January 30, 2011

René Pollesch: Schmeiß dein Ego weg!, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: René Pollesch)

Es gibt Dinge, auf die kann man sich verlassen, weil sie mit schöner Regelmäßigkeit wiederkehren: Ostern, Weihnachten, der jährliche Pollesch an der Volksbühne. Besonders kurz ist er Abend diesmal, gerade mal eine Stunde dürfen sich Hochkaräter wie Martin Wuttke und Margit Carstensen austoben. Obwohl, von austoben kann keine Rede sein, kontrastiert doch dieser statische und bewegungsarme Abend auffällig mit seinem Vorgänger, indem Fabian Hinrichs furios über die Riesenbühne fegte und Kleidungsstücke wie philosophische Theorien ins Publikum schleuderte. Hier wird gar nicht geschleudert, hier wird gestanden, geseesen, auch mal kurz gelegen, vor allem aber, wie kann es anders sein bei Pollesch geredet. Aber auch dies mit einer Zurückhaltung, sozusagen mit angezogener Handbremse, wie sie dem Vorgängerabend fremd war.

Bert Neumann hat Pollesch eine kleine Salonlandschaft auf die Bühne gebaut, die der Zuschauer nur durch zwei Türen erahnen kann und hin und wieder - in Ausschnitten und aus unterschiedlichen Perspektiven - per Videoprojektion. Denn über die gesamte Bühnenbreite hat Neumann eine Wand gezogen, eine Kopie der Holzvertäfelung des Saales. Es ist, das erfahren wir bald, natürlich die berühmte vierte Wand des Theaters, die eines der beiden Hauptthemen des Stückes darstellt. Jenseits netter Anekdoten (ein Regisseur habe sie erfunden, weil er die Schauspieler nicht mehr sehen wollte), tendiert der Erkenntnisgewinn jedoch gegen null. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Theater, der Rolle des Zuschauers und eben jener der "vierten Wand" findet nicht statt.

Intensiver gestaltet sich die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Hauptthema des Stücks, der Auflösung des vermeintlichen Gegensatzes von Körper und Seele, außen und innen. Ein Innen gäbe es nicht, verkündet der in eine knallblaue Fantasieuniform gewandete Wuttke wiederholt, die Seele sei der Körper. "Da drinnen ist nichts", wird zum Mantra des Abends, gebetsmühlenartig und kaum variiert wiederholt, immer und immer wieder. Das ist nicht neu, die zu Grunde liegende Theorie spielte schon im Hinrichs-Abend eine Rolle. Zunächst ist das durchaus kurzweilig und unterhaltsam - wie die gesamten ersten zehn, fünfzehn Minuten. Das liegt vor allem an Wuttke, der "herumzappelt" (wofür er zuerst von Carstensen, später von Christine Groß gerügt wird), der indigniert aufschreit oder -grunzt, sich in sein Theoriegeflecht hereinsteigert, umso stärker, als Carstensens und Groß' Figuren anfangs von kepsis gekennzeichnet sind, der das vermeintliche Innen der im Körper verborgenen Seele darstellt, indem er sich, natürlich zappelnd, inmitten des weiß gekleideten Chores stellt.

Nur, das ist leider nicht abendfüllend, doch viel mehr hat Pollesch nicht zu bieten. Und so beginnt sih der abend zu schleppen, erhält eine Bleischwere, wenn er sich von Gespräch zu Gespräch wuchtet. Was zunächst eine Parodie Sokratischer Dialoge erhoffen lässt, wird bald für jene zum Déja Vu, die jemeils ein germanistisches Proseminar zu durchleiden hatten. Hier senkt sich die statische Versuchsanordnung als zentnerschweres Gewicht auf dn Abend, der sich nach den durchaus amüsanten ersten Minuten nicht von der Stelle bewegt, die Grundthesen immer wieder kaum verändert durchspielt. Wäre dies eine Sinfonie, verzichtete der Komponist komplett auf die Durchführung, sondern reihte Reprise an Reprise.

