January 30, 2011

René Pollesch: Schmeiß dein Ego weg!, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: René Pollesch)

Es gibt Dinge, auf die kann man sich verlassen, weil sie mit schöner Regelmäßigkeit wiederkehren: Ostern, Weihnachten, der jährliche Pollesch an der Volksbühne. Besonders kurz ist er Abend diesmal, gerade mal eine Stunde dürfen sich Hochkaräter wie Martin Wuttke und Margit Carstensen austoben. Obwohl, von austoben kann keine Rede sein, kontrastiert doch dieser statische und bewegungsarme Abend auffällig mit seinem Vorgänger, indem Fabian Hinrichs furios über die Riesenbühne fegte und Kleidungsstücke wie philosophische Theorien ins Publikum schleuderte. Hier wird gar nicht geschleudert, hier wird gestanden, geseesen, auch mal kurz gelegen, vor allem aber, wie kann es anders sein bei Pollesch geredet. Aber auch dies mit einer Zurückhaltung, sozusagen mit angezogener Handbremse, wie sie dem Vorgängerabend fremd war.

Bert Neumann hat Pollesch eine kleine Salonlandschaft auf die Bühne gebaut, die der Zuschauer nur durch zwei Türen erahnen kann und hin und wieder - in Ausschnitten und aus unterschiedlichen Perspektiven - per Videoprojektion. Denn über die gesamte Bühnenbreite hat Neumann eine Wand gezogen, eine Kopie der Holzvertäfelung des Saales. Es ist, das erfahren wir bald, natürlich die berühmte vierte Wand des Theaters, die eines der beiden Hauptthemen des Stückes darstellt. Jenseits netter Anekdoten (ein Regisseur habe sie erfunden, weil er die Schauspieler nicht mehr sehen wollte), tendiert der Erkenntnisgewinn jedoch gegen null. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Theater, der Rolle des Zuschauers und eben jener der "vierten Wand" findet nicht statt.

Intensiver gestaltet sich die Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Hauptthema des Stücks, der Auflösung des vermeintlichen Gegensatzes von Körper und Seele, außen und innen. Ein Innen gäbe es nicht, verkündet der in eine knallblaue Fantasieuniform gewandete Wuttke wiederholt, die Seele sei der Körper. "Da drinnen ist nichts", wird zum Mantra des Abends, gebetsmühlenartig und kaum variiert wiederholt, immer und immer wieder. Das ist nicht neu, die zu Grunde liegende Theorie spielte schon im Hinrichs-Abend eine Rolle. Zunächst ist das durchaus kurzweilig und unterhaltsam - wie die gesamten ersten zehn, fünfzehn Minuten. Das liegt vor allem an Wuttke, der "herumzappelt" (wofür er zuerst von Carstensen, später von Christine Groß gerügt wird), der indigniert aufschreit oder -grunzt, sich in sein Theoriegeflecht hereinsteigert, umso stärker, als Carstensens und Groß' Figuren anfangs von kepsis gekennzeichnet sind, der das vermeintliche Innen der im Körper verborgenen Seele darstellt, indem er sich, natürlich zappelnd, inmitten des weiß gekleideten Chores stellt.

Nur, das ist leider nicht abendfüllend, doch viel mehr hat Pollesch nicht zu bieten. Und so beginnt sih der abend zu schleppen, erhält eine Bleischwere, wenn er sich von Gespräch zu Gespräch wuchtet. Was zunächst eine Parodie Sokratischer Dialoge erhoffen lässt, wird bald für jene zum Déja Vu, die jemeils ein germanistisches Proseminar zu durchleiden hatten. Hier senkt sich die statische Versuchsanordnung als zentnerschweres Gewicht auf dn Abend, der sich nach den durchaus amüsanten ersten Minuten nicht von der Stelle bewegt, die Grundthesen immer wieder kaum verändert durchspielt. Wäre dies eine Sinfonie, verzichtete der Komponist komplett auf die Durchführung, sondern reihte Reprise an Reprise.

Doch während das Publikum zunehmend dahindämmert, bricht plötzllich so etwas wie Wahrhaftigkeit durch. Wenn nämlich die Erörteurung des Körper-Seele-Themas auf den großen Gleichmacher kommt, den Tod. Und plötzlich so stellen Wuttke und Carstensen fest, sind die eifachen Antworten keine mehr. Und selbst wenn sie noch gelten, erscheinen sie suf einmal seltsam banal. Wenn Carstensen am Ende mit stiller Eindringlichkeit von der Sprache der Körper spricht, wenn die Frage in den Raum tritt, wie der tote Körper in das sorgfältig errichtete Theoriegebäude passt - dann bricht die ganze Polleschsche Souveränität und ironische Spielfreude wie ein Kartenhaus zusammen, ganz unsentimental trotz kitschtriefender Musikuntermalung, und so erschütternd ehrlich wie sonst nichts an diesem sonst viel zu leichtgewichtigen Abend.

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