January 10, 2011

Heinrich von Kleist: Das Käthchen von Heilbronn, Staatsschauspiel Dresden (Regie: Julia Hölscher)

Es klingt womöglich ein wenig arrogant: Aber manchmal muss man wohl in das fahren, was der Berliner gemeinhin für Provinz hält, um zu erleben, was Theater sein kann - und viel öfter sein sollte: Lustvolles Spiel, kreativ und intelligent, aber nicht ideologisch festgefahren und verkopft, leicht, ohne leichtgewichtig zu sein. Schauspielertheater ohne Ego-Show. Texttreu und doch nicht altbacken oder altmodisch. Julia Hölschers Dresdner Kleist-Abend ist all das - ein hochintelligentes, spielfreudiges, kurzweiliges und den text ernst nehmendes, ihn gleichzeitig hinterfragendes Stück Theater. Ein Abend, wie er vielleicht nur jenseits des Konkurrenzkampfs im gleißenden Scheinwerferlicht der Berliner Theaterszene möglich ist. Und doch muss man hoffen, dass dies nicht stimmt.

Kleists Stück ist ein seltsamer Text, wie nicht wenige seiner Werke. Nicht Tragödie, nicht Komödie, vielleicht Märchen, vor allem aber ein Stück am Rande der Unverständlichkeit. Und vielleicht ist gerade dies der Schlüssel: Denn so wie sich der Leser und Zuschauer streckenweise fragt, was das denn soll, so geht es auch den Figuren. Je länger das Stück dauert, desto weniger begreifen sie, was mit ihnen geschieht. Julia Hölscher gelingt es, dieses zunehmende Nicht-Verstehen-Können transparent, greif- und erlebbar zu machen. Mehr noch: Sie kreiert daraus eine Studie über das Umgehen mit dem Nicht-zu-Verstehenden, mit dem, was der Vernunft entgeht, wobei es Kleists Verdienst ist, dieses - zumindest weitgehend - nicht im Übernatürlichen zu verorten, sondern im Menschlichen.

Hierin folgt im Hölscher. Und so schafft sie einen Spannungsbogen zwischen der kindlich-naiven und gleichzeitig Stärke und Mut erfordernden bedingungslosen Akzeptanz Käthchens, der zu Verwirrung und Selbsthinterfragung führenden Skepsis des Grafen vom Strahl und der zunehmend verzweifenten Weigerung, das Augenscheinliche zu akzeptieren, von Käthchens Vater.

Der Fokus liegt dabei auf dem Spiel und so ist auch die Bühne nicht überlafden. Das dominierendste Element sind herabhängende Ketten, die zur Peitsche oder zum Strangulationswerkzeug werden können und im Laufe des Stückes Sonnenschirmen weichen, wie auch die Bedrohung dem märchenhaft-optimistischem Schluss Raum gibt, dem Triumph Kätchens. Annika Schilling ist bedingungslos: in ihrer Naivität, ihrer Hingabe, ihrer Unfähigkeit, das Geschehende, egal wie bizarr es scheint, als etwas anderes zu sehen als das Natürlichste auf der Welt - eben weil es geschieht.

Und so endet diese Inszenierung des Wortkünstlers Kleist Wortlos und in einer traumwandlerischen Choreografie zu Leonard Cohens "Take This Waltz", die vom individuellen Tanz jeder Figur mit sich selbst zu einer unendlich schönen sehnsüchtigen Polonaise wird. Womöglich können Worte das Nichtverstliche nicht erklären, vielleicht bedarf es einer anderen Sprache. Und vielleicht findet sie Julia Hölscher.

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