandelten der Autor/Regisseur und die Choreografin/Tänzerin in ihrer gemeinsamen Arbeit Trust an gleicher Stelle die Bankenkrise und ihre Auswirkungen - diesmal ist es nicht weniger als die Krise des (post)modernen Menschen.

Dafür hat Richter diesmal eine Art Rahmenhandlung erfunden - ein nicht mehr ganz junger "Nachwuchs"-Autor, natürlich ein Alter Ego Richters - ob es auch ein Selbstportrait ist, sei dahingestellt - auf der Suche nach einem Titel für sein Stück. Und das namenlose Stück ist es, was Richter und van Dijk auf die Bühne bringen. Dabei ist die Namenssuche des Autors natürlich eine Metapher: Es geht um Sinnsuchen, für das eigene Leben, die Gesellschaft als ganzes, Beziehungen. Vor allem aber verschiebt sich gegenüber Trustder Fokus: Stand dort noch das gesellschaftliche, politische im Vordergrund, geht es diesmal mehr um das Private, Persönliche.

Und so ist der Abend einer der Suche, spielen Regisseur und Choreografin Szenarien durch, Versuchsanordnungen, Modelle vermeintlicher Sinnstiftung. Einen gewollt fragmentarischen Charakter verleiht das dem Stück, ganz im Sinne der immer ratloseren Suche des Autors nach einem Titel.

Und was da alles verhandelt wird: Beziehungsunfähige Menschen, schon überfordert mit der Gesellschaft des eigenen Ichs, ganz zu schweigen von der anderer, Vater-Sohn-Beziehungen zwischen hilfloser Liebe und verzweifeltem Einander-Verletzen, "gedemütigte Praktikantenfressen" vor dem Aufstand der nie stattfindet, menschliche Beziehungen, die den gleichen Gestzen gehorchen wie der "Markt". Richter und van Dijk lassen "fast" nichts aus und entwerfen ein meist spannendes Panorama einer Gesellschaft, die ihren Halt verloren hat. Das ist berührend wie in den sprachlosen Vater-Sohn-Szenen zwischen Erhard Marggraf und Kay Bartholomäus Schulze, es kann aber auch sehr komisch sein, wenn etwa Judith Rosmair und Anouk van Dijk einer Praktikantin ihr ganzes Leben überstülpen wollen.

Wenn es so etwas wie einen roten Faden gibt, Themen, die den Abend durchziehen, dann sind es Vereinsamung und Bindungslosigkeit auf der einen und Sprachlosigkeit auf der anderen Seiten. Für beide finden sich durchaus eindringliche Bilder. Da sind Tanszenen zwischen Anziehung und Abstoßung, in denen die Momente der Einswerden miteinander so nachdrücklich wirken, eben weil sie so kurz sind, oder Menschen, die sich immer wieder in die drei Glascontainer zurückziehen, die Katrin Hoffmann auf die ansonsten sehr sparsam gestaltete Bühne gestellt hat und in denen sich Körper suchen, finden, wieder verlieren.

Überhaupt die Körperlichkeit: Immer wieder betrachten und betasten Schauspieler wie Tänzer den eigenen Körper, unsicher, ungläubig, neugierig, fragend, ob das, was sie da an sich vorfinden, sie sind, und was sie damit anfangen sollen.

Gelungen ist vor allem aber die Darstellung von Sprachlosigkeit als Ausdruck des Sich-Verlierens oder des Sich-Nicht-Finden-Könnens. Sprache heißt, zu sich selbst zu kommen, der Fremdbestimmung zu entfliehen, durch gesellschaft, Familie oder auch Coaches und Therapeuten, die einem erklären wllen, wer man ist. Dabe geht es doch darum, dies selbst entscheiden zu wollen, wie Luise Wolfram, die sich immer wieder zu einem Mikrofon vorkämpft, nur um nach wenigen Worten wieder weggezerrt zu werden. das Mikrofon, es ist hier Symbol der Menschwerdung, der Stimmfindung, der Individualisierung. Hier kommen die Figuren zu sich, hier können sie nicht nur mitteilen, wer sie sind, hier können sie es in der Mitteilung erst erfahren, vielleicht sogar es erst werden.

Und dieses Sich-Finden ist schwer, wie in Wolframs Szene, fast unmöglich. So kopmmt manch einer zum Mikrofon und bleibt doch stumm. Oder da ist die Eingangsszene,. in der Darsteller immer wieder sich aufrichten und an den Bühnenrand, zum mikrofon vortasten, nur um von einer unsichtbaen Kraft umgeworfen und zurückgestoßen zu werden, in einem immer intensiver und verzweifelter werdenden Kampf. Ein Bild, das seine Wirkung nicht verfehlt.

Und doch fehlt dem Abend die Intensität von Trust, und das liegt vor allem daran, dass hier das Zusammenspiel von Sprech- und Tanztheater, von Text und Bewegung nicht so selbstverständlich funktioniert wie im Vorgänger-Stück. Gingen die beiden Darstellungsarten dort wie natürlich ineinander über und auseinander hervor, bildeten sie dort eine Einheit oder arbeiteten sich aneinander ab, stehen sie hier meist nebeneinander, von einander getrennt. es wird gesprochen oder getanzt, es regiert der Text oder die Bewegung, aber es gibt keine Symbiose beider. Und so setzt sich der fragmentarische Charakter des Abends auch hier fort, ohne jedoch zur Sinnstiftung beizutragen. Am Ende bleibt ein anregendes Stück Theater, das aber noch mehr hergegeben hätte.

October 28, 2010

Maxim Gorki: Kinder der Sonne, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Stephan Kimmig)

Kinder der Sonne, geschrieben in Folge und unter dem Einfluss der gescheiterten russischen Revolution von 1905, ist ein Stück über Gegensätze. Auf der einen Seite die "Kinder der Sonne", die russische Intelligenz, erfüllt vom Glauben, für das Wohl der breiten Masse zu arbeiten, aber eingeschnürt in ihrer eigenen kleinen Realität. Auf der anderen steht der Pöbel, stumpf, unidealistisch, gewalttätig. Aus dieser Spannung zieht das Drama seine Energie, seine Wirkung. Nur vor dem Hintergrund des Außen, der wahren Welt, sind die narzisstischen, um sich selbst drehenden Diskussionen der Möchtegern-Weltverbesserer zu verstehen, nur vor ihm haben sie eine dramatische Funktion. Kinder der Sonne ist ein zutieft pessimistisches Stück: Weder die Elite, noch das Proletariat erscheinen hier als Motoren eines Wandels zum Besseren.

Stephan Kimmig nimmt zwei zentrale Änderungen vor: Erstens verlegt er das Geschehens in die heutige Zeit (wie Gorki es in die Vergangenheit schob), zweitens blendet er den Pöbel, das einfache Volk fast vollständig aus. Übrig bleibt nur der Hausmeister Jegor, der ein bisschen pöbeln darf, einige clowneske Momente hat, aber eher lächerlich als bedrohlich wirkt. Einmal darf er mit einem Hammer den von Katja Haß gebauten Stangenwald malträtieren. Ein Bild der Bedrohung der fragilen Innenwelt durch die Gewalt der Realität, dass in seiner Einfalls- und Hilflosigkeit seinesgleichen sucht.

