April 14, 2011

Frank Wedekind: Lulu, Berliner Ensemble (Regie Robert Wilson)

Lulu, Frank Wedekinds heute bekanntestes Stück, war schon immer für einen Skandal oder zumindest einen Aufreger gut. 1904 verhinderte die Polizei die zweite Aufführung, 1988 erregte sich die Presse über die nackte Susanne Lothar in Peter Zadeks legendärer Inszenierung, im vergangenen Jahr sorgteVolker Löschs Interpretation an der Berliner Schaubühne wenigstens noch für ein paar Schlagzeilen, stellte er doch einen Chor aus echten Prostituierten auf die Bühne. Nun hat sich Robert Wilson des Stoffs angenommen, dieser aus der Zeitgefallene Imprssionist, diese Theatermaler mit seinen weiß geschminkten Darstellern, den marionettenhaften Bewegungen, der grotesk überzeichneten Gestik und Mimik, den boulevardesken Sound-Effekten.

Wilsons Theater ist unverkennbar, im Guten wie im Schlechten. Stets visuell überwältigend, nicht selten aber auch steril und kalt. Wenn es funktioniert, gelingen ihm Neuinterpretationen atemberaubender Originalität, wenn nicht, bleibt leerer Manierismus. Die Frage ist immer: Inszeniert er ein Stück oder ist es "nur" ein Robert-Wilson-Abend. Oder um konkret zu werden: Wieviel Lulu steckt in Lulu? Stellt Wilson sein Regiewerk in den Dienst des Stücks oder doch nur in seinen eigenen?

Der Anfang ist viel versprechend. Früh wird klar: Wilson hat diesmal einen klaren interpretatorischen Ansatz. Er beginnt mit Lulus Tod, gestaltet mit ihm die Übergänge zwischen den Akten und endet damit. Diese Lulu ist schon tot, bevor der Reigen ihrer erotischen Abenteuer und Albträume beginnt.So legt sich eine leise Melancholie über das Geschehen, weit jenseits der gewohnten Mischung aus Sex und Gewalt. Es ist eine traurige lulu, ein sehnsuchtsvolles Traumspiel, das sich andeutet. Lulu, das männerverschliengende Kindweib, hier ist es eine einsame Sehnsuchtsfigur ohne Zukunft, ohne Liebe, ohne Erfüllung. Eine Projektion der sie begehrenden Männer, ein kaum greifbares Traumobjekt. Diese Lulu ist nie wirklich präsent, sie ist immer schon im Entschwinden.

Die Besetzung der Titelfigur ist ein Geniestreich. Angela Winkler, eigentlich um Jahrzehnte zu alt für diese Rolle, spielt Lulu mit einer entrückten Unschuld, die so gar nicht zum Klischeebild dieser Figur passt. Kein sexuelles Raubtier, eher eine innerlich Getriebene, die aus ihrer eigenen Umklammerung nie wirklich entrinnt. Selbst Projektionsfläche, sind auch die sie umgebenden Männer nicht viel mehr als Leinwand für ihre Sehnsüchte, ihr Verlangen, etwas festzuhalten, das schon längst verschwunden ist, das vielleicht nie da war. Es beginnt als Traumspiel und wird doch schnell zum Geistertanz. Träumt Lulu oder wird sie geträumt, ist sie der geist oder sind es die Männer oder gar beide? Wilsons Deutung lässt vieles offen und genau das ist ihre Stärke.

Natürlich gelingen ihm großartige Bilder, am unvergesslichsten jenes direkt nach der Pause, das völlig zu Recht auch Szenenapplaus erhält. Eine Zypressenall, an ihrem Ende die schwarz gekleidete Lulu. Ein Bild zwischen Magritte und Hopper, zwischen surrealem Traumbild und Ikonografie der Einsamkeit. Es ist auch die stärkste Szene. Die in stakkatohaftem Selbstgespräch gefangene Lulu, die Polyphonie der aus allen Richtungen kommenden Stimmen, die kalte unmenschliche Schönheit der Szenerie - visuell eindrucksvoller und vor allem eindringlicher lassen dich Verlorenheit und Verlassenheit nicht darstellen.

So zwingend und spannend der interpretatorische Ansatz, so stark das Ensemble - neben Winkler ist vor allem der von Jürgen Holtz verkörperte Vater zu nennen, die einzige Figur, die aus dems scherenschnittartigen Charakteruniversum ausbricht, in seinem unerbittlichen, mitleidlosen, auf den eigenen Vorteil bedachten Pragmatismus - so grandios einzelne Bilder sind: Über weitere Strecken krankt die Inszenierung an Wilsons Grundprinzip: Sein Regiekonzept erstickt den Atem des Stücks, viel, zu viel des Wilsonschen Instrumentarium erstarrt zur Manier, ist nur Selbstzweck.

Die verzerrten Bewegungen, das expressionistisch sein wollende Spiel, die üblichen Zutaten vom Farbwechsel über den leeren Bilderrahmen bis zur Neonröhre: Sie sind zu sehr Wilson und zu wenig Lulu.Nur selten stehen Wilsons Mittel im Dienst des Stücks, zu oft knarrt und quietscht das Räderwerk, zu zäh quält sich das Geschehen voran. Vor allem im ersten Teil herrscht über weite Strecken gähnende Langeweile, wirkt der regisseur wie ein Magier, dessen Tricks man längst durchschaut hat.

Leider trägt dazu auch eine der Stärken von Wilsons Theater bei: die Musik. Gelingt es ihm sonst oft, Bilder, Sprache und Musik zu einer faszinierenden Einheit, einer neuen Sprache zu verschmelzen, bleiben die Songs, die es sich diesaml von Lou Reed hat schreiben lassen oder sich ausgeliehen hat, wie Fremdkörper. Die Übergänge zwischen Sprechen und Singen sind bemüht, immer wieder sind die Lieder Unterbrechungen, bremsen die den Rhythmus des Abends, zerfällt das stück zur Nummernrevue. Eine atmosphärische Dichte schaffen sie nicht, eher tragen sie dazu bei, dasss der Abend immer wieder zerfasert, dass die Puzzleteile nicht so recht zusammenpassen wollen.

Am Ende bleibt ein Abend mit einer spannenden Idee, einigen fantastischen Szenen, einem großartigen Ensemble, viel Leerlauf und einer Menge schöner, aber leerer Hüllen.

Rezension auf Nachtkritik.de
Rezension auf blog.theater-nachtgedanken.de

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