Doch während das Publikum zunehmend dahindämmert, bricht plötzllich so etwas wie Wahrhaftigkeit durch. Wenn nämlich die Erörteurung des Körper-Seele-Themas auf den großen Gleichmacher kommt, den Tod. Und plötzlich so stellen Wuttke und Carstensen fest, sind die eifachen Antworten keine mehr. Und selbst wenn sie noch gelten, erscheinen sie suf einmal seltsam banal. Wenn Carstensen am Ende mit stiller Eindringlichkeit von der Sprache der Körper spricht, wenn die Frage in den Raum tritt, wie der tote Körper in das sorgfältig errichtete Theoriegebäude passt - dann bricht die ganze Polleschsche Souveränität und ironische Spielfreude wie ein Kartenhaus zusammen, ganz unsentimental trotz kitschtriefender Musikuntermalung, und so erschütternd ehrlich wie sonst nichts an diesem sonst viel zu leichtgewichtigen Abend.

January 23, 2011

John Steinbeck: Früchte des Zorns, Maxim-Gorki-Theater, Berlin (Regie: Armin Petras)

Man nennt John Steinbecks Früchte des Zorns zuweilen einen Jahrhundertroman, zumindest einen Schlüsselroman des 20. Jahrhunderts. Nicht zu Unrecht, schließlich ist es kaum jemandem so wie Steinbeck gelungen, anhand einer spezifischen gesellschaftlichen Entwicklung die großen Menschheitsfragen zu erörtern, die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen, diue Möglichkeit und Grenzen menschlicher Beziehungen, die Bedeutung der Familie für Individuum wie Gesellschaft. Steinbecks Sujet ist die Vertreibung hunderttausender Bauern und Landarbeiter aus dem so genannten "Dust Bowl", insbesondere Oklahoma in den Dreißigerjahren und ihre Verwandlung in wandernde, nomadisierende, entwurzelte Erntehelfer. Die Bedeutung uns Wirkungsmacht des Buches geht jedoch weit darüber hinaus.

Es ist sicher keine Überraschung, dass es ausgerechnet Armin Petras ist, der gerade erst O'Neills Ein Mond für die Beladenen auf die Gorki-Studiobühne gebracht hat, der diesen in einem ähnlichen Umfeld spielenden Roman auf die Bühne bringt. Oder besser, der es versucht. Denn schon zu Beginn, als die Joad-Famile, auf die sich Petras hier konzentriert, noch zu Hause ist, wozu Olaf Altmann eine papierne Hausfassade an den Bühnenand geklebt hat (wenn die Familie loszieht, wird das Papier abgerissen), wird klar: Dieses mächtige Werk entzieht sich einer dramatischen Bearbeitung, zumindest in seiner Gesamtheit. Als einziger Ausweg erscheint, sich einen Teilaspekt herauszupicken - die Entscheidung, alles auf die Familie Joad zu konzentrieren, lässt vermuten, dass Petras sich dessen beusst war. Allein: Er versucht, alle wesentlichen Themen des Romans durchzuarbeiten. Das muss scheitern und das tut es auch.

Ist die Papierfassade erst einmal eingerisse, inszeniert Petras Steinbecks Gesellschaftspanorama als Roadmovie. Die Akteure sitzen oder stehen auf einer schrägen Rampe, rhythmisches Stampen symbolisiert die Fahrt, auf der Videowand erscheinen mal Highway-Bilder, mal Wildenten, hin und wieder wird ein Modell-Truck umhergetragen, später ein Motor, wenn sie eine panne haben, quillt Rauch aus dem Spielzeug-Laster - subtil ist das alles nicht. Wie bei einem echten Roadmovie erscheinen immer mal wieder neue Figuren, die schnell wieder verschwinden, die Personage der jeweiligen Haltepunkte. Meistens sind es Cops oder andere Gauner, die den Entwurzelten das Leben schwer machen. Egal wem sie begegnen - mit Ausnahme vielleicht des Camp-Wächters - jeder versucht sie zu schikanieren, auszubeuten oder übers Ohr zu hauen. Die Botschaft ist klar, doch der Holzhammer schmerzt.

