April 24, 2011

Nurkan Erpulat und Dorle Trachternach: Clash, Deutsches Theater / Kammerspiele (Junges DT), Berlin (Regie: Nurkan Erpulat)

"Thilo Sarrazin meets Planet der Affen": We Verkürzungen mag, kann damit den Inhalt von Nurkan Erpulats Arbeit mit jugendlichen Darstellern im Rahmen des "Jungen DT" recht präzise zusammenfassen, ohne den Bedeutungskreis des Stücks auch nur im Ansatz auszumessen. Um Integration geht es, um den "Clash" von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch von Integrationswilligen und -unwilligen, Hartz-IV-Empfängern und Mittelschicht, ein Clash von Vorurteilen und Klischees, von Ängsten und Wut, von Sündenböcken.

Zu Beginn sind wir in einer Bibliothek, die schon bald zum Schauplatz ideologischer Auseinandersetzungen, gegenseitig entgengeschleuderter Klischees und Vorwürfe wird. Herrscht zu Beginn noch ein gewisser Pluralismus der Meinungen, stehen schnell MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen einander als mehr oder weniger homogenen Blöcke gegenüber. Vorurteile und der Wunsch, für die "eigenen Leute" einzustehen, haben über individuelle Meinungen und eigenständiges Denken triumphiert.

Die Situation ist verfahren, da katapultiert Erpulat uns und sein Ensemble in die Zukunft: Ein Raumschiff stürzt ab, auf einen vermeintlich unbekannten Planeten, der sich später als die Erde der Zukunft erweist. Hier haben mittlerweile die Affen die Macht gewonnen und unterdrücken die Menschen. Die immer wieder mehr als angedeutete Assoziation Affen=Türken, Menschen=Deutsche wirkt nur im ersten Augenblick provokant und störend, wird sie doch mit soviel Witz, Ironie und Intelligenz durchgespielt, dass der Zuschauer dieser vermeintlich kruden Metapher gern folgt.

Denn Erpulat hat noch eine besondere Wendung eingebaut: Die Affen haben ein heiliges Buch, deren Autor sie als Gott verehren, und deren Thesen sie gefolgt sind auf dem Weg zur Macht. Es handelt sich natürlich um Thilo Sarrazin, dessen Schreckensszenario einer drohenden Überfremdung die "Fremden" als Handlungsanweisung genutzt haben und dessen simple Integrationsideolgie sie jetzt gegen die neue Minderheit kehren. Diese Minderheit, so befürchten sie, könnte bald wieder zur Mehrheit werden, Sarrazins Horrorszenario zur nicht endenden Kreisbewegung, Überfremdungsangst als Perpetuum Mobile. Immer wieder erscheint eine Sarrazin-Puppe, als "Gott aus Maschine", wie einer der Raumfahrer wissend übersetzt, als oberste Instanz der "Affen".

Erpulat und sein ansteckend spielfreudiges, ja spielwüntiges Ensemble spielen sämtliche Klischees und Ängste durch und führen sie ad absurdum - nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern durch die Übertragung in neue Zusammenhänge oder einfach ihr Vorführen auf der Bühne. Da rappt ein Türke über seine Herkunft, das publikum spendet Szenenapplaus, bevor der Rapper die Erwartung, ein Türke auf der Bühne müsse rappen, als Klischee, als Vorurteil entlarvt. Da wird gelungene Integration als quasi-religiöser Prozess vorgeführt, an dessen Ende dem Integrierten eine Matte dichten Brusthaars sprießt. Da werden die Integrationswilligen schnell wieder aus der Gemeinschaft ausgestoßen, wenn sie aus Sicht der die Integration Fordernden ihre Rolle nicht fehlerfrei ausführen.

Clash belehrt nicht, Clash zeigt, es spielt Szenarien durch, kippt sie ins Absurde. Sarrazins (und nicht nur seines) Diktum der Umkehrung der Kräfteverhältnisse durch unterschiedlich hohe Geburtenraten: Nicht nur vertauscht Erpulat die Rollen, er lässt sein jugendliches Ensemble mit Begeisterung den nach Sarrazin logischen Ausweg durchexerzieren: Sich paaren, bis man (wieder) die Mehrheit ist.

