May 04, 2011

Nick Whitby: Sein oder Nichtsein, Maxim-Gorki-Theater Berlin (Regie: Milan Peschel)

Darf über Hitler gelacht werden? Diese Frage muss sich jeder stellen, der sich daran wagt, Ernst Lubitschs bis heute nicht unumstrittenen Film Sein oder Nichtsein auf die Bühne zu bringen. Nicht wenige sind daran gescheitert, zuletzt Rafael Sanchez am Deutschen Theater. Milan Peschel probiert es jetzt am Maxim-Gorki-Theater - und hat einen Trumpf im Ärmel: Peschels Inszenierung ist eine Doppelproduktion. Erarbeitet mit polnischen Darstellern am Stary Teatr in Krakau, wo sie vor einigen Wochen Premiere feierte, hat Peschel die fertige Inszenierung nach Berlin gebracht und mit deutschen Schauspielern besetzt. Trotz der kurzen und ungewöhnlichen Probenzeit ist die Berliner Inszenierung viel mehr als eine bloße Kopie geworden. Die Eingangsfrage beantwortet sie auch ganz eindeuting: Ja, darf man. Und vielleicht muss man das sogar.

Schon der Beginn zeigt exemplarisch, dass hier gelacht werden soll - und es ist kein Lachen, das im Halse stecken bleibt. Da steht ein ältlicher Hitler auf der Bühne, sitzt ein alberner SS-Mann in seinem Sessel, bekommt ein Hitlerjunge für eine Denunziation einen Spielzeugpanzer (der mit jeder Wiederholung der Szene größer wird!) und am Ende fällt krachend das Hitlerportrait von der Wand. Regisseur und Darsteller streiten sich über die Ernsthaftigkeit des Stückes und es fällt der kluge Satz: "Einen Lacher darf man nie verachten." Das ist High-Speed-Slapstick, zu dem dem auch das Bühnenbild, das vor allem aus verschieb- und tragbaren dünnen Wänden aus Holz und Papier besteht, die zudem sehr zum Umfallen neigen, seinen Teil beitragen darf.

Und doch ist nicht alles Gelächter. Die Eingangsszene, eine Probe des Stücks "Gestapo", das ein polnisches Ensemble kurz vor Kriegsbeginn einstudiert, verfliegt wie ein letzter Traum, ein Gest aus einer Zeit, die bereits vergangen ist, wenn sie noch als Gegenwart erscheint. Ist es denn schon September, fragt Horst Westphal, der August können doch noch nicht vorbei sein. Doch, sagt uns Peschel, ist er, und vielleicht gab es ihn auch nie. Dazu passt, dass er die berühmte Anfangsszene des Films abwandelt, in der der Hitler-Darsteller durch Warschau geht und erst durch ein kleines Mädchen als Doppelgänger enttarnt wird. Westphal spielt das nicht, er erzählt es kurz, in einem Nebensatz, wie eine verblassende Erinnerung, deren Wahrheitsgehalt sich schon gar nicht mehr feststellen lässt.

Dieser durchaus komplexe Beginn bestimmt den Ton des Abends. So sehr in der Folge die sprichwörtlichen Fetzen fliegen, so sehr bleibt der Hintergrund, bleibt die Leinwand, auf die Peschel seine grellen Farben aufträgt, präsent. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, immer nahe am Abgrund. Und doch ist es vor allem ein Tanz, ein Abend großer Komödienkunst, zwischen Farce und Satire, nicht den Boulevard scheuend oder vor gröberen Scherzen zurückschreckend.

Es ist vor allem ein Abend der Überzeichnung und das großartige Ensemble gibt dem komödiantischen Affen ordentlich Zucker. Allen voran Roland Kukulies als Tura, der große Charaktermime im Spannungsfeld zwischen Speillust, widerwilligem Heroismus, grenzenloser Eitelkeit und noch riesigerer Eifersucht. Oder Sabine Waibel als seine Frau, durchtriebener, manipulativ, mindestens ebenso eitel, aber auch nicht weniger heldenhaft. Oder aber Holger Stockhaus als Gestapo-Chef Erhardt, ein nicht weniger begnadeter Darsteller, der sich mit Tura ein großartiges Duell liefert.

Schauspieler sind sie alle, der SS-Mann, der sich mit seinem Adjutanten wunderbare Streitgespräche über Film und Theater liefert, wie die Theaterleute, Darsteller, die ihr Publikum in den Bann ziehen, auf ihre Seite bringen, für ihre Zwecke einspannen wollen. Das ist schon bei Lubitsch angedacht, Peschel stellt es in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Machthaber, insbesondere die autokratischer Regimes, bedienen sich seit jeher theatralischer Techniken, sie spielen Rollen, arbeiten mit Gestik, Artikulation, Choreografien. Das Nazi-Regime war vielleicht das theatralischte überhaupt - von den minutiös inszenierten Parteitagen bis zum großen Darsteller Hitler, der seine Rolle so perfekt spielt, dass er am Ende hinter ihr verschwindet.

Das hat schon Chaplin erkannt, den Peschel auch ausgiebig zitiert, wie er sich auch bei Tarantino und dessen fantasievoller gegengeschichte in Inglorious Basterds bedient. Dieses Zitieren, dieses Nutzen bekannter und wiedererkennbarer Versatzstücke, auch dies ist zutiefst theatralisch, auch dies ein in totalitären Regimes oft und gern eingesetztes Instrument.

Wenn am Ende die Schauspieler über SS und Gestapo triumphieren, schlagen sie diese mit deren Mitteln, die eigentlich die eigenen sind. Diese Unschärfe, diese vermeintliche Austauschbarkeit der Figurengruppen gibt dem Stück viel von seiner komik - und macht es gleichzeitig so verstörend. Denn die harmlose Eitelkeit Turas wird zur tödlichen Gefahr, findet sie sich gepaart mit der Macht eines Erhardt. Was eben noch Mittel zur Unterhaltung, vielleicht auch Erbauung war, dient im nächsten Moment der Unterdrückung, dem Terror. Leben und Tod liegen hier nah beieinander, kaum unterscheidbar, beide die gleiche Maske tragend. Es ist kein Zufall, wenn Peschel die Hamlet-Zitate deutlich ausweitet gegenüber der Filmvorlage. Es sind Szenen des Innehaltens, des fragenden Herantastens an diese abgründige Ambivalenz.

Und so endet der Abend nicht affirmativ, nicht triumphal wie der Film, kann er nicht so enden, denn er trägt das bleierne Gewicht, dessen, was wir wissen und was Lubitsch nicht wissen konnte. Die Unschuld, das Spielerische, das der Film noch haben durfte, der große Lehrmeister Zeit hat es unmöglich gemacht. Es ist eben nicht mehr August, es ist September, es ist vielleicht immer schon Dezember gewesen. Bei Peschel endet Sein oder Nichtsein im Ungewissen, im "Was nun?", in der Ratlosigkeit derer, die wissen, dass der Triumph über das Unmenschliche stets fragil ist, immer schon vergangen, wenn er gerade erst errungen scheint. Ein stilles, kluges Ende eines großen Theaterabends.

Rezension auf Nachtkritik.de
Rezension auf blog.theater-nachtgedanken.de

1 comment:

  1. Ein schöner Text. Wirklich sehr gut beobachtet und analysiert. Auch die Nachdenklichkeit über die geschichtlichen Zusammenhänge ist trotz der allgemeinen Heiterkeit, die die Inszenierung verbreitet, sehr passend. Ich habe Ihre Kritik bei mir verlinkt.
    Gruß Stefan

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