Problematisch ist auch die Charakterisierung: Tom Joad (Max Simonischek) erscheint als spätpubertärer, grenzdebil grinsender und intellektuell entwas unterbelichteter Hooligan mit mangelnder Selbstbeherrschung. Wenn er am Ende seine revolutionären Thesen zum Besten gibt, ist das an Unglaubwürdigkeit und bizarrer Entgegengesetztheit zu seiner Charakterisierung kaum zu überbieten. Regine Zimmermann als Rose wechselt zwischen naiv-gutgläubig und hysterisch, ohne Zwischentöne zuzulassen, Julischka Eichel spielt Mutter Joad mit unerbittlicher Ernsthaftigkeit fast bis zu Erstarrung, die anderen Figutren bleiben durchgängig blass. Einzig die Großeltern (Ursula Werner und Wolfgang Hosfeld) vermögen kurz zu berühren.

Der ganze Aufbau ist statisch. Zunächst wird die Handlung gespielt, doch wirkliche Interaktion findet kaum statt, die Diaoge werden mehr zum Publikum gesprochen als zueinander. Später werden unvermittelt Erzählerpassagen eingestreut, willkürlich von der einen oder anderen Figur gesprochen. Das wirkt etwas rat- und hilflos - wie auch der Versuch, das familiäre Leiden zur Folie für die großen Themen zu machen, wie es Steinbeck in seinem Roman tut. Das bleibt trockene Deklamation, leere Behauptung, sinnentleerte Worthülsen. Ein Fremdkörper im Stück, aufgesetzt, aber ohne Verbindung zum rest des Geschehens.

Womit wir beim Grundproblem wären: Petras gelingt es nicht im Ansatz die xxx Seiten des Romans auf drei Stunden Theater zu reduzieren, auch weil er sich nicht entscheiden kann, etwas wichtiges Auszulassen. Und so wird der Abend zu einer losen Abfolge mehr oder weniger dramatischer Skizzen, in denen alles nur Andeutung bleibt und nichts eine Chance hat, sich zu entwickeln, greif- und erlebbar zu werden.

Warum alle paar Minuten wechselnde Darsteller Johnny-Cash-Songs singen, erschließt sich übrigens auch nicht.

January 22, 2011

Gerhart Hauptmann: Die Weber, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Michael Thalheimer)

Zugegeben: Die Messlatte lag hoch für diesen, Thalheimers zweiten Hauptmann-Abend am DT. Der Regisseur hatte sie selbst dort platziert, mit seinen fulminanten, schmerzvollen, bewegenden, ja erschütternden Ratten von 2007. Damals hatte Thalheimer Hauptmanns naturalistisches Drama ganz auf die Schicksale der einzelnen Figuren heruntergebrochen und gerade damit eine Verzweiflung geschaffen, die zutiefst menschlich war und gleichzeitig die Unausweichlichkeit, die Unerbittlichkei der antiken Tragödie aufwies. Olaf Altmann schuf dazu einen Bühnenbild, das aus massiven Blöcken bestand, dazwischen ein horizontaler Schlitz, der die bedrückende Enge der Figuren visualisierte und die Darsteller zwang gebückt zu gehen und zu stehen. Ein ebenso einfaches wie eindrucksvolles Bild.

Einfach ist es auch diesmal. Eine Treppe erfüllt die Bühne, unten sitzen die Weber, oben der Fabrikant, dazwischen sein Gehife, der nach oben buckelt und nach unten tritt (später wird er - freiwillig - bebückt die Treppe hinauf und hinab eilen). So eröffnet Thalheimer den abend, eindeutig, klar, wenn auch etwas plump. Denn wirklich neu oder gar originell ist das Bild nicht, eine eindrückliche Visualisierung des Loses der Prortagonisten wie in den Ratten bietet es auch nicht.