Überhaupt darf man nicht vergessen: Dies ist eine Komödie! Und so lässt Erpulat auch gern einmal das Spiel laufen, wird die großartige Choreografie des Raumschiff-Absturzes zum rauschhaften Spiel, darf der Spieltrieb auch gern mal zum Selbstzweck werden. Das nimmt dem Stück den Ernst, nicht jedoch seine Schärfe.

Will man tatsächlich etwas kritisieren, sind es die musikalischen Einlagen. Am Bühnenrand - und auch sonst am Rande des Geschehens - steht ein Band-Podium, auf dem ein Teil des Ensembles seine musikalischen Talente ausleben und zeigen darf. Die sind durchaus beträchtlich, trotzdem tragen die musikalischen Einlagen wenig bis nichts zum Stück bei und stören den Rhythmus des Abends - zum einen, weil sie immer wieder den Spielfluss unterbrechen,zum anderen, weil sie einzelne Darsteller wiederholt für längere Zeit auf die Seite zwingt. Doch auch wenn es den Kritiker freut, etwas aussetzen zu können, bleibt es Jammern auf höchstem Niveau.

Nurkan Erpulat und seinem begeisterten und begeisterndem jungen Ensemble ist ein Abend gelungen, der vor Intelligenz, Witz und Spielfreude nur so strotzt, der nicht diskutiert, sondern zeigt, und immer wieder so weit um die Ecke denkt, dass plötzlich Wahrheiten aufscheinen, die auch dem Zuschauer sauer aufstoßen sollten. Indem die Integrationsdebatte bis ins Absurde weitergeführt wird, tritt ihr Kern ebenso zu Tage wie der Schleier, mit dem Klischees und Vorurteile, insbesondere jene, die gar nicht als solche erkannt werden, den Blick auf das Wesentliche verbergen. Und vielleicht ist es die größte Ironie, dass aqusgerechnet dem "Jungen DT" der gelungenste Abend dieser DT-Spielzeit gelingt.

April 22, 2011

Film review: Never Let Me Go (Director: Mark Romanek)

Something is different. It may look and feel like the world we know, but it isn't. Or rather, it is but not quite. A medical breakthrough occurred in 1952, we read on the opening screen, leading to a cure of most serious diseases. Waht it was we do not learn. Rather we are soon plunged into an English boarding school, or maybe an orphanage. Everything is normal, the children happy, the teachers kind.

And yet, again there is feeling that something is not quite right. It's subtle hints mostly, easy to miss, hardly noticeable and yet, because of this subtlety, particularly powerful: the daily routines like the jug of milk for every child accompanied by what looks like a pill box, the scanner they must activated when they leave the building, they have first names but only initials or surnames, the teachers are called guardians, the cryptic hints that they are special. These children, we soon gather, ar not "normal", they are here for a reason, a special purpose.

When the secret is revealed, it happens so matter-of-factly, so devoid of sentimentality that the viewer has no way of escaping. Director Mark Romanek succeeds to translate this earthshattering moment in Kazuo Ishiguro's novel into such a dry, stark, totally unsensational scene that manages in its pointedly unremarkable nature to anchor the film. After this everything is different, especially because nothing changes.

For this is the most disturbing aspect of both book and film: When the children learn what their sole purpose in life is, that they have been created as nothing more than human material to help others, they continue like before. Their conditioning has been effective: Never is there even a hint that breaking out, rebelling against their fate is even conceivable. Not for the children, not for the guardians. Horror stories about what happens when you climb the fence are accepted without questioning. Even later, when they try to change the life for which they were created they do so within the system. To fight is never enters anybody's mind.

Romanek, along with Ishiguro, poses questions which touch the very essens of what it means to be human: How far are we  willing to go for progress? What are we ready to sacrifice to help others? Surely, this goes way too far, but where is the limit? The film asks the questions, we must find the answers. But he also does something else: He shows, ever so subtly, how power mechanisms work, how societies function how people can be conditioned to willingly, even proudly, assist in their own destruction. And Romanek does this with the slightest of brushes, again, one must be careful not to miss the subtle hints.

In the middle of all of this, Romanek unfolds a growing-up story, a complicated love tale, so narmal, its stark contrast to the larger issues discussed is shockingly moving. He has assempled a fantastic cast: Carey Mulligan as the kind, rational, patient Cathy, Keira Knightly as the manipulative, dominating yet ultimately help- and clueless Ruth and particularly Andrew Garfield, whose Tommy, always a little lost, naive but hopeful, mirrors the audience's response most closely.

