December 20, 2010

Arthur Miller: Alle meine Söhne, Deutsches Theater / Kammerspiele, Berlin (Regie: Roger Vontobel)

Er ist der neue Stern am deutschen Regiehimmel: Roger Vontobel. Nachwuchsregisseur des Jahres war er schon, gerade wurde sein Dresdner Don Carlos mit dem Faust-Theaterpreis für die beste Inszenierung des Jahres ausgezeichnet. Nun durfte er sein Debüt am Deutschen Theater geben, immer noch so etwas wie ein kleiner Ritteschlag für Theaterregisseure. Ausgesucht hat er sich diesmal keinen Klassiker und auch keinen antiken Stoff.

Arthur Miller soll es sein, auch noch sein selten gespieltes Alle meine Söhne, Millers erster Broadway-Erfolg, aber schon seit langem im Schatten ungleich bekannterer und populärerer Werke wie des unvermeidlichen Tod eines Handlungsreisenden. Wie so oft ebei Miller eine Familiengeschichte mit vielen Leichen im Keller, gespickt mit einem Schuss Sozialdrama, erzählt das Stück die Geschichte der Familie Keller, deren Oberhaupt einst verantwortlich war für die Lieferung fehlerhafter Bauteile für die Air Force, als deren Resultat mehrere Flieger abstürzten und eine Reihe von Soldaten umkamen. Keller kam gut durch die Sache, sein damaliger Partner wurde verurteilt. Aber die Schatten der Vergangenheit kommen zurück und verrichten ihr zerstörerisches Werk. Alle meine Söhne ist mit seinem streckenweise recht platten Moralismus, seinen nicht gerade subtilen Wendungen und seiner recht einfach gestrickten Botschaft der Amoralität des Geldverdienens am Krieg nicht gerade Millers stärkstes Stück. Was anderswo bei Miller so schmerzhaft hervorbricht, gerade weil es nur angedeutet bleibt, hier malt er alles mit recht dickem Pinselstrich.

Vontobel reduziert das Stück bewusst zum  Familiendrama. Die Außenwelt ist präsent, hat Einfluss, aber die wirklichen Konflikte, die verschwiegene wie die sich andeutende Tragödie passieren in der Familie, gehen von ihr aus und führen in sie zurück. So reduziert Vontobel die Außenwelt auf eine Figur, die er auch hätte getrost weglassen können. Was ihn interessiert, ist die Dynamik einer familiären Eskalation und so reduziert ist das äußerst stringent und überzeugend.

Vontobel hat sich von Claudia Rohner die Kammerspiele in eine Arena umbauen lassen. Umringt von Publikum entfaltet sich das Drama auf einem Rechteck Rollrasen. Beim Einzug des Publikums spielen Kinder, ein Familienidyll, von dem wir bald erfahren, dass es längst verloren ist. Ein Sohn ist tot, sein Tod verleugnet von der Mutter, der Vater wieder im Geschäft, sein ehemaliger Partner im Gefängnis. Die spielenden Kinder, das Ausrollen des Rasens durch die Kinder gemeinsam mit ihren älteren Egos - Vontobel gelingt ein überaus stimmungsvoller, atmosphärischer Auftakt, der eine Leichtigkeit verströmt, wie sie der behaupteten Idylle entspricht.

Langsam, subtil brechen die Gespenseter der Vergangenheit hervor, kratzen zunächst an der glitzernden Oberfläche familiärer Harmonie und Wärme, der Wiedersehensfreude auch mit der Verlobten des verschollenen Sohnes, die jetzt der zweite Sohn heiraten will. Vontobel gelingen wunderbare Szenen, etwa wenn Chris und Annie zaghaft auf und ablaufen und nach ihrem hingedrucksten Liebesgeständnis immer ausgelassener herumtollen, unter Einbeziehung des Rasensprengers. Hier ist sie nochmal kurz, die unbefangene Freude der Kinder vonm Anfang.

Lange nicht mehr wurde ein so simples und gleichzeitig wirkungsvolles Bühnenbild in diesen Raum gezaubert. Das Rasenviereck steht am Anfang für Freiheit, Lebensfreude, Unbekümmertheit. Der Raum ist weit, die Weltin Sonne getaucht. Später wird es immer enger, ohne sich physisch zu verändern. Immer wieder eilen einzelne Figuren wie gehetzt um das Viereck herum, reden, schreien auf die Figuren im Rechteck ein, das zunehmend zum Gefängnis wird, in dem die Protagonisten eingeholt und eingesperrt werden von all dem Verdrängte, das sich da Bahn bricht. Wir Vontobel mit seinem Ensemble, einer behutsamen Lichtregie und einer nie aufdringlichen musikalischen Untermalung diesen Wandel gestaltet, ist zwingend und von atmosphärisch dichter Intensität.

Vontobel gibt dabei den Figuren und ihren Darstellern Raum, sie sind plastischer, vielschichtiger als von Miller angelegt. Ulrike Krumbiegels Mutter Kate wechselt zwischen hysterischem Schmerz und agressiver Härte, Meike Droste als Annie zwischen zweifelnder Ängstlichkeit und in sich ruhender Selbsterkenntnis, Daniel Hoevels Chris schwankt zunächst zwischen Hoffnung und Hilflosigkeit und gewinnt seine Stärke im Zusammenbruch aller Gewissheiten. Selbst Jörg Pose als Joe Keller ist weit mehr als der Schurke des Stücks. Sein Verbrechen geschieht aus einer Mischung aus Pragmatismus und Verteidigung der aufgebauten Fassade. Die Überzeugung, so handeln zu müssen, nimmt ihm der Zuschauer ihm ebenso ab wie die zaghaften und rfast hilflosen Versuche, die Wunden, die das eigene Handeln geschlagen hat, zumindest zu verdecken, wenn er sie schon nicht heilen kann.

Es ist ein redzierter, ganz ins Private gekehrter Miller, der die auch durch das Programmheft genährte Erwartung, eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Dbatte über die Zulässigkeit und die Grenzen von Gier, über die Moralität des Geldverdienens bewusst verweigert und dem Zuschauer überlässt. Vontobel erzählt eine Familiengeschichte, auf durchaus konservative Weise, aber gerade dadurch öffnet er den Assoziations- und Imaginationsraum so weit, wie es nur das Theater vermag.

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