Und noch etwas ist anders: Hatte Thalheimer 2007 die großen gesellschaftskritischen Themen des Stücks auf die Figurenebene heruntergebrochen und dadurch erlebbar gemacht, stellt er diesmal Figurengruppen und Figurentypen auf die Bühne,jede eine Gesellschaftsschicht repräsentierend, aber keine Individuen. Jeder steht für etwas, aber keiner ist jemand. Mit einer Ausnahme: der alte Hilse (Jürgen Huth), der sich dem Aufstand verweigert und mit dieser eigenständigen Handlung, dieser souveränden Entscheidung eine Art Selbst gewinnt und für einen kurzen Moment die Intensität, auch Brutalität der Ratten  andeutet. Doch da ist das Stück schon fast vorbei und der Abend gelaufen. Selbst den Tod durch einen Querschläger gönnt Thalheimer ihm nicht, Hilse sackt stattdessen einfach zusammen. Opfer duldet dieser Abend nicht.

Mit Naturalismus hat das nichts zu tun, will es auch nicht. Glaubwürdigkeit ist genauso wenig gefragt wie Individualität. Die Figuren bleiben daher Typen. Die weber sind eher versoffen krawallig als verzweifelt, Fabrikant Dreißiger ein gewiefter Rhetoriker, Expedient Pfeifer bis in die Gestik der Prototyp des sich an die Macht hängenden Krichers. Der Erkenntnisgewinn ist gleich Null, Figurenzeichnung nicht vorhanden, jegliche Charakterisierung typisierend, grell und überzeichnet. Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch Slapstick-Elemente den Weg in diese Inszenierung finden. Eigentlich, so sagt uns der Abend, ist das alles ganz lächerlich.

Das gilt auch für die sprachliche Ebene. Schon Hauptmann hat den schlesischen Dialekt in eine künstlerischeAnnäherung übersetzt, sein Schlesisch ist eine Kunstsprache. Thalheimer treibt die Entfremdung weiter. Die Texte werden tonlos, monoton deklamiert oder roboterhaft gebrüllt, Hauptmanns Sprache bleibt stets ein Fremdkörper, den die Darsteller nur widerwillig benutzen und am liebsten ausspeien würden.

Und eine Geschichte: findet eigentlich nicht statt. Thalheimer zeigt, nein er erlaubt keine Entwicklung. Die Rebellion am Ende ist bei ihm das gleiche wie das unzufriedene Meckern vonm Beginn. Der Fabrikant mag verjagt sein, doch selbst wenn die Soldaten nicht kämen, ändern würde sich nichts, nicht mit diesen grölenden Trinkern. Das mag zynoisch sein oder entlarvend, fatalistisch oder resignativ, es ist vor allem eines: uninteressant und langweilig. Und das bei einem Thalheimer-Abend.

January 18, 2011

Oliver Bukowski: Der Heiler, Deutsches Theater / Kammerspiele, Berlin (Regie: Piet Drescher)

23 Jahre lang war Jörg Gudzuhn Ensemblemitglied am Deutschen Theater und eines der bekanntesten und beliebtesten Gesichter des Hauses noch dazu. Jetzt geht er mit 65 Jahren in den Ruhestand - eine Entscheidung, die sicherlich nicht dadurch behindert wurde, dass er zuletzt unter der Intendanz Ulrich Khuons kaum noch besetzt wurde. Gudzuhn ist eine der letzten der großen Theaterpersönlichkeiten, die dieses Haus über Jahrzehnte hinweg prägten. Ein Dinosaurier vielleicht, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, einem anderen Theater. Seine anderen DT-Rollen, etwa in Der einsame Weg, hat er bereits abgegeben - einen großen "Abgang" bekommt er trotzdem: In Oliver Bukowskis Monolog Der Heiler steht er jetzt - zum letzten Mal? - auf der Bühne der Kammerspiele.

Gudzuhn spielt einen angesehenen und erfolgreichen Psychotherapeuten, dem ein Ruf als eine Art "Wunderheiler" vorauseilt, der nackt neben der Leiche einer ehemaligen Patientin aufwachte und sich nun vor einer Ethikkommission seines Berufsstandes rechtfertigen muss, einer Kommission, die er einst, so betont er nicht ohne Selbstgerechtigkeit, einst selbst gegründet hatte. Wie soviele Monologe ist auch dieser ein verkapptes Mehrpersonendrama. Dieser Prof. Grebenhoeve spricht nicht nur mit sich selbst, er steht vor einer unsichtbaren Kommission, die er anblafft, belehrt, mit einem hohen Maß an Selbstbewusstsein, auch Überheblichkeit, seine Überlegenheit spüren lässt, bis hin zur Verachtung. Und da sind seine Patienten, vor allem die, an denen er scheiterte, die den direkten Weg aus der Praxis in den Suizid wählten, und die in noch immer nicht loslassen, die ihn zur Auseinandersetzung zwingen.