All of thois takes place in a pleasant enough world which however is strangely fogged. When the sun shines, it lacks brilliance and warmth, there is always a veil over the mages, infusing the scene with a sense of melancholy and a feeling that this is a shadow world, not even existing to the "normal people" out there. Yet there is color, there is life, against the odds. Each sequence of scenes is introduced with a different color, pale but vibrant. it is one of those many subtle, unassuming signals in this remarkable, humane as well as unforgiving film.

April 14, 2011

Frank Wedekind: Lulu, Berliner Ensemble (Regie Robert Wilson)

Lulu, Frank Wedekinds heute bekanntestes Stück, war schon immer für einen Skandal oder zumindest einen Aufreger gut. 1904 verhinderte die Polizei die zweite Aufführung, 1988 erregte sich die Presse über die nackte Susanne Lothar in Peter Zadeks legendärer Inszenierung, im vergangenen Jahr sorgteVolker Löschs Interpretation an der Berliner Schaubühne wenigstens noch für ein paar Schlagzeilen, stellte er doch einen Chor aus echten Prostituierten auf die Bühne. Nun hat sich Robert Wilson des Stoffs angenommen, dieser aus der Zeitgefallene Imprssionist, diese Theatermaler mit seinen weiß geschminkten Darstellern, den marionettenhaften Bewegungen, der grotesk überzeichneten Gestik und Mimik, den boulevardesken Sound-Effekten.

Wilsons Theater ist unverkennbar, im Guten wie im Schlechten. Stets visuell überwältigend, nicht selten aber auch steril und kalt. Wenn es funktioniert, gelingen ihm Neuinterpretationen atemberaubender Originalität, wenn nicht, bleibt leerer Manierismus. Die Frage ist immer: Inszeniert er ein Stück oder ist es "nur" ein Robert-Wilson-Abend. Oder um konkret zu werden: Wieviel Lulu steckt in Lulu? Stellt Wilson sein Regiewerk in den Dienst des Stücks oder doch nur in seinen eigenen?

Der Anfang ist viel versprechend. Früh wird klar: Wilson hat diesmal einen klaren interpretatorischen Ansatz. Er beginnt mit Lulus Tod, gestaltet mit ihm die Übergänge zwischen den Akten und endet damit. Diese Lulu ist schon tot, bevor der Reigen ihrer erotischen Abenteuer und Albträume beginnt.So legt sich eine leise Melancholie über das Geschehen, weit jenseits der gewohnten Mischung aus Sex und Gewalt. Es ist eine traurige lulu, ein sehnsuchtsvolles Traumspiel, das sich andeutet. Lulu, das männerverschliengende Kindweib, hier ist es eine einsame Sehnsuchtsfigur ohne Zukunft, ohne Liebe, ohne Erfüllung. Eine Projektion der sie begehrenden Männer, ein kaum greifbares Traumobjekt. Diese Lulu ist nie wirklich präsent, sie ist immer schon im Entschwinden.

Die Besetzung der Titelfigur ist ein Geniestreich. Angela Winkler, eigentlich um Jahrzehnte zu alt für diese Rolle, spielt Lulu mit einer entrückten Unschuld, die so gar nicht zum Klischeebild dieser Figur passt. Kein sexuelles Raubtier, eher eine innerlich Getriebene, die aus ihrer eigenen Umklammerung nie wirklich entrinnt. Selbst Projektionsfläche, sind auch die sie umgebenden Männer nicht viel mehr als Leinwand für ihre Sehnsüchte, ihr Verlangen, etwas festzuhalten, das schon längst verschwunden ist, das vielleicht nie da war. Es beginnt als Traumspiel und wird doch schnell zum Geistertanz. Träumt Lulu oder wird sie geträumt, ist sie der geist oder sind es die Männer oder gar beide? Wilsons Deutung lässt vieles offen und genau das ist ihre Stärke.

Natürlich gelingen ihm großartige Bilder, am unvergesslichsten jenes direkt nach der Pause, das völlig zu Recht auch Szenenapplaus erhält. Eine Zypressenall, an ihrem Ende die schwarz gekleidete Lulu. Ein Bild zwischen Magritte und Hopper, zwischen surrealem Traumbild und Ikonografie der Einsamkeit. Es ist auch die stärkste Szene. Die in stakkatohaftem Selbstgespräch gefangene Lulu, die Polyphonie der aus allen Richtungen kommenden Stimmen, die kalte unmenschliche Schönheit der Szenerie - visuell eindrucksvoller und vor allem eindringlicher lassen dich Verlorenheit und Verlassenheit nicht darstellen.

