December 19, 2010

Alina Bronsky: Scherbenpark, Deutsches Theater / Box (Junges DT), Berlin (Regie: Annette Kuß)

2008 veröffentlichte Alina Bronsky ihren Debütroman Scherbenpark über das Schicksal einer 17-jährigen Russlanddeutschen. Im Rahmen des Jungen DT hat Regisseurin Annette Kuß das für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2009 nominierte Werk jetzt gemeinsam mit russlanddeutschen Jugendlichen in der Box des Deutschen Theaters auf die Bühne gebracht.

Die trostlose Hochhaussiedlung in der die 17-jährige Sascha seit dem Mord an ihrer Mutter mit den jüngeren Geschwistern und einer Tante lebt, ist omnipräsent. Auf der hinteren Videoleinwand ebenso wie im kahlen, skelettartigen, an Betonkonstruktionen der Sechziger- und Siebzigerjahre erinnernden Bühnenbild. Auch hier gibt es mehrere Leinwände, auf denen Verbrecherfotos des Steifvaters und Mörders ebenso gezeigt werden wie Familienbilder und -videos. Dieses Spannungsfeld zwischen Nähe, Wärme, Familie und der Sehnsucht danach sowi Gewalt, Wut, Hass und Perspektivlosigkeit bestimmt das Stück. Es ist das Verdienst der Inszenierung, dass sie die Balance hält.

Spielszenen wechseln sich ab mit Monologen, vor allem der gleich dreifach besetzten Sascha, deren unterschiedliche Facetten zunächst um Vorherrschaft streiten, auf ganz physische Weise, bevor sie imVerlauf des Abends immer mehr zueinander finden, so wie auch Sascha zu sich findet. In Einschüben erzählen die Darsteller aus ihren eigenen Lebensgeschichten und runden so das doch recht düstere Bild ab, das der Roman malt, relativieren es auch. Denn es kommt alles vor, was das klischee hergibt: Jede Menge Gewalt, gelangweilte Jugendliche, die ihren Frust in Alkohol ertränken und ihre Männlichkeit in Gewaltorgien und Vergewaltigungen beweisen, Ausbruchsfantasien, häusliche Misshandlungen, Perspektivlosigkeit.

Und doch ertrinkt das stück nicht im Elend, denn behutsam scheinen auch Träume hervor, bringen vor allem die Jugendlichen ein gehöriges Maß Lebensfreude und energie in die düstere Landschaft. Es ist ja auch eine Coming-of-Age-geschichte, in der Sascha, die Gebildete, den anderen "Russen" sich überlegen fühlende, aber auch in Hass - vor allem auf den Stiefvater, die Projektionsfläche ihrer Wut auf de Weld - Versinkende sich ins Leben tastet, mal erfolgreich, mal scheiternd.

Vor allem die Zweischneidigkeit von Sex - Ausdrück der Sehnsucht nach Nähe ebenso wie Instrument der Gewalt - ist eindringlich inszeniert. Wenn Sascha mit dem Sohn eines Journalisten, bei dem sie Unterschlupf gefunden hat, schläft, wird das als Kissenschlacht inszeniert. Die Vergewaltigung durch einen anderen russlanddeutschen Jugendlichen besteht darin, dass sie weggetragen und reglos im Betongerüst abgelegt wird.

Wie in einer antiken Tragödie scheint die Tragödie unvermeidlich. Und so steuert Sascha auf die Eskalation zu, die sich - natürlich, möchte man meinen - als Gewaltorgie entpuppt und die zur kathartischen Reinigung führt. Nicht jedoch wie in der Antike nur beim Publikum, sondern bei der Hauptfigur selbst. Und so blüht am Ende ein sanftes Pflänzchen der Hoffnung, keine Gewissheit, das alles gut wird, aber doch die Möglichkeit, dass manches gut werden kann. Ein starkes Stück Jugendtheater, wenn nicht gar mehr.

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