Mit der Beschneidung des Personals und dem Bühnenbau endet dann auch die Regiearbeit Kimmigs weitgehend. Er stellt einfach ein Ensemble auf die Bühne, das jeden Theaterliebhaber mit der Zunge schnalzen lässt. Ulrich Matthes, Nina Hoss, Sven Lehmann oder Katharina Schüttler, so meint er, werden schon etwas draus machen. Und natürlich tun sie das, jeder für sich. Matthes spielt den Protassow als weltfremden lächerlichen Jammerlappe weit jenseits der Grenze zur Parodie, Nina Hoss spielt jede Schattierung des Gelangweiltseins durch, Lehmann probiert jede Nuance aus, die seine schnarrende Stimme hergibt und ergeht sich ansonstem in einem spöttischen Lächeln, das den Eindruck erweckt, es gelte der Inszenierung selbst. Nur Katharina Schüttler fühlt sich sichtlich unwohl und erscheint irritiert ob des behaupteten Weltschmerz, den sie darstellen soll. Ihre Lisa ist in der Verweigerung des oberflächlichen Leidens vielleicht die authentischste Figur.

Ansonsten spielt man vor sich hin und nebeneinander her, wird von Zeit zu Zeit zu bedeutungsschwangeren Tableaus aufgestellt, die eher das Niveau eines Fotoshootings für "Germany's Next Topmodel" haben, und wartet ansonsten auf den Vorhang. Da ist keine Spannung, zum einen weil der Reibungspunkt der feindlichen Außenwelt, der "echten" Realität fehlt, aber auch weil sich Kimmig weigert, das ganze wenigstens als Kammerspiel, als Drama einer hermetisch abgeschotteten Parallelwelt, zu inszenieren, wenn nicht als Tragödie, dann wenigstens als Farce. Aber es ist nicht einmal eine ironische Darstellung einer überdrehten Mittelklasse von heute. Was da auf der Bühne zu sehen ist, sind Aufwärmübungen eines Schauspiel-Workshops. Machen Sie mal einen weltfremden Professor. Sehr schön. Und jetzt ist Mittagspause.

October 25, 2010

Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, Thalia Theater, Hamburg (Regie: Nicolas Stemann)

Es gibt Langweiligeres zu sehen und Vorhersehbareres auf deutschen Bühnen als die Regiearbeiten Nicolas Stemanns. Stemann versteht Theater als Prozess, der stets bei Null anfängt und oft auch weitergeht, wenn die Premiere vorbei ist. Und so sind Stemanns Inszenierungen oft Versuchsanordnungen, die nicht selten etwas Probendes, Forschendes an sich haben. Eine "Textverarbeitungsmaschine" hat er seine Inszenierung der Kontrakte des Kaufmanns genannt, Text- und Stückaneignungsprozesse sind viele seiner Arbeiten.

Keinem Stück müsste ein solcher Ansatz so gut zu Gesicht stehen wie Lessings Nathan, dieser Utopie einer besseren Welt, eines Miteinanders der Religionen, der heute fast noch mehr als damals von nicht wenigen jeglicher Realitätsbezug abgesprochen wird. Als naiv empfinden wir die simpel anmutende "Versöhnungsideologie" (Stemann), das so leichte Wegwischen mörderischeren Streits, die so einfache Überbrückung tausendfach todbringender Konflikte. Wer heute Nathan auf die Bühne bringt, hat Jahrhunderte blutiger Geschichte gegen sich, als Beweismittel gegen ein Stück, das schon lange auf der Anklagebank pragmatischer Vernunft sitzt.

Stemann verhehlt seine Abneigung nicht - gegen die einfache, alle wirklichen Konflikte ausblendende Versöhnungsbotschaft, die naive Annahme, die Vorführung der Versöhnung könne den Menschen zur Umkehr und Einsicht verleiten. Eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine Inszenierung, die Lessings Stoff nicht nur hinterfragt, sondern auch erns tnimmt.

Und doch tut Stemann genau das. Er wolle, so sagt er im Programmheft, den Text zum Klingen bringen, die Geschichte sich selbt erzählen lassen. Und so wird zunächste ein Lautsprecher auf die leere Bühne heruntergelassen, durch den wir den Text hören, wie Lessing ihn geschrieben hat. Und siehe an, er beginnt zu leben, tastend, suchend, noch unsicher vorgetragen von den unsichtbaren Schauspielern. Ohne visuelle Unterstützung fängt der Text tatsächlich an zu klingen, sucht eine Melodie zwischen Zweifel und Affirmation, Ablehnung und Zuversicht. Der suchende Zuschauer und die tastenden Sprecher beschreiten gemeinsam einen Weg, auf den der Text sie führt und von dem keiner weiß, ob er tragen wird.

Irgendwann hebt sich ein Vorhang und die Darsteller werden sichtbar, zunächst halb versteckt von den Mikrofonen. Und je sicherer sie werden, je heimischer sie werden im Text, desto mehr trauen sie sich hervor, bis Nathan, unsicher noch, am Bühnenrand steht, um die Ringparabel vorzutragen. Hier jedoch bricht der Emanzipationsfluss des Textes, Nathan rezitiert den Text als sei es der eines anderen, er spricht eine Rolle, mit wachsender Skepsis ihrer Wahrheit gegenüber.

Und plötzlich steht da ein zweiter Nathan, in historischem Kostüm, später auch eine zweite Daja, eine zweite Recha, wie Verkörperungen des wachsenden Zweifels. Und wenn sie sprechen, spricht aus ihnen die Skepsis an der Wahrheit dieser zentralen Rede des Stückes und diese Skepsis hat die Worte Elfriede Jelineks, deren "Sekundärdrama" Abraumhalde, den dunklen Raum öffnen will, den Lessing zugeschüttet hat, und dem Stück, wie Stemann sagt, den Hass zurückgeben soll. Und so zerfällt die Ringparabel zur Frage, zur immer schwächer werdenden These, attackiert von Gegenthesen, bohrendere Fragen, ein Spiel von Aussgae und und Kreuzverhör. Ein zweites Mal wird sie versucht, als fernes Echo, eher um Gehör flehend als Anerkennung fordernd.

Und so beginnt ein zweites Stück, in dem Jelinek die Oberhand gewinnt. Da werden die Gegenpositionen durchgespielt als grotesker Maskenball, da wird verkleidet und mirt Requisiten gespielt, Video- und Standbilder aufgenommen und projiziert, ein Suchen auch dies, ein wilderes anarchischeres diesmal, nicht nach einer harmonischen Ordnung, sondern nach den Stellen, an denen diese fragiele Ordnung bricht und das Chaos hervortritt. Wo Lessing affirmiert, negiert Jelinek - und Stemann findet Rhythmus, Bilder und Klang für beide. Der ruhige Fluß, das geordnete Hineintasten in den Text steht dem wilden, ungeordneten, ausufernden Sprachgebäude Jelineks gegenüber.