So zwingend und spannend der interpretatorische Ansatz, so stark das Ensemble - neben Winkler ist vor allem der von Jürgen Holtz verkörperte Vater zu nennen, die einzige Figur, die aus dems scherenschnittartigen Charakteruniversum ausbricht, in seinem unerbittlichen, mitleidlosen, auf den eigenen Vorteil bedachten Pragmatismus - so grandios einzelne Bilder sind: Über weitere Strecken krankt die Inszenierung an Wilsons Grundprinzip: Sein Regiekonzept erstickt den Atem des Stücks, viel, zu viel des Wilsonschen Instrumentarium erstarrt zur Manier, ist nur Selbstzweck.

Die verzerrten Bewegungen, das expressionistisch sein wollende Spiel, die üblichen Zutaten vom Farbwechsel über den leeren Bilderrahmen bis zur Neonröhre: Sie sind zu sehr Wilson und zu wenig Lulu.Nur selten stehen Wilsons Mittel im Dienst des Stücks, zu oft knarrt und quietscht das Räderwerk, zu zäh quält sich das Geschehen voran. Vor allem im ersten Teil herrscht über weite Strecken gähnende Langeweile, wirkt der regisseur wie ein Magier, dessen Tricks man längst durchschaut hat.

Leider trägt dazu auch eine der Stärken von Wilsons Theater bei: die Musik. Gelingt es ihm sonst oft, Bilder, Sprache und Musik zu einer faszinierenden Einheit, einer neuen Sprache zu verschmelzen, bleiben die Songs, die es sich diesaml von Lou Reed hat schreiben lassen oder sich ausgeliehen hat, wie Fremdkörper. Die Übergänge zwischen Sprechen und Singen sind bemüht, immer wieder sind die Lieder Unterbrechungen, bremsen die den Rhythmus des Abends, zerfällt das stück zur Nummernrevue. Eine atmosphärische Dichte schaffen sie nicht, eher tragen sie dazu bei, dasss der Abend immer wieder zerfasert, dass die Puzzleteile nicht so recht zusammenpassen wollen.

Am Ende bleibt ein Abend mit einer spannenden Idee, einigen fantastischen Szenen, einem großartigen Ensemble, viel Leerlauf und einer Menge schöner, aber leerer Hüllen.

Rezension auf Nachtkritik.de
Rezension auf blog.theater-nachtgedanken.de

April 10, 2011

Judith Herzberg: Über Leben, Deutsches Theater Berlin (Regie: Stephan Kimmig)

Es ist ein wahrer Kraftakt, den Regisseur Stephan Kimmig und sein Ensemble stemmen. Drei Stücke, eine Trilogie der niederländischen Dramatikerin und Dichterin judith Herzberg, an einem Abend, viereinhalb angespannte, zumindest schauspielerisch intensive, auf jeden Fall für Ensemble wie Zuschauer anstrengende.  Stunden.

Zwischen 1982 und 2002 entstanden, umspannen Leas Hochzeit, Heftgarn und Simon die Geschichte einer jüdischen Familie über 26 Jahre und drei Generationen hinweg. Im Mittelpunkt stehen Simon und Ada, Holocaust-Überlebende, ihre Tochter Lea und Riet, eine nichtjüdische Frau, bei der Lea im Krieg Zuflucht fand und die von dieser immer noch Mama genannt wird. Dazu kommen Nico, Leas dritter Mann, und seine Familie, sowie einige Figuren an der Familienperipherie.

Leas Hochzeit ist beispielhaft für Herzbergs dramatischen Stil: Es ist ein episodenhaftes Theater, in dem sich kurze Einzelszenen, dialogische Aufabauten größter Spannung, abwechseln, quasi einander den Staffelstab übergeben.Stephan Kimmig inszeniert das als durchchoreografierte Abfolge familiärer Mikroaufstellungen. Kaum merklich bewegen sich die Figuren aufeinander zu und voneinander weg, bis sie die Konstellation erreicht, ihr Gegenüber gefunden haben, für das kurze Aufeinandertreffen.

