April 24, 2011

Nurkan Erpulat und Dorle Trachternach: Clash, Deutsches Theater / Kammerspiele (Junges DT), Berlin (Regie: Nurkan Erpulat)

"Thilo Sarrazin meets Planet der Affen": We Verkürzungen mag, kann damit den Inhalt von Nurkan Erpulats Arbeit mit jugendlichen Darstellern im Rahmen des "Jungen DT" recht präzise zusammenfassen, ohne den Bedeutungskreis des Stücks auch nur im Ansatz auszumessen. Um Integration geht es, um den "Clash" von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch von Integrationswilligen und -unwilligen, Hartz-IV-Empfängern und Mittelschicht, ein Clash von Vorurteilen und Klischees, von Ängsten und Wut, von Sündenböcken.

Zu Beginn sind wir in einer Bibliothek, die schon bald zum Schauplatz ideologischer Auseinandersetzungen, gegenseitig entgengeschleuderter Klischees und Vorwürfe wird. Herrscht zu Beginn noch ein gewisser Pluralismus der Meinungen, stehen schnell MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen einander als mehr oder weniger homogenen Blöcke gegenüber. Vorurteile und der Wunsch, für die "eigenen Leute" einzustehen, haben über individuelle Meinungen und eigenständiges Denken triumphiert.

Die Situation ist verfahren, da katapultiert Erpulat uns und sein Ensemble in die Zukunft: Ein Raumschiff stürzt ab, auf einen vermeintlich unbekannten Planeten, der sich später als die Erde der Zukunft erweist. Hier haben mittlerweile die Affen die Macht gewonnen und unterdrücken die Menschen. Die immer wieder mehr als angedeutete Assoziation Affen=Türken, Menschen=Deutsche wirkt nur im ersten Augenblick provokant und störend, wird sie doch mit soviel Witz, Ironie und Intelligenz durchgespielt, dass der Zuschauer dieser vermeintlich kruden Metapher gern folgt.

Denn Erpulat hat noch eine besondere Wendung eingebaut: Die Affen haben ein heiliges Buch, deren Autor sie als Gott verehren, und deren Thesen sie gefolgt sind auf dem Weg zur Macht. Es handelt sich natürlich um Thilo Sarrazin, dessen Schreckensszenario einer drohenden Überfremdung die "Fremden" als Handlungsanweisung genutzt haben und dessen simple Integrationsideolgie sie jetzt gegen die neue Minderheit kehren. Diese Minderheit, so befürchten sie, könnte bald wieder zur Mehrheit werden, Sarrazins Horrorszenario zur nicht endenden Kreisbewegung, Überfremdungsangst als Perpetuum Mobile. Immer wieder erscheint eine Sarrazin-Puppe, als "Gott aus Maschine", wie einer der Raumfahrer wissend übersetzt, als oberste Instanz der "Affen".

Erpulat und sein ansteckend spielfreudiges, ja spielwüntiges Ensemble spielen sämtliche Klischees und Ängste durch und führen sie ad absurdum - nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern durch die Übertragung in neue Zusammenhänge oder einfach ihr Vorführen auf der Bühne. Da rappt ein Türke über seine Herkunft, das publikum spendet Szenenapplaus, bevor der Rapper die Erwartung, ein Türke auf der Bühne müsse rappen, als Klischee, als Vorurteil entlarvt. Da wird gelungene Integration als quasi-religiöser Prozess vorgeführt, an dessen Ende dem Integrierten eine Matte dichten Brusthaars sprießt. Da werden die Integrationswilligen schnell wieder aus der Gemeinschaft ausgestoßen, wenn sie aus Sicht der die Integration Fordernden ihre Rolle nicht fehlerfrei ausführen.

Clash belehrt nicht, Clash zeigt, es spielt Szenarien durch, kippt sie ins Absurde. Sarrazins (und nicht nur seines) Diktum der Umkehrung der Kräfteverhältnisse durch unterschiedlich hohe Geburtenraten: Nicht nur vertauscht Erpulat die Rollen, er lässt sein jugendliches Ensemble mit Begeisterung den nach Sarrazin logischen Ausweg durchexerzieren: Sich paaren, bis man (wieder) die Mehrheit ist.

Überhaupt darf man nicht vergessen: Dies ist eine Komödie! Und so lässt Erpulat auch gern einmal das Spiel laufen, wird die großartige Choreografie des Raumschiff-Absturzes zum rauschhaften Spiel, darf der Spieltrieb auch gern mal zum Selbstzweck werden. Das nimmt dem Stück den Ernst, nicht jedoch seine Schärfe.

Will man tatsächlich etwas kritisieren, sind es die musikalischen Einlagen. Am Bühnenrand - und auch sonst am Rande des Geschehens - steht ein Band-Podium, auf dem ein Teil des Ensembles seine musikalischen Talente ausleben und zeigen darf. Die sind durchaus beträchtlich, trotzdem tragen die musikalischen Einlagen wenig bis nichts zum Stück bei und stören den Rhythmus des Abends - zum einen, weil sie immer wieder den Spielfluss unterbrechen,zum anderen, weil sie einzelne Darsteller wiederholt für längere Zeit auf die Seite zwingt. Doch auch wenn es den Kritiker freut, etwas aussetzen zu können, bleibt es Jammern auf höchstem Niveau.

Nurkan Erpulat und seinem begeisterten und begeisterndem jungen Ensemble ist ein Abend gelungen, der vor Intelligenz, Witz und Spielfreude nur so strotzt, der nicht diskutiert, sondern zeigt, und immer wieder so weit um die Ecke denkt, dass plötzlich Wahrheiten aufscheinen, die auch dem Zuschauer sauer aufstoßen sollten. Indem die Integrationsdebatte bis ins Absurde weitergeführt wird, tritt ihr Kern ebenso zu Tage wie der Schleier, mit dem Klischees und Vorurteile, insbesondere jene, die gar nicht als solche erkannt werden, den Blick auf das Wesentliche verbergen. Und vielleicht ist es die größte Ironie, dass aqusgerechnet dem "Jungen DT" der gelungenste Abend dieser DT-Spielzeit gelingt.

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