Es gehört zu Stemanns Verdiensten, dass er den Zweifel, die Ablehnung ga, die Widerlegung zulässt, Lessings Text aber nicht über den Haufen wirft. So bricht sich Nathan zum Ende wieder Bahn, wenn auch nicht so wie bei Lessing. Während im Hintergrund die allzu simple Auflösung der Familienverhältnisse heruntergerasselt wird, liegt vorn der historische Nathan regungslos auf der Bühne, umringt von Daja und Recha, eine Dreifaltigkeit, welche die Schlussszene ebenso hinter sich lässt wie die blosse Negativität des Jeninek-Textes.

Dieser Nathan ist kein naiver Versöhner, sondern ein zweifelnder, vielleicht auch ein gebrochener Mann, der Hoffnung und Hoffnungslosikeit zu gleichen Teilen ist, kein strahlender Sieger, ein Verlorender vielleicht, aber einer, der seine Würde bewahrt. Die Botschaft des Nathan ist nicht gescheitert, sie ist durch die Konfrontation mit ihrem Gegenstück, vielfältiger geworden, fragiler auf den ersten Blick, vielleicht aber auch stärker am Ende. Nathan liegt am Boden und steht doch aufrechter, als er es in Lessings Text vermochte.

October 17, 2010

William Shakespeare: Othello, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Thomas Ostermeier)

Am Anfang ist hier nicht das Wort, sondern die Musik. Thomas Ostermeier stellt, oder genauer setzt, vier Musiker um seinen musikalischen Leiter Nils Ostendorf auf die Bühne und überlässt der Musik die Einstimmung. Dazu wird ein nackter Othello zunächst von Desdemona mit schwarzer Farbe bemalt, anschließend wird er per Videprojektion mit verrauschten Bildern angestrahlt. Anschließend landet er mit Desdemona auf dem Bett und unter der Decke, die dabei ebenfalls als Leinwand dient. Bett und Paar werden herausgeschoben und damit gleichsam entsorgt. Die Show gehört anderen.

Das ist zweifellos schön anzuschauen, eindrucksvolle Bilder gibt es wie so oft bei Ostermeier zur Genüge. Und auch die Botschaft ist klar: Othello, der Schwarze in einer weißen Gesellschaft, als Projektionsfläche, als Außenseiter, weil die Gesellschaft ihn als "anders" bestimmt und markiert. Das ist so einleuchtend wie wenig originell wie harmlos. Denn hier werden nur oberflächliche Bilder auf Basis plumper Metaphern erschaffen, eine aschlüssige Interpretation ergibt sich daraus nicht. Denn der Othello, den wir danach sehen, ist sehr wohl Teil dieser Gesellschaft, er grenzt sich vielmehr selbst aus. Was bei Shakespeare durchaus gesellschaftlichen Zündstoff besitzt, hier wird es zu bloßen Eifersuchtsdrama.

Das ist auch nicht überraschen, denn Ostermeiers Interesse gilt nicht Othello, den braucht er nur als Anlass und Opfer. Er ist beileibe nicht der erste, der Othello als Jagos Stück interpretiert, das Desinteresse, das er allen anderen und allem, was nicht Jago ist, entgegenbringt, ist aber doch erstaunlich und tut der Aufführung nicht gut. Und das liegt sicher nicht an Stefan Stern, der einen jugendlichen, kontrollbesessenen, wachen, unter Strom stehenden, manipulativen, vor allem aber spielwütigen und spielfreudigen Jago gibt. Stern sorgt für die wenigen Höhepunkte und hält den Abend, so weit es geht, zusammen.

Ostermeier, das wird in Jagos ersten Worten schon klar, thematisiert hier das Theater selbst. Jago ist Regisseur und Schauspieler, Alleinunterhalter und Conférencier. Die Bühne ist eine Bühne - und eine Spielwiese, verkleidet als Planschbecken, denn ja, es wird mal wieder im Wasser gespielt - Jossi Wieler und andreas Kriegenburg haben es in der letzten Spielzeit vorgemacht. Im Hintergrund vertikale Neonröhren, natürlich verschiebbar, dahinter wie es scheint, der semitransparente Vorhang aus Ostermeiers Hamlet. Und wem das noch zu subtil ist, der bekommt Mikros vorgesetzt und Videosequenzen von Las Vegas. Hier geht es um Entertainment, klar?

Und doch, auch das zieht Ostermeier nicht durch. Denn wenn sich dann das Drama dann endlich entfaltet, ist von einem interpretatorischen Ansatz herzlich wenig zu spüren. Da wird müde vor sich hingespielt, da wird deklamiert und werden Gefühle inszeniert, als wäre man bei Peter Stein. Plötzlich hat Ostermeier keine Einfälle mehr, die darüber hinaus gehen, dass Othello Jago droht, in dem er seinen Kopf unter Wasser drückt. Das eigentliche Spiel ist dann fast regiefrei und gemahnt doch sehr an die üblichen Provinzbühnenklischees.

Für die Schaubühne ist das zu wenig und für Ostermeier eigentlich auch. Ein paar hübsche Einfälle machen eben keine gute Inszenierung, wenn man sie zum einen nicht durchzieht und zum zweiten kein erkennbarer interpretatorischer Ansatz zu sehen ist, der länger als ein oder zwei Szenen anhält. Warum Ostermeier den Othello aufführen wollte, verrät seine Inszenierung nicht.

October 13, 2010

Film Review: The Social Network (Director: David Fincher)

There are many indicators that can help decide on the quality of a film. One of the more reliable ones is this: You sit in the theatre, the closing credits start rolling and you're surprised because you're thinking not much more than an hour could have passed. Instead, it's been two hours. When this happens, it's usually not too bad a sign. The Social Network, Davis Fincher's fictionalized account of the foundation of Facebook, one of the greatest business success stories of our young century, is such a film.

It starts with a two minute tour de force: Mark Zuckerberg sits in a café with Erica, a girl he is dating. A discussion about his desire to enter one of Harvard's exclusive clubs ands in a war of words and the girl breaking up with him. Not before telling him that even though he may thing girls didn't like him because he was a nerd, that's not the reason: They don't like him because he is an a**hole, she says.

With this hilarious and yet disturbing fast-paced scene, the film starts as if it's kicking in a door. It also perfectly characterizes Mark Zuckerberg as we will get used to him in the next two hours: as a complex-ridden, ambitious, jealous, totally self-conscious character who bites when he feels attacked - especially those closest to him. Thus it is with Erica and thus ist is with his best freiend and Facebook co-founder Eduardo, who he will betray later.

And so it is no coincidence that the film not only starts with a sequence of events that gets him into trouble with the university and its female student but that it centers on two lawsuits against him from which the story is told in flashbacks. From here the story unfurls like a murder mystery - made even stronger by the fact that it's "only" the story of an IT company. It is a story of betrayal and hurt pride - set in a world of money, sex and drugs to which, strangely, the center of the storm, the villain of the piece is mostly immune. Zuckerberg want recognition more than money, self-affirmation more than sex or billions of dollars. maybe this is what sets him up as a target - for those feeling done wrong by him and those who try to use him as a toy. In the end, he comes out - not unharmed, not loved, but his own man, in a way.

The lawsuits play an interesting role too: There is the serious suits brought on by the betrayed friend Eduardo and its farcical counterpart initiated by affluent snobs thinking he stole their idea. The two proceedings shed light on each other and together create a picture so complex that in the end an easy condemnation is hard to get to.