Das ist klar und virtuos strukturiert, wirft den auch aus Zeitgründen sehr schnell auf einander folgenden Kleinszenen aber ein enges formales Korsett über, welches das Stück über weite Strecken einschnürt und nicht atmen lässt. Es ist vor allem den grandiosen Schauspielen zu verdanken, dass einige Szenen hängen bleiben.

Dies gilt vor allem für den nie ausgesprochenen Konflikt zwischen Ada (Almut Zilcher) und Riet (Christine Schorn). Riet ist für Ada eine Erinnerung an das Geschehene. Riet symbolisiert das Nieausgesprochene, das wie eine unsichtbare Mauer zwischen allen Beteiligten steht. Riet dagegen hat den Verlust Leas nie überwunden. Adas Überleben hat ihre Familie zerstört. Das Verhältnis der beiden ist das Herzstück von Herzbergs Trilogie, symbolisiert es doch die Macht, welche die Shoah über die Überlebenden und ihre Familien hat, der Schatten, mit dem sie sich über diese Leben legt. So bedeutend diesesVerhältnis ist, so behutsam hat Herzberg es in ihren Stücken nur angedeutet. Zilcher und Schorn spielen das auf subtilste Weise aus, in Blicken, Blickverweigerungen, kleinsten Bewegungen, kaum merklichen Änderungen im Tonfall. So unfassbar der Schrecken ist, so ungreifbar ist er hier.

Leider sind das nur kurze Momente, ansonsten bleibt der erste Teil seltsam blutarm, verpuffen die Dialoge, insbesondere die Shoah-Thematik, in leeren Sentenzen. Teil zwei ist zunächst nicht besser, was auch am Bühnenbild von Katja Haß liegt. Spielt Leas Hochzeit weitgehend vor einer Sperrholzwand, öffnet sich diese jetzt zu einer rechtwinkligen Anordnung mehrerer solcher Wände, mit untrerschiedlich großen Öffnungen, die sich nun auch noch fast ununterbrochen drehen. Das verleiht der Szenerie unnötige Hektik, ohne visuell zur Wirkung des Stücks beizutragen. Die Böhne bleibt Kulisse und wird nie zum Spielraum.

Teil zwei ist eine Abfolge von Auf- und Abgängen. Figuren komme auf die Bühne, haben einen kurzen Dialog, treten ab während die nächsten kommen. Und doch funktioniert dieser zweite Teil besser. zum einen liegtgt das daran, dass sie die eher statische Afstellung des Beginns zu einem immer zwingender werdenden Rhythmus verdichtet. Ein zweiter Grund ist, dass Kimmig jetzt auch den Humor zulässt, der bei Herzberg nie ganz fehlt. Vor allem Michael Gerber als Klempner sorgt für einige Lacher. Die Auflockerung lenkt nicht vom ernsten Gehalt ab, im Gegenteil: Sie atmet dem Stück erst Leben ein. Und so steht die erschütterndste Szene in eben diesem zweiten Teil. Sie gehört dem überragenden Markwart Müller-Elmau als Nicos Vater, ein etwas zwielichtiger Charakter, dessen Ausbruch über das Nichtfassenkönnen der Shoah wie ein Gewitter über die Szene fegt, kein reinigendes, aber eines, das dafür sorgt, dass das Nichtgesagte, das Nichtsagbare zumindest nicht mehr zu ignorieren ist.

Im dritten teil kehr Kimmig wieder zur Gruppenaufstellung zurück, die Figuren steh an der Rampe, sprechen zunächst mehr ins Publikum als zueinander. Geister der Toten treten auf, auch die junge Generation, die sich gegen den eisernen Griff der Vergangenheit, die nicht die ihre ist, zu wehren versucht, ist dabei. Kimmig und seinem Ensemble gelingen einige dichte Momente, am Ende zerfasert alles in zu vielen Abschiedsszenen vom sterbenden Simon (Christian Grashof). Simon  ist das schwächste Stückder Trilogie, auch weil Ada, die in Heftgarn stirbt, fehlt. Zudem ist Herzberg anzumerken, dass sie Schwierigkeiten hat, die Unwilligkeit der Jungen, die Last der Älteren weiterzutragen, zu artikulieren, ohne platt zu wirken. Und so ist dieser Schlussteil ein unbefriedigendes Auslaufen. Grashof, den man lange nicht mehr so stark gesehen hat und der seinen Simon aansatzlos von Lebensbejahung in Verzweiflung fallen lssen kann, gibt sein bestes, diesen dritten teil zusammenzuhalten. Ganz gelingt ihm das nicht, auch wenn gerade die Jungen (insbesondere Moritz Grove und Paul Schröder) ihm hochkonzentriert dabei helfen.