Und so steckt hinter der selbstgewissen, großspurigen, souveränen, eitlen Fassade ein Therapeut, der erfahren musste, dass er nie nur Therapeut sein kann, sondern immer auch Mensch ist, und dass hierin die Wurzel alles Scheiterns liegt. Er durchschaut die falschen Gewissheiten seines Berufsstands, er verzweifelt shier an der Diskrepanz zwischen dem, was der Therapeut versucht und dem, was die Welt verlangt, er kennt die Grenzen des Möglichen und er hat erfahren müssen, dass nicht immer der Therapeut dem Patienten überlegen ist. Und so erzählt er seine Geschichte als eine Geschichte des Scheitern, eine Geschichte, die vor allem auch eine seiner toten Patienten ist, insbesondere jene der Sophie Brettschneider, die den Tod aus freien Stücken, in selbstbestimmter Entscheidung wählt, eine selbstbewusste, kluge, erfolgreiche Frau, die dem berühmten Professor die eigene Unzulänglichkeit vor Augen führt. Dabei wird die Psychotherapie nicht verdammt oder in die Nähe der Scharlatanerie gerückt, sondern auf Normalmaß, soll heißen auf menschliches Maß zurückgeführt, aus dem Halbgott wird wieder ein Mensch, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.


Bukowski hat einen klugen, gut strukturierten Text geschrieben, der sich zwischen tiefer Ernsthaftigkeit, intelligentem Wortwitz und ehrlicher Selbstbetrachtung mühelos hin- und herbewegt. Und er hat in Gudzuhn einen Darsteller, der diese Wechsel mit einer Sicherheit, nein nicht darstellt, erlebbar macht, die nur als meisterlich bezeichnet werden kann. Schwelgt er zu Beginn noch ganz in seinem typischen spöttischen, musikalischen Tonfall, erweist er sich später als Meister vor allem der ganz leisen Töne. Von einer Sekunde auf die nächste wechselt er von brüllender Komik zu stiller, verzweifelter Ernsthaftigkeit, ohne Übergang, und trotzdem völlig natürlich. Und immer nimmt er das Publikum mit, wenn er die Höhen wie die Tiefen des Textes akzentuiert, ohne je zu übertreiben oder ins Karikaturstische abzudriften.


Bei ihm wird Bukowskis Text zur Auseinandersetzung mit der Fehlbarkeit, der eigenen, persönlichen, wie der eines ganzen Berufsstandes, bis hin zu jener unserer Gesellschaft. Und das alles ohne Plakativität, emotional, aber auch von rationaler Schärfe, fast ist dieser Grebenhoeve zu rational, sich aller seiner Handlungen, Fehler, Gedanken zu bewusst, seine Verzweiflug zu wenig akut, sondern immer schon reflektiert.


Gudzuhn gelingt eine große letzte Verbeugung, gerade weil er sich so zurücknimmt, so sehr als das Leise, Stille, Zerbrochene und gerade Zerbrechende zulässt. Das ist kein affirmativer Abschied und macht gerade dadurch die Lücke deutlich, die dieser große Mime hinterlassen wird. Nicht nur am DT.