Much of this is due to an excellent cast: Jesse Eisenberg is breathtaking as the over-confident yet vulnerable, love-seeking yet wounding, arrogant and lonesome Zuckerberg, Andrew Garfield is the honest, naive and proud Eduardo, Justin Timberlake the pompous and maipulating Sean Parker.

The result is a fast-paced, brilliantly structure thriller, as serious and deep as it is hilariously funny, full of fully threedimensional characters that does so much more that shed a light on an industry still underrepresented in Hollywood - it sheds a light on what it means to be a totally imperfect human being trying to figure out what this thing called life actually means. And maybe its greatest achievement is that it reserves judgement on its "villaint". "You're not an a**hole", another woman says at the end. "You're just trying too hard to act like one." Who can tell who is right?

October 10, 2010

Günter Grass: Die Blechtrommel, Maxim-Gorki-Theater, Berlin (Regie: Jan Bosse)

Man muss sich Armin Petras als glücklichen Menschen vorstellen: Jahrzehntelang versuchten Theatermacher immer wieder, Günter Grass zu überzeugen, seinen Jahrhundertroman auf die Bühne bringen zu dürfen. Doch erst der Intendant des Berliner Maxim-Gorki-Theaters erhielt schließlich die Erlaubnis. Petras bearbeitete den Roman für das Theater und holte mit Jan Bosse einen Regisseur ins Boot, der spätestens seit seinem vielgelobten Werther als Spezialist für Romanbearbeitungen gilt.

Das Ergebnis ist wenig überraschend und dennoch durchaus erfolgreich. Bosse und Petras machen nicht den Fehler, den Stoff dramatisieren zu wollen, in dem sie die "Geschichte" "nachspielen". Stattdessen nehmen sie das Ursprungsgenre ernst und stellen die Frage, was eigentlich den Kern, das Fundament der Gattung Roman ausmacht. Und so ist es nicht überraschen, dass sich nicht nur die Texte im Programmheft. sondern auch die Inszenierung um das Geschichtenerzählen drehen, um seine fragile Beziehung zu dem, was wir für Wahrheit halten, aber auch um seine konstitutive Kraft, als einer der Grudpfeiler dessen, was es heißt, Mensch zu sein.

Und so beobachten wir nicht nur einen, sondern gleich sieben Oskar Matzeraths - junge und alte, mänliche und weibliche - dabei, wie sie Geschichten erzählen. Ihre eigene, die ihrer Vorfahren, die ihrer Zeit. Und wie es Geschichten eigen ist, erzählen sie dabei nicht nur Geschichte, sondern kreieren sie, berichten sie nicht nur, sondern schaffen ihre eigene Wahrheit. Dabei rivalisieren die sieben Oskars, kämpfen um Raum für ihre eigene Sicht, um kurz darauf einander dabei zu helfen, die vollständige Geschichte zu schaffen und zu erzählen.

Natürlich werden einzelne Szenen nachgespielt, wobei jeder Oskar aus der eigenen Rolle fällt und andere annimmt. Es sind Schlüsselszenen des Romans, die erzählt und visualisiert werden, und doch ist es kein "Best of", keine Nummernrevue. Da ist nichts Forciertes dabei, keine Schwere, die Spielszenen, entwickeln sich natürlich aus der Erzählung setzen sie fort und leiten spielerisch wieder in sie zurück. Dabei entwickelt die Inszenierung eine leichthändige Selbstverständlichkeit, die diesen eklektischen Stil eben nicht künstlich wirken lässt.

Auch visuell steht das Thema Geschichtenerzählen im Vordergrund, und das liegt vor allem am klugen Einsatz der Videotechnik: Da werden Erinnerungsfotos aufgereiht, da werden Szenen illustriert oder begleitet, manchmal auch ironisch gebrochen. Der Erzähler am Lagerfeuer, das Familienfotoalbum, die gezeichnete Illustration: Bei Bosse/Petras wie beim sich selbst vor allem als Geschichtenerzähler verstehenden Grassselbst sind dass alles Seiten der gleichen Medaille.

Doch auch wenn das Schaffen und Erzählen von Geschichten im Mittelpunkt stehen, so vergisst die Inszenierung nie, welche Geschichten hier erzählt werden. Das beginnt bei der bunkerartigen Bühne und setzt sich fort in dem leichtfüßigen Wechsel von Ernst und Komik, von Trauer und Groteske, die auch den Roman charakterisiert. Diese Figuren, diese Schicksale, diese Geschichten müssen erzählt werden, um sie nicht zu vergessen, nur in der Erzählung können sie existieren. Und so ist diese gelungene Inszenierung auch eine Studie über die sinnstiftende und lebenspendende Kraft des Erzählens. Und dies ist tatsächlich ganz im Sinne von Günter Grass.

September 30, 2010

Jean-Luc Godard: Die Chinesin, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: Dimiter Gotscheff)

Schön anzusehen ist das ja: eine weite Bühne voller drehbarer gelber Segel, ein rotes Transparent, später rollt sich noch eine riesige blaue Stoffbahn von der Decke hinab. Die drei Primärfarben bilden das visueelle Grundgerüst wie schon in Godards Film, dessen "Übermalung" Dimiter Gotscheff und sein Bühnenbildner, der Maler Mark Lammert, hier versuchen. Die Farben stehen für die größtmögliche Reduktion, aus ihnen kann jede andere Farbe entstehen, mit ihnen ist alles möglich.

Gotscheff ist ja ein Meister der Reduktion, er schafft immer wieder klare, einfache, zentrale Bilder und oft sind es Wände, Mauern, die trennen und durch die hindurch sich etwas Bahn bricht. Der Nebel in Iwanow, die schon fast legendäre gelbe Wand in den Persern, nun also eine Reihe von Stoffwänden, von denen jedoch nur die gelben Segel eine echte dramaturgische Funktion haben. Zwischen ihnen irren die namenlosen Figuren umher, hinter ihnen verstecken, in ihren verlieren sie sich, aus ihnen quellen sie hervor.

Godards Film war eine Versuchsanordnung, fast dokumentarisch sollte er sein, über eine Gruppe junger Menschen, die Marxismus-Leninismus spielten, "wie Kinder, die in den Ferien versuchen, ein Indianerzelt zu bauen", so Godard in einem im Programmheft zitierten Text. Man redet über das Handeln, man bastelt an Theorien, aber man handelt nicht. Vor allem aber wird zitiert - von den Figuren, deren Sätze kaum jemals ihre eigenen sind, aber auch von Godard selbst, schließlich ist sein Lieblingssujet das Kino selbst.

In Gotscheffs Bearbeitung stehen die Zitate nun allein, es gibt nichts mehr, das zitiert werden könnte oder auf das es sich lohnte sich zu beziehen. Gotscheff bedient sich nicht nur bei La Chinoise, sondern auch bei anderen Godard-Filmen, doch ein Bedeutungsrahmen ergibt sicht nicht, er ist vielleicht auch nicht gewollt.

Und so ergibt sich eine Nummernrevue der Monologe. Es geht um Terrorismus, gesellschaftliche Utopien, um Sex, philosophische Erklärungsmuster und vieles mehr. Bald fließt alles ineinander, was gesagt wird, ist nicht mehr von Bedeutung, nur dass geredet wird, zählt. Und doch bleibt der Eindruck, es ginge noch um etwas, doch worum erschließt sich nicht. Stattdessen entsteht eine Beliebigkeit, die das Interesse erschlaffen lässt und in Langeweile mündet.