Am Ende bleibt ein komplexer und anstrender Abend mit einigen Lichtblicken und einer Menge Schatten, an dem immerhin in einigen Momenten Herzbergs hochkomplexes Familiendrama im Schatten der Shoah aufblitzt, in seiner brutalen Verbindung aus Lebensbejahung und Ausweglosigkeit, aus Verdrängen und Hilflosigkeit, aus Herausschreienwollen und Nichtssagenkönnen. Ein Abend vor allem der Schauspieler: die große Christine Schorn als naiv-gutherzige duldsame Riet, Almut Zilchers immer am Rand des in den Wahnsinn Gleitens befindliche Ada, Müller-Elmaus und Grashofs sich gegen das Zerbrechen wehrende Väter, Meike drostes hysterisch-würdevolle Verlassene. Und vielleicht ist das Bemerkenswerteste und Wichtigste an diesem Abend, dass es ihn überhaupt gibt.

April 08, 2011

Nis-Momme Stockmann: Die Ängstlichen und die Brutalen, Deutsches Theater Berlin/Kammerspiele (Regie: David Bösch)

Es dauert lange, zu lange, bis dieser Abend in Fahrt kommt. Die Ängstlichen und die Brutalen, das 2010 in Frankfurt seine Uraufführung feierte, ist Nis-Momme-Stockmanns Debüt auf einer der beiden Hauptbühnen des Deutschen Theaters - mit seinem Erfolgsstück Kein Schiff wird kommen war sewrneue deutschsprachige Dramatiker-Star bisher nur in der DT-Box präsent. David Bösch inszeniert, Christoph Franken und Werner Wölbern spielen die beiden Rollen in diesem Zwei-Personen-Stück.

Zwei Brüder finden ihren Vater tot im Sessel vor. Ratlos, was zu tun ist, entspinnt sich ein Machtkampf der zwei, in dem alte Ängste aufbrechen, neue hinzukommen, alte Gewissheiten in sich zusammenstürzen, Machtverhältnisse sich verschieben. Das beginnt als Slapstick-artige Komödie, in der die Protagonisten daran scheitern, sich vom toten Vater würdevoll zu verabschieden. Im zweiten Teil entwickelt sich ein Familiendrama zwischen den ungleichen Brüdern, dem dominanten, agressiven Eirik und dem sensiblen, träumerischen, tiefsinngeren aber auch hilfloseren Berg. Schließlich endet das Stück als existentialistisches Drama, das die im Titel angedeuteten Themen durchspielt und die entscheidende Sinnfrage stellt.

Die Herausforderung besteht darin, das Stück zusammenzuhalten, ohne die unterschiedlichen Teile zu stark zu verwischen. David Bösch gelingt das nicht, vor allem, weil er dem Stück, seiner Dynamik, ja, seinem nicht zu unterschätzenden Sog nicht zu trauen scheint. Schon im ersten, komödiantischen Teil tritt er kräftig auf die Bremse, was in hölzern-schwerfälligen Dialogen resultiert, die den einen oder anderen Lacher hervorrufen, das Absurde der Situation jedoch völlig ignorieren. Die Handbremse bleibt das ganze Stück über angezogen. So bleibt das ebenso platt wie nur mäßig komisch, dass Stockmann hier die großen Themen späterer Szenen bereits angelegt, wird weitgehend ausgeblendet.

Darunter leidet das ganze Stück, bezieht es doch einen Großteil seiner Dynamik daraus, dass die einzelnen Teileeben nicht für sich stehen, sondern immer auch das Folgende enthalten. So ist der nun entsteende Konflikt der Brüder zwar nicht völlig überraschend, wirkt aber in seiner Intensität seltsam plötzlich und unmotiviert.