January 16, 2011

Hugo von Hoffmannsthal; Jedermann, Centraltheater Leipzig (Regie: Jürgen Kruse)

Fangen wir mal mit dem Positiven an: Es ist (Co-)Regisseur Jürgen Kruse und Intendant Sebastian Hartmann anzurechnen, dass sie den Jedermann, dieses Festival- und Event-Theater-Vehikel par excellence dorthin zurückgebracht haben, wo er hingehört: auf die Theaterbühne. Und schon vor dem eigentlichen Beginn wird klar, worum es hier gehen soll: eine Entrümpelungen des unter Jahrzehnten Kitsch und Effekthascherei erstarrten Stückes. Manuel Harder als Jedermann übt Small Talk mit dem Publikum, stellt den einen oder anderen Darsteller samt Rolle vor und demontiert schon während das Publikum seine Plätze einnimmt den heiligen Ernst, den Hoffmansthal durchaus so gemeint hat, der aber schon längst zwischen Salzburger Festspielen und Berliner Dom zur Pose verkommen ist.

Die moralisierende und an mittelalterliche Mysterienspiele anknüpfende Parabel vom Reichen, der in seiner letzten Stunde sein Leben Revue passieren lässt, der sich zunächst wehrt und dann verzweifelt versucht, seine Seele zu retten - sie ist schon seit Langem wenig mehr als eine Ausrede, mit mehr oder weniger prominenten Darstellern alljährlich viel Geld zu machen. Eine hübsche Ironie bei einem Stück, dass gerade die Nichtigkeit materiellen Reichtums proklamiert. Ernst genommen wird der Jedermann schon lange nicht mehr.

Leider gilt das auch für Kruse und seine Leipziger Inszenierung. Wenn er durch grelle Überzeichnung, alberne Späße und ein betont gekünstelt- übertriebenes Sprechen die Jedermann-Aufführungsgeschichte als oberflächliche Show entlarvt, wirft er gleichzeitig das Stück mit über Bord. Das Problem, so sagt uns diese Aufführung, liegt nicht in der Interpretation - es liegt im Stück selbst. Wenn die Scheinwerfer, die zu Beginn das Publikum blenden, ausgeschaltet sind, sieht man auch nicht klarer, denn wo Kruse die überkommene Effekthascherei beseitigt, ersetzt er diese nur durch neue Effekte. Da glitzert es golden und in grellen Farben, der Teufel erinnert an eine Burlesk-Tänzerin, Gott ist durch und durch Showman, der Tod cool, distanziert und gelangweilt und der Glaube hat sich eine Weltkugel um den Bauch geschnallt und sieht aus wie eine abgehalfterte und leicht debile Version einer Tolkienschen Elbe. Ernst genommen wird hier gar nichts, Lächerlichkeit ist der Modus des Abends.

Und je länger dieser dauert, desto stärker drängt sich die Frage auf, was das eigentlich soll, vor allem, was (Co-)Regisseur und Ensemble wollen, das es bedeutet. Naheliegendste Antwort: Kruse hat eine Gelegenheit gesucht, seine umfangreiche Plattensammlung auszugraben und eine Inszenierung darum zu bauen. Da ist auch das Bühnenbild von Volker Hintermeier kein Zufall, der eine Wand stilisierter Lautstärkerboxen aufgebaut hat. Dazu kommen de üblichen Requisiten wie Truhen, Bücher oder Totenschädel, einige von denen mit Strass besetzt. "Ironie!" schreit das so laut und schrill, dass man sich so manches Mal die Ohren zuhalten will.

Eine Geschichte irgendeiner Art wird hier nicht erzählt, dafür sind die Figuren viel zu plakativ und platt angelegt, dafür werden sie zu sehr der Lächerlichkeit preisgegeben. Stattdessen verkommt das Ganze schnell zur Nummernrevue, bei der sich vermeintlich passende Rock- und Schlagernummern mit platten Scherzen abwechseln und auch Harders im Ansatz durch aus interessanter und an Don Juan erinnernder Jedermann bald nicht mehr interessiert. Statt die rezeptionsgeschichte zu entlarven, wirft Kruse gleich das ganze Stück zum Fraß vor, samt seiner zweifellos nicht wirklich modernen Moralität.