Die Versatzstücke verbiden sich nicht, eine Richtung ist nicht zu erkennen, einen Grund für das, was da aufgeführt ist, scheint es nicht zu geben. Wozu das Ganze? Geht es noch um etwas? Findet hier noch ein Diskurs  statt? Wo immer das hinzielen sollte, es läuft ins Leere, das von Marie-Lou Sellem gelangweilt berichtete sexuelle Abenteuer hat die gleiche Bedeutung wie das Gerede über gesellschaftliche Utopien. Aneinadergereihte Texte, die mehr Geräusch sind als dass sie Sinn vermitteln.

Die wenigen Momente, in denen so etwas wie Bewegung entsteht, gehören fast ausschließlich Sebastian Blomberg, der als einziger nicht in Primärfarben gekleidet ist und den Grübler, den Zweifler, den Suchenden geben kann. Wie er verschiednenste Arten des Selbstmords - oder des Selbstmordattentats? - pantomimisch und parodistisch durchspielt, wie er in einem Duett - oder Duell? - mit Max Hopp seinen Opferwillen kundtun soll und sein roboterhaftes Nachsprechen von einer zutiefst menschlichen Verzweiflung erstickt wird, oder wie er versucht, Lenin zu rezietieren und die Worte in einen physischen Kampf mit seinem Körper und seinem Sprechapparat eintreten: Das alles deutet an, wieviel mehr in diesem Abend gesteckt hätte, wenn man der bei Godard durchaus vorhandenen Substanz eine Richtung und Raum zum Atmen gegeben hätte. So aber bleibt nicht viel mehr als gähnende Leere und ein paar hübsche Bilder.

September 29, 2010

Mark Ravenhill: Freedom and Democracy I Hate You, Berliner Ensemble (Regie: Claus Peymann)

Die Welt kann wahnsinnig einfach sein, zumindest wenn man sie durch die Augen von Mark Ravenhill und Claus Peymann sieht. Die westliche Zivilisation reduziert sich auf Gartencenter und Kaffee, Freiheit und Demokratie sind leere Phrasen und nichts anderes als Keulen, mit denen man Kriege ebenso rechtfertigt wie das Abgleiten in den Totalitarismus, man schottet sich ab von allem was fremd und dadurch bedrohlich ist. Die Menschen sind geprägt von Angst, der ganz leicht umschlägt in Aggression, Hass und Gewalt. Wir zelebrieren uns als gute Menschen, doch die Fassade verbirgt nur unsere Angst und Intoleranz, unseren Hass auf alles, was anders ist als wir und unser Gefühl der Überlegenheit.

17 kurze Stücke für die 17 Tage des Edinburgh Fringe Festival hat Mark Ravenhill geschrieben, 11 von ihnen hat er mit Claus Peymann für das Berliner Ensemble zusammengestellt. 11 Szenen, die sich um den "Krieg gegen den Terror" drehen und wie er unsere Gesellschaft beeinflusst. Dominieren im ersten Teil noch die privaten Situationen, bricht sich nach der Pause die große Welt Bahn.

Das Ergebnis ist das gleiche: Ravenhill hat ein paar Holzschnitte von größtmöglicher Grobheit angefertigt, die Peymann mit dem ganz dicken Pinsel koloriert. Das zeigt sich schon in der Eingangsszene: Eine Gruppe Frauen fragen nach dem Grund für den Hass der Selbstmordattentäter. Sie seien doch alle gute Menschen, die nur Gutes täten. Eine Stimme aus dem Off verkündet ihren bevorstehenden Tod durch einen Selbstmordattentäter. Als dieser auftritt - mit den Worten: "Ich bin der Selbstmordattentäter"! - steht seiner Ruhe Hass und Angst in den Augen der Frauen gegenüber.

Und so geht das weiter: Der hysterische Familienvater will in eine "Gated Community" ziehen, Kinder malen Soldaten ohne Köpfe, einvon der Freundin verlassener US-Soldat wird aus Liebesentzug zum Folterer, ein krebskranker Schwuler würde, wenn er könnte, selber Selbstmordattentate verüben, drittrangige Künstler wollen den Irak durch Performance- und Mal-Workshops heilen und und und. Was auch immer hier für die westliche Zivilisation steht, wird der Lächerlichkeit preisgegeben - ohne Ausnahme. 

Die Geschichten sind von einer so erschreckend plumpen Einfachheit, Eindimensionalität und Oberflächlichkeit, die Dialoge so platt, plakativ und voller Klischees, dass man sich verwundert die Augen reibt, dass dies aus der Feder eines so erfahrenen Autors stammen kann.

Ja, es gibt Momente, in denen das kurzzeitig erträglich ist, undsie gehören allesamt den Schauspielern. Swetlana Schönfelds Mutter, deren Sohn gefallen ist, kann kurz berühren, wenn sie sich durch eine erschreckend schlecht geschriebene Szene kämpft. Auch in Martin Seiferts und Christian Grashofs Schwulenpaar scheint so etwas wie menschliche Wärme auf. Doch sonst: Tristess, Langeweile und ein für den Zuschauer beleidigend simples Weltbild ohne jegliche Nuancen oder gar ironische Brechung.

Ironie ergibt sich bestenfalls für den Zuschauer: Mehrfach wird das Publikum adressiert, meist steht es dabei für die "Anderen", die Opfer, die ohne Lobby, Gesicht und Stimme. Und doch gehören die, die hier im Zuschauerraum sitzen, mit großer Mehrheit genau zu der Gesellschaftsschicht, die hier so lächerlich gemacht wird. Es scheint niemanden wirklich zu stören und es scheint auch niemand zu merken. Die vermeintlichen Opfer bleiben ohne Stimme, man ergeht sich der Selbstkasteiung, ohne dass der Zuschauer merkt, dass es um ihn geht.

Ravenhill und Peymann: Wer sich gefragt hat, ob das zusammenpassen kann, wird die Frage nach diesem Abend mit einem klaren Ja beantworten. Ja, das passt. Leider.

September 26, 2010

Ein Sommernachtstraum nach William Shakespeare, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Andreas Kriegenburg)

Es gab einmal eine Zeit, da konnte man keinen Spielplan aufschlagen, ohne dass einem ein Sommernachtstraum entgegensprang. Heute ist das Angebot deutlich übersichtlicher, vielleicht, weil im meistgespielten Stück des wahrscheinlich meistgespielten Autors überhaupt, alles gesagt zu sein scheint. Und so ist es durchaus auch als Statement zu interpretiereen, dass Andreas Kriegenburg seine zweite Spielzeit als Hausregisseur des Deutschen Theaters ausgerechnet mit diesem Stück eröffnet. Einem Stück, dessen letzte Inszenierung an diesem Haus der unvergessene Jürgen Gosch besorgt hatte, der sie letzten Jahre dieses Theaters wie kaum ein anderer geprägt hatte - ein Erbe, an dem auch Kriegenburg vergangenes Jahr durchaus zu tragen hatte.