Das gilt noch deutlich stärker für das Kippen ins Existentialistische, in die große Auseinandersetzung über die Angst, den Tod, ihre Rollen im Leben und den Sinn, trotz der Unausweichlichkeit des Todes leben zu wollen oder zu müssen. Das ist schon bei Stockmann zum Teil plakativ angelegt, hart an der Grenze zum Phrasenhaften. Bösch überschreitet die Grenze, auch weil er eben zuvor das Fundament nicht gelegt hat, das diese Wendung plausibel machen könnte.

hinzu kommt, dass der vorher mühsam aufgebaute Gegensatz der beiden Charaktere plötzlich weitgehend negiert wird. Was der eine sagt, kann auch vom anderen kommen. Der finale Gewaltausbruch steht daher, anders als im Text, auf tönernen Füßen, ohne dramatische Berechtigung und vor allem ohne Aussagekraft.

So bleibt eine Inszenierung, die das Crescendo des Stücks fragmentarisiert, die existentiellen Fragen des Textes nicht stellt, sondern sie selbst anzweifelt, der Abend eines Regisseurs, der sich sichtbar mit dem Stoff nicht wohlfühlt. Ein großes Fragezeichen, unentschlossen und blutleer.

April 06, 2011

Film review: Winter's Bone (Director: Debra Granik)

"Way down in missouri" a lone female voice, not particularly young or polished, is singing. A boy is riding his skateboard, a girl is jumping on an old trampoline, an older girl is hanging up laundry. Short, passing glances, looking in from the outside, into a world that looks poor, harsh but friendly enough at first, a family still life with a fair amount of warmth. The first scenes are more like sketches, torn from a drawing book, not fully worked out, patch together to create the idea of what the finished picture might look like. The opening is totally unassuming and unspectatacular, yet it breathes an atmospheric density that hasn't been seen in American film for a long time. Granik and her excellent cinematographer Michael McDonough drench their world in pale, grey-bluish colors that announce the harshness, brutality and coldness of this world from the word go.

It is a twilight world Granik shows, inhabited by twilight people. People at the bottom end of socienty, below the awareness threshold for most of us, people at the edge of life. There is a zombie-like quality to these meth-cooking, stony-faced people, hovering somewhere between life and death, hardly even going through the motions anymore. And in the middle of all of this is a 17-year-old girl looking with a mad mother, a brother and sister who she takes care of, who must find her father in order to save the shabby home which is all they have.

Jennifer Lawrence plays Ree with a stubbornness, a refusal to not give up, to save her family, a wilful ignorance of the silent laws that want her to pursue her goal, that is hard to forget. An innocent, quite pretty face that oozes refusal to give in. It is a remarkable and memorable portrayal by a totally unknown actress who well deserved her Oscar nomination. Lawrence does not seem to do much, it is not a world in which people allow emotions to show themselves on their faces. The way her oddyssey is reflected so subtly in her face makes it all the more memorable.

Talking about faces: These are hardened faces, beaten by weather, life, violence, grief and hard drugs. They're roughly hewn faces, as if chiselled with a blunt instrument. Faces of stone, changing between varios degrees of suspicion and hostility. As Ree goes on her quest she becomes an outcast, violating the unwritten laws of the land, an intruder into hermetically closed microcosms. Again and again, she intrudes, again and again, faces turn, expressionless at best, more often suspicious, increasingly hostile. Critics have called this a "country film noir" aqnd indeed, Granik uses many genre elements from the noir to the thriller. However, she weaves them so carefully into the fabric of her quest in the twilight, that they become a natural part of the film.

As dark and hopeless as it seems, there is always a glimpse of hope. Mostly this lies in Ree, who just cannot accept that her quest may be futile who just goes on, not allowing the option of failure. And with this stubbornness she slowly begins to affect the people around her. First and foremost Teardrop, her father's older brother, a sorrowful wreck of a man, hostile and violent at first, later as violently supportive as her quest becomes his. But mostly it is the women who, cautiously, sometimes hidden from view, come closest to showing humaneness. They are hard women, as brutal and unforgiving as the men, but pragmatists too. They first are the leaders in violence before they enable ree to fulfill her quest. If there is action in this world, if decisions are made, they are made by women.

So when the film ends, all is not lost in this twilight world. The faces are the same, the world as dark and colorless, the lives as hard, even the opening scenes are repeated. And yet things go on, the family intact, something has changed, hardly visible, but somehow present. The way Granik creates atmosphere, the way she makes changes more felt than seen, has not been seen for quite a while. As overused as the term is, if there is one film in the last 12 months, that deserves to be called a masterpiece, it is Winter's Bone.