April 10, 2011

Judith Herzberg: Über Leben, Deutsches Theater Berlin (Regie: Stephan Kimmig)

Es ist ein wahrer Kraftakt, den Regisseur Stephan Kimmig und sein Ensemble stemmen. Drei Stücke, eine Trilogie der niederländischen Dramatikerin und Dichterin judith Herzberg, an einem Abend, viereinhalb angespannte, zumindest schauspielerisch intensive, auf jeden Fall für Ensemble wie Zuschauer anstrengende.  Stunden.

Zwischen 1982 und 2002 entstanden, umspannen Leas Hochzeit, Heftgarn und Simon die Geschichte einer jüdischen Familie über 26 Jahre und drei Generationen hinweg. Im Mittelpunkt stehen Simon und Ada, Holocaust-Überlebende, ihre Tochter Lea und Riet, eine nichtjüdische Frau, bei der Lea im Krieg Zuflucht fand und die von dieser immer noch Mama genannt wird. Dazu kommen Nico, Leas dritter Mann, und seine Familie, sowie einige Figuren an der Familienperipherie.

Leas Hochzeit ist beispielhaft für Herzbergs dramatischen Stil: Es ist ein episodenhaftes Theater, in dem sich kurze Einzelszenen, dialogische Aufabauten größter Spannung, abwechseln, quasi einander den Staffelstab übergeben.Stephan Kimmig inszeniert das als durchchoreografierte Abfolge familiärer Mikroaufstellungen. Kaum merklich bewegen sich die Figuren aufeinander zu und voneinander weg, bis sie die Konstellation erreicht, ihr Gegenüber gefunden haben, für das kurze Aufeinandertreffen.

Das ist klar und virtuos strukturiert, wirft den auch aus Zeitgründen sehr schnell auf einander folgenden Kleinszenen aber ein enges formales Korsett über, welches das Stück über weite Strecken einschnürt und nicht atmen lässt. Es ist vor allem den grandiosen Schauspielen zu verdanken, dass einige Szenen hängen bleiben.

Dies gilt vor allem für den nie ausgesprochenen Konflikt zwischen Ada (Almut Zilcher) und Riet (Christine Schorn). Riet ist für Ada eine Erinnerung an das Geschehene. Riet symbolisiert das Nieausgesprochene, das wie eine unsichtbare Mauer zwischen allen Beteiligten steht. Riet dagegen hat den Verlust Leas nie überwunden. Adas Überleben hat ihre Familie zerstört. Das Verhältnis der beiden ist das Herzstück von Herzbergs Trilogie, symbolisiert es doch die Macht, welche die Shoah über die Überlebenden und ihre Familien hat, der Schatten, mit dem sie sich über diese Leben legt. So bedeutend diesesVerhältnis ist, so behutsam hat Herzberg es in ihren Stücken nur angedeutet. Zilcher und Schorn spielen das auf subtilste Weise aus, in Blicken, Blickverweigerungen, kleinsten Bewegungen, kaum merklichen Änderungen im Tonfall. So unfassbar der Schrecken ist, so ungreifbar ist er hier.

Leider sind das nur kurze Momente, ansonsten bleibt der erste Teil seltsam blutarm, verpuffen die Dialoge, insbesondere die Shoah-Thematik, in leeren Sentenzen. Teil zwei ist zunächst nicht besser, was auch am Bühnenbild von Katja Haß liegt. Spielt Leas Hochzeit weitgehend vor einer Sperrholzwand, öffnet sich diese jetzt zu einer rechtwinkligen Anordnung mehrerer solcher Wände, mit untrerschiedlich großen Öffnungen, die sich nun auch noch fast ununterbrochen drehen. Das verleiht der Szenerie unnötige Hektik, ohne visuell zur Wirkung des Stücks beizutragen. Die Böhne bleibt Kulisse und wird nie zum Spielraum.

Teil zwei ist eine Abfolge von Auf- und Abgängen. Figuren komme auf die Bühne, haben einen kurzen Dialog, treten ab während die nächsten kommen. Und doch funktioniert dieser zweite Teil besser. zum einen liegtgt das daran, dass sie die eher statische Afstellung des Beginns zu einem immer zwingender werdenden Rhythmus verdichtet. Ein zweiter Grund ist, dass Kimmig jetzt auch den Humor zulässt, der bei Herzberg nie ganz fehlt. Vor allem Michael Gerber als Klempner sorgt für einige Lacher. Die Auflockerung lenkt nicht vom ernsten Gehalt ab, im Gegenteil: Sie atmet dem Stück erst Leben ein. Und so steht die erschütterndste Szene in eben diesem zweiten Teil. Sie gehört dem überragenden Markwart Müller-Elmau als Nicos Vater, ein etwas zwielichtiger Charakter, dessen Ausbruch über das Nichtfassenkönnen der Shoah wie ein Gewitter über die Szene fegt, kein reinigendes, aber eines, das dafür sorgt, dass das Nichtgesagte, das Nichtsagbare zumindest nicht mehr zu ignorieren ist.

Im dritten teil kehr Kimmig wieder zur Gruppenaufstellung zurück, die Figuren steh an der Rampe, sprechen zunächst mehr ins Publikum als zueinander. Geister der Toten treten auf, auch die junge Generation, die sich gegen den eisernen Griff der Vergangenheit, die nicht die ihre ist, zu wehren versucht, ist dabei. Kimmig und seinem Ensemble gelingen einige dichte Momente, am Ende zerfasert alles in zu vielen Abschiedsszenen vom sterbenden Simon (Christian Grashof). Simon  ist das schwächste Stückder Trilogie, auch weil Ada, die in Heftgarn stirbt, fehlt. Zudem ist Herzberg anzumerken, dass sie Schwierigkeiten hat, die Unwilligkeit der Jungen, die Last der Älteren weiterzutragen, zu artikulieren, ohne platt zu wirken. Und so ist dieser Schlussteil ein unbefriedigendes Auslaufen. Grashof, den man lange nicht mehr so stark gesehen hat und der seinen Simon aansatzlos von Lebensbejahung in Verzweiflung fallen lssen kann, gibt sein bestes, diesen dritten teil zusammenzuhalten. Ganz gelingt ihm das nicht, auch wenn gerade die Jungen (insbesondere Moritz Grove und Paul Schröder) ihm hochkonzentriert dabei helfen.

Am Ende bleibt ein komplexer und anstrender Abend mit einigen Lichtblicken und einer Menge Schatten, an dem immerhin in einigen Momenten Herzbergs hochkomplexes Familiendrama im Schatten der Shoah aufblitzt, in seiner brutalen Verbindung aus Lebensbejahung und Ausweglosigkeit, aus Verdrängen und Hilflosigkeit, aus Herausschreienwollen und Nichtssagenkönnen. Ein Abend vor allem der Schauspieler: die große Christine Schorn als naiv-gutherzige duldsame Riet, Almut Zilchers immer am Rand des in den Wahnsinn Gleitens befindliche Ada, Müller-Elmaus und Grashofs sich gegen das Zerbrechen wehrende Väter, Meike drostes hysterisch-würdevolle Verlassene. Und vielleicht ist das Bemerkenswerteste und Wichtigste an diesem Abend, dass es ihn überhaupt gibt.

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