Wenn die Saisoneröffnung ein Indiz für die kommende Spielzeit ist, kann sich das Berliner Publikum auf eine spannende Saiso freuen. Kriegenburg präsentiert eine so schwebende, atmosphärisch dichte, bildstarke, kurzweilige und abwechslungsreiche Inszenierung, dass man sich als Zuschauer überrascht daran erinnert, dass das Theater ja ursprünglich einmal primär der Unterhaltung dienste.

Eine Schlüsselrolle gehört dabei den Handwerkern, die hier zu Fensterputzern transformiert und mit Ausnahme des Zettel (Marquardt Müller-Elmau) mit Frauen besetzt werden. Vor allem Margit Bendokat, Barbara Schnitzler und Almut Zilcher erweisen sich als wahres komödiantisches "Dream Team". Die Handwerker putzen, den Glaskubus, den Kriegenburg als Treibhaus menschlicher Lüste und Liebesversuche auf die Bühne gestellt hat, sie packen ihre Pausenbrote aus und diskutieren Traumtheorien von Benjamin bis Freud. Die unaufdringliche ironische Leichtigkeit, mit der hier der theoretische Überbau für das zentrale Thema des Stücks, das fragile Spannungsverhaältnis von Traum und Realität, geliefert wird, setzt den Standard für den ganzen Abend.

 Die Kernhandlung tritt dabei ins zweite Glied oder bleibt zumindest auf Augenhöhe mit der Handwerkergeschichte. Eine Relativierung, die ihr gut tut. Was bei anderen Regisseuren zu einem lauten Spektakel physischer wie psychischer Auseinandersetzung wird, ist bei Kriegenburg wunderlich tastend, zerbrechlich, suchend. Die "Liebenden" sind keine jugendlich enthusiastisch Liebenden, sondern mittelalte Verlorene. Kriegenburg schafft dafür grandiose Tableaus: Stehen sie anfangs noch einsam und ratlos inmitten einer Menge telefonierender Menschen, finden sie sich später in der gleichen Gesellschaft wieder. Nun irren sie ziel- und richtungslos umher und werden von den zielgerichtet im Kreis laufenden Handy-Jüngern über den Haufen gerannt.

So ziellos ihre Bewegungen, so inhaltslos ist ihr Lieben. Und so fehlt die große Agressivität und Leidenschaft, sie werden ersetzt durch eingeübte Mechanismen und Rituale, die selbst die sie einsetzenden "Helden" langweilen. Keine Wahrheit nirgends: Ob Demetrius Hermia liebt oder Helena, ob erstere von beiden Männern verstoßen wird oder letztere - es macht keinen Unterschied. Das eine ist so wenig wahrhaftig wie das andere. Oberon und Puck, gelangweilte Dandys und vielleicht die eigentlichen Regisseure des Abends, kreieren eine Versuchsanordnung, deren Ergebnisse sie mit ironischer Distanz beobachten. Wie der "Liebesreigen" ist auch das nur Zeitvertreib. Und so ist es auch egal, dass der Zauber am Ende nur von Lysander genommen wird, nicht von Demetrius. Ob verzaubert oder "real": So ist es ordentlicher, und einen wirklichen Unterschied macht es nicht.

Doch so zynisch und desillusioniert wie dies klingen mag, ist der Abend nicht. Dies liegt zum einen an der atmosphärisch starken und, ja, auch zauberhaften, magischen Atmosphäre, die Kriegenburg durch eine ausgeklügelte Mischung aus Bühnenbild, Licht- und Musikregie sowie Choreografie schaft. Zum anderen stellt Kriegenburg den Athenern die ebenfalls verzauberte Titania entgegen. Wo jene sich in abgestandenen Liebesschwüren ergehen, liebt diese mit einer Bedingungslosigkeit und Hingabe, in der vielleicht so etwas wie Wahrheit aufscheint. Auch hierfür gelingen Kriegenburg atemberaubende Bilder, die lange im Gedächtnis bleiben werden.

Und dann sind da natürlich noch die Handwerker, denen das letzte Wort gehört. Wenn sie am Ende endlich ihr Stück aufführen und dabei ein wahrhaftes Slapstick-Feuerwerk abbrennen, kommentieren und relativieren sie das Vorangegangene. Doch bei allem leeren Pathos und schlechten Reimen: Weniger Wahrheit als im Reigen wechselnder Liebesschwüre der Protagonisten offenbart sich hier auch nicht. Ganz im Gegenteil: In der Unbedingtheit, der naiven Begeisterung, mit der sie ihr dilletantisches Machwerk auf die Bühne bringen, scheint ein wenig von der wahren Leidenschaft auf, die man zuvor so vermisst hatte.

September 25, 2010

Nach Moskau! Nach Moskau! nach Tschechows "Drei Schwestern" und der Erzählung "Die Bauern", Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: Frank Castorf)

Es gibt Momente in diesen knapp vier Stunden, da will man aufspringen und die Wiedergeburt der Castorfschen Volksbühne proklamieren. Wenn Thschechows Drei Schwestern, spätestens seit Peter Stein der Inbegriff des psychologisierenden Einfühlungsdramas zum hochkomischen hysterischen Schreiduell wird, zur perfekten Slapstick-Choreografie, wenn die allesamt völlig überzogenen und doch vollkommen individuellen Figuren ebenso mühelos zu einem faszinierenden Ganzen werden, wenn gesellschaftspolitische Texte und Heiner-Müller-Zitate unaufdringlich ihren Weg auf die Bühne finden,wenn die völlig unaufdringliche Einfügung des Live-Videos zusätzliche Perspektiven eröffnet - wie es auch die Inszenierung selbst tut, die Tschechows populäres Drama mit seiner deutlich düsteren und auch unbekannteren Erzählung Die Bauern verknüpft.

Beides sind Geschichten Ausgegrenzter, Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, weit weg von ihrer Mitte, weit entfernt davon, Bedeutung zu haben. Auf der einen Seite, die vaterlose Generalsfamilie mit gesellschaftlichen Ambitionen, aber versauernd in der Provinz. Auf der anderen das untere Ende der Gesellschaft, gescheitert in Hauptstadt und gestrandet auf dem Lande. Sie teilen ihr Sehnsuchtsziel: Moskau! Moskau heißt, mittendrin zu sein, teilzuhaben, zu leben.

Es ist eine nachvollziehbare und kluge Gegenüberstellung, die Castorf versucht. Auf der rechten Seite der Bühne die Veranda des Landadels, auf der Linken die Bruchbude der Unterschicht. Hinter ihnen eine riesige Fototapete, einen Wald darstellend, das ländliche Gefängnis, aus dem beide Gruppen ausbrechen wollen. Doch selbst als die Tapete fällt, offenbart sie nicht die Freiheit, nicht die bessere Zukunft, sondern nur Leere. Es sind letztlich Scheinleben, die hier geführt werden, die im Verlauf des Abends politischer werdenden Zukunftsdebatten bleiben Theorie, Als den Protagonisten der Bauern ihr Samowar weggenommen wird, versucht die alte Babka, einen Protest anzuzetteln. Doch nein, eine Revolution will hier keiner.