Leider setzt er aber nichts an seine Stelle, keinen Alternativentwurf, nur Leere. Vielleicht ist Moralität altmodisch, vielleicht lohnt es sich nicht, über den Zustand der Welt und die eigene Rolle darin nachzudenken - vielleicht ist das die Botschaft des Abends. Und dann stellt sich Harder kurz vor Ende hin und schwadroniert über aktuelle gesellschaftliche und politische Themen und reißt der Inszenierung den letzten möglicherweise rettenden Strohhalm aus der Hand. Und so stellt Kruse letztlich nichts anderes auf die Bühne als die oft geschmähten Jedermann-Handwerker in Salzburg oder Berlin: eine nette, streckenweise unterhaltsame und immer bunte Show, deren Aussagekraft den Nullpunkt zumindest erreicht. Da kann es den Zuschauer schon frösteln.

January 10, 2011

Heinrich von Kleist: Das Käthchen von Heilbronn, Staatsschauspiel Dresden (Regie: Julia Hölscher)

Es klingt womöglich ein wenig arrogant: Aber manchmal muss man wohl in das fahren, was der Berliner gemeinhin für Provinz hält, um zu erleben, was Theater sein kann - und viel öfter sein sollte: Lustvolles Spiel, kreativ und intelligent, aber nicht ideologisch festgefahren und verkopft, leicht, ohne leichtgewichtig zu sein. Schauspielertheater ohne Ego-Show. Texttreu und doch nicht altbacken oder altmodisch. Julia Hölschers Dresdner Kleist-Abend ist all das - ein hochintelligentes, spielfreudiges, kurzweiliges und den text ernst nehmendes, ihn gleichzeitig hinterfragendes Stück Theater. Ein Abend, wie er vielleicht nur jenseits des Konkurrenzkampfs im gleißenden Scheinwerferlicht der Berliner Theaterszene möglich ist. Und doch muss man hoffen, dass dies nicht stimmt.

Kleists Stück ist ein seltsamer Text, wie nicht wenige seiner Werke. Nicht Tragödie, nicht Komödie, vielleicht Märchen, vor allem aber ein Stück am Rande der Unverständlichkeit. Und vielleicht ist gerade dies der Schlüssel: Denn so wie sich der Leser und Zuschauer streckenweise fragt, was das denn soll, so geht es auch den Figuren. Je länger das Stück dauert, desto weniger begreifen sie, was mit ihnen geschieht. Julia Hölscher gelingt es, dieses zunehmende Nicht-Verstehen-Können transparent, greif- und erlebbar zu machen. Mehr noch: Sie kreiert daraus eine Studie über das Umgehen mit dem Nicht-zu-Verstehenden, mit dem, was der Vernunft entgeht, wobei es Kleists Verdienst ist, dieses - zumindest weitgehend - nicht im Übernatürlichen zu verorten, sondern im Menschlichen.

Hierin folgt im Hölscher. Und so schafft sie einen Spannungsbogen zwischen der kindlich-naiven und gleichzeitig Stärke und Mut erfordernden bedingungslosen Akzeptanz Käthchens, der zu Verwirrung und Selbsthinterfragung führenden Skepsis des Grafen vom Strahl und der zunehmend verzweifenten Weigerung, das Augenscheinliche zu akzeptieren, von Käthchens Vater.

Der Fokus liegt dabei auf dem Spiel und so ist auch die Bühne nicht überlafden. Das dominierendste Element sind herabhängende Ketten, die zur Peitsche oder zum Strangulationswerkzeug werden können und im Laufe des Stückes Sonnenschirmen weichen, wie auch die Bedrohung dem märchenhaft-optimistischem Schluss Raum gibt, dem Triumph Kätchens. Annika Schilling ist bedingungslos: in ihrer Naivität, ihrer Hingabe, ihrer Unfähigkeit, das Geschehende, egal wie bizarr es scheint, als etwas anderes zu sehen als das Natürlichste auf der Welt - eben weil es geschieht.

Und so endet diese Inszenierung des Wortkünstlers Kleist Wortlos und in einer traumwandlerischen Choreografie zu Leonard Cohens "Take This Waltz", die vom individuellen Tanz jeder Figur mit sich selbst zu einer unendlich schönen sehnsüchtigen Polonaise wird. Womöglich können Worte das Nichtverstliche nicht erklären, vielleicht bedarf es einer anderen Sprache. Und vielleicht findet sie Julia Hölscher.