So zwingend das klingt und sich zunächst auch anlässt, so wenig gelingt es Castorf und seinem Ensemble, bestehend aus nicht wenigen alten Mitstreitern - hervorzuheben sind hier vielleicht Jeannette Spassovas hysterisch-melancholisch-verzweifelt-herrische Mascha, Kathrin Angerers proletenhafte Natalja, Milan Peschels hilflos-verbockter Werschinin, Lars Rudolphs verletzlich-unsicherer Baron und Sir Henrys imposante Kulygin-Karikatur - dies über vier Stunden durchzuhalten.

So können die Drei Schwestern nie aus ihrem anfänglichen Slapstick ausbrechen. Die stilleren, verzweifelteren Töne werden weggewischt, für sie ist kein Platz im cholerischen Dauergebrüll. Und auch die Balance zwischen den beiden Textquellen stimmt nicht. Die Bauern sind letztlich nicht viel mehr als ein Kommentar, ein Anhängsel, kein ebenbürtiges Pendant. Und so landet am Ende doch wieder alles bei den Drei Schwestern, an diesem Abend, der die vielschichtige Virtuosität des Beginns nicht halten kann und über weite Pasagen doch zu eindimensional und plakativ bleibt. Ein guter Saisonauftakt, in dem jedoch noch deutlich mehr gesteckt hätte.

September 23, 2010

Film Review: The American (Director: Anton Corbijn)

An empty, snow covered landscape somewhere in Sweden. Aan and a woman having sex in a house in the middle of this nowhere. The camera moves in and out, one moment being the coupl's ally, the next watching them froum outside, through the trees, like a spy. Something is wrong, these opening images say, there is a subtle sense of threat, something will happen any minute. And it does. The man is attacked, he shoots the sniper and then kills the woman, the sole witness. The man stays alone, a lonesome hunter, on his own, hunted and hunting, a stoic survivor.

A tremendous opening that sets the tone for the next one and a half hours. George Clooney is a modern day Alain Delon, a coo, emotionless professional whose world unravels when love, that relentless and unforgiving attacker, hits him unexpected.

Anton Corbijn, the acclaimed photographer and vieo clip director coming off his remarkable debut Control, creates memorable images. The Italy to which Clooney's character escaples, is drenched in a pale, almost colourless light, a bare, almost desertlike countryside, narrow, shadowy and nearly always empty streets, a melancholy labyrinth, a metaphor for the emptiness of the protagonists's life.

And Clooney does a good job, too, losing his balance between the professional facade, the willing suppression of everything human and the re-emergence of something hidden, something locked away yet breaking through against the protagonist's will.

So where and how does this all go wrong? Whereas Corbijn was still in his comfort zone in his debut, depicting the world of pop music he knows so well, he's in unfamiliar territory here. nd indeed, he never manages to get the stoty off the ground. Clooney is left alone, he never gets a life or a story to go with his inner conflict. The people he comes up against are badly worked out cliches. The flawed but wise priest, the mysterious woman who hides nothing, the loving prostitute he falls in love with. One-dimensional character and painfully obvious dialogues belie the sophisticated imagery, the subtle acting, the fragile atmosphere.

There is no rhythm. Where Corbijn should have just dropped hints, he plays out every scene, showing what might have been left to the viewer's imagination. Corbijn is a great photographer, a wonderful creator of atmosphere, but as a storyteller he fails here. So what might have been a great homage to those lonely, existentialist heroes of the Nouvelle Vague, remains a rather empty shell, a beautiful facade that contains next to nothing.

September 12, 2010

Sophokles: Ödipus auf Kolonos, Berliner Ensemble (Regie: Peter Stein)

Wenn Peter Stein und Klaus-Maria Brandauer Theater machen und ihnen Claus Peymann seine Bühne zur Verfügung stellt, geht es immer um mehr, als ein Stück zu inszenieren. Es geht um nicht mehr und weniger als die Rettung des Theaters, um seine Befreiung aus den Klauen des Ungeheuers, das da heißt "Regietheater". Das Ergebnis ist meist ein unnachgiebiger Konservatismus, der das Theater zum rechten Weg zurückführen soll, zum Primat des Stücks, und zum Schauspieler als dem wichtigsten Interpreten des Stücks. Was Regisseure wie Peymann und Stein einst selbst begannen, ist längst, so glauben sie, in eine Sackgasse geraten, in der Regisseure nurmehr sich selbst inszenieren, in der die Stücke zerstört, die Schauspieler erniedrigt, das Theater in den Dreck gezogen werden.

Was Stein & Co. meinen, lässt sich exemplarisch an Ödipus auf Kolonos, inszeniert für die Salzburger Festspiele und jetzt im Repertoire des Berliner Ensembles, beobachten. Sein Interesse, so Stein im Programmheft-Interview, sei, "so nah wie möglich an das Original heranzukommen" und zu versuchen, "das Kunstwerk und das, was es darstellt, in seiner Ursprünglichkeit zu rekonstruieren." In anderen Worten: Es geht um das reine Theater, um das Stück selbst, nicht um seine Interpretation.

Was dabei herauskommt, ist nicht weniger als ein Offenbarungseid der Steinschen Methode. Es ist ein statisches Theater, das er auf die Bühne bringt, ein Theater der Aufstellungen, keines der Bewegung. Stein schafft Stanbilder, die jedoch nie die Eindrücklichkeit echter Tableaus erreichen. Sophokles' letztes Stück ist eines des Stillstands, eines des Endens, keine typische griechische Tragödie, da es ohne Blut und Verbrechen auskommt. All dies liegt in der Vergangenheit, das ende scheint sogar versöhnlich. Es ist der Endpunkt der griechischen Tragödie und doch nicht so blutleer, wie Stein es inszeniert.

Denn das Stück birgt Konflikte: Der letzte Machtkampf mit Kreon, dem alten Widersacher, die Verstoßung des Sohnes, vor allem der Kampf mit den eigenen Dämonen. All dies inszeniert Stein nicht, lässt es seine Schauspieler nicht lebendig machen, er lässt es rezitieren. Es ist ein Deklamationstheater, eines des behauptet erhabenen Tons, der jedoch keine Feierlichkeit schafft, sondern Befremden und Langeweile. Das leere Pathos, mit dem Christian Nickel seinen Theseus sprechen lässt, die feierliche Versteinerung, in die er sein Gesicht einfriert - sie sind symptomatisch für diese behauptete Ursprünglichkeit, die nichts weiter ist als eine Fassade, die nichts verbirgt.

Brandauer sitzt und deklamiert, er behauptet Leiden, doch er tut es mit einer Distanz, die den Zuschauer eben nicht in den Kern der Tragödie hineinlässt. Die "guten" Athener erscheinen in strahlendem Weiß, die "Bösen", Kreons Schergen, aber auch Polyneikis, in stilisiertem Uniformen, Kreon in teuflischem Rot. Hofft man zu Beginn, diese Plumpheit erführe irgendeine ironische Brechung, wird man bald eines besseren belehrt. Ironie ist die Sache des Steinschen und Brandauerschen Theaters nicht, das zeigte schon ihr ermüdend trockener Zerbrochener Krug.

Dabei gibt es sogar Lichtblicke: Ein fein choreografierter Chor, der dem Stück zwischenzeitlich etwas wie Dynamik verleiht, wenn man von seiner Konstümierung als Abziehbilder klischeehafter Schtetl-Bewohner abzieht. Und da ist Jürgen Holtz als Kreon, der gewillt scheint, seiner Figur so etwas wie Leben einzuhauchen, ihr sogar etwas wie Tragik verleiht, und der, fast gegen den Willen des Regisseurs, dem Stcück kurzfristig einen Konflikt verleiht, einen Konflikt, den Brandauer nicht aufnehmen kann oder will.

Und so bleibt ein erschreckend altbackenes und gähnend langweiliges Stück Theater, das vor allem eines nicht schafft: dem Zuschauer dieses durchaus sperrige Stück näher zu bringen. Im Gegenteil: Es vergrößert die Distanz noch. Der für das BE äußerst verhaltene Schlussapplaus spricht seine eigene Sprache.

September 07, 2010

William Shakespeare: The Tempest, The Old Vic, London (Director: Sam Mendes)

All the world's a stage,
And all the men and women merely players

These famous words from As You Like It seem programmatic for Sam Mendes' production of Shakespeare's The Tempest, which was one of two playa in this year's Bridge Project at the Old Vic, the other being - As You Like It. The choice reveals Mendes' fascination with those enigmatic, fragile and dark late (tragi)comedies - last year's debut season featured a dark and beutifilly poetic A Winter's Tale.

The Tempest offers many angles from which to approach it. Mendes opts for the theater metaphor, one particularly approprate to this play, in which everyone plays a role defined for them, some refuse, others don't. And isn't Prospero, anything other than a director whoc positions his actors and tells them what to do? More than any other Shakespeare play, The Tempest is dominated by a central character who singlehandedly controls the story.

And indeed, Stephen Dillane's Prospero, is more of a director, detached, sensible, rational, structured than for examples his last great predecessor on the London stage, Sir Patrick Stewart, who played the role three years ago at the Royal Shakespeare Company, a controlling schemer, an angel of vengeance, a great moralist, almost a tyrant.

Dillane moves about like a conductor, he sets the stage, a round "magic" circle, in which everything happens. Ariel is his assistant who arranges the lights, the settings, leads the characters - whocre on stage at all times - into the circle and taps them into action.

The result is a beautifully poetic flow which offers enough magic to delight the audience, enough tragedy to move and enough comedy to inspire laughter. In a way, The Tempest combines all that theatre has to offer - Sam Mendes opens this up befor our eyes. A truly fresh and entertaining look at a play we thought we knew all too well.

August 15, 2010

Film Review: Inception (Director: Christopher Nolan)

What is real and what is not? How do we perceive reality and what is reality anyway? Can we ever really know it and if so, how? If one wants to summarizes what drives Christopher Nolans film, these questions may provide a starting point. Nolan is a master of playing with levels of reality, of unsettling certainties, shattering beliefs, dissolving what we call facts. Deconstruting time and memory in Memento, disassociating fact from perception in The Prestige, even reinventing the Batman franchise as a study in roleplay, perception and interpreting reality, recreating it in the process: Nolan, like no other director of his generation, uses film, the ultimate medium of illusion and make-belief to question as well as challenge our relationship with reality.

Inception is just a logical next step in this adventure. It is the story of a man whose job it is to invade other people's dreams, even create them, in order to extract their secrets or, hardest of all, to plant ideas in their subconscious. A story that is ideal to test the limits of reality and to wonder where it starts and ends. The dream, that mighty illusionist, that pretender of reality and truth - is there a better subject for somebody like Nolan.

It is not the first time, sleep plays a role in Nolan's cosmos. In Insomnia ist was sleeplessness that alters the protagonist's experience of the world and blurs reality so much that in the end it is hardly recognisable as such. This time, we follow the protagonist and his crew into one dream level after the other in order to plant the idea that may free him from his own demons. The way Nolan stages this is much more straightforward and less surprising than in previous films. The viewer always knows where he is, or thinks he does. Even the conclusion is not too surprising but the certainty is treacherous as so often in Nolan's films. Because the film does not end when the credits are rolling, it continues in the viewer's head where suddenly what seemed straightforward and clear dissolves into vagueness. How many layers of dream and reality are there? Is there a level of 'reality' and if so which is it? And who is dreaming anyway?

So what seemed simpler and more logical than Memento and The Prestige turns out to provide even less certainty than those who at least offer a satisfying conclusion in the very end. Nolan is a master in creating false certainties and then removing the ground from under the viewer's feet.

The visual cosmos of the film plays its part. The world of the different reality levels looks like ours but with a twist. Gravity can disappear, a city unfold on itself, ordinary houses appear in strange surroundings. The combination of what is real, what is remembered, what exists and what is purely imagined, what does not and cannot exist, this peculiar logic of the dream - Nolan finds the perfect images for this, for this unstable, fantastic and frightening state dreams can be.

So if this review is a little less structured, more meandering and possible less logical than others, the reason may not lie in the incompetence of the reviewer alone but maybe also in the shaky ground and ever changing environment the film creates. And isn't this, this play with illusions and imagination, this creation of worlds entirely their own, what cinema was created for?

August 08, 2010

Film review: Micmacs (Director: Jean-Pierre Jeunet)

Jean-Pierre Jeunet is a masterful creator of universes, or rather parallel universes. The world of his film is recognizable but it i'nt just the same we live our everyday lives in. Jeunet takes our world and adds another dimension. Or takes one away as you like. Jeunet's world is a version of ours, ascending into fairy-tale (Amélie), descending into nightmare (Delicatessen, The City of Lost Children) or transcending into something more general and timeless (A Very Long Engagement).

Micmacs is no different. And at the same time it is: Never before has Jeunet's universe been so close to our modern world, never before his visual languge so close to realism. And not even in A Very Long Engagement has Jeunet commented so directly on the world we live in.

The story is simple: A man whose father was killed by a land mine gets shot in the head by a stray bullet and is joined by a group of rather eccentric people most of which have a special talent to take revenge on the bosses of the companies who produced the land mine and the bullet.

Unlike his earlier films, Micmacs takes a long time to find both its rhythma and its distinctive look. This has two basic reasons: Jeunet seems to feel he has a lot to explain before he gets into the middle of things. The second is new French comedy superstar Danny Boon. He has a hard time adapting to the special Jeunet style of acting and stumbles through miuch of the film's first half like a clown lost in the wrong circus.

But it would not be a Jeunet film if it dis not find its rhythm before long. And much of this is to do with what is probably the key Jeunet quality: imagination. The film is so rich with fantastic, surprising, funny, bizarre ideas that boredom has no chance. Another strength: Jeunet creates and depicts his characters with so much love that the viewer has no chance but to be moved.

And so the film gathers speed evolving into a wild, strange, funny and often grotesque hunt in which the roles of the hunters and the hunted change sometimes but which grips the viewer with its high energy, great ideas and fascinating characters. The world of Micmacs may look a lot like ours but it follows its own rules, its own values, its own logic.

In the end, this is vintage Jeunet: a gripping story, absurd, visually unique, warm-hearted and hilariously funny. Micmacs may not be on the same level as Jeunet's best films which fascinate from the first second to the last but it is still a fascinating and thoroughly unique piece of cinema - and highly entertaining, too.