May 10, 2011

Theatertreffen 2011 - Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz, Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin (Regie: Herbert Fritsch)

Sie will nicht enden, die Polonaise. Immer wieder setzt sie an, angeführt vom alten Schiffer Wulkow, immer wieder kommt der schrille Trupp urück, von hinter der Bühne, von draußen; das will und soll nicht enden. Natürlich ist das eine der üblichen Applausordnungen des Herbert Fritsch und doch ist es auch ein Hinweis, wie man diesen Abend auch verstehen kann, wenn man denn gewillt ist, ihn für mehr zu halten als "billigen Klamauk" (so ein Ruf aus dem Publikum in die Stille vor dem Schlussapplaus).

Hauptmann, so lässt sich auf dem Programzettel, ginge es nicht um eine geschlossene Handlung, im Gegenteil, er stünde dieser sogar feindselig gegenüber. Die Handlung des Biberpelz beginnt schon vor dem Stück und endet, wenn überhaupt, langenach dem Schlussvorhang. Es geht um eine Serie von Gaunereien, deren Ende nicht in Sicht ist. Wir kommen einfach irgendwann dazu und gehen dann auch wieder. Was auch immer sein mag, das Fritsch seinen Hauptmann bedeuten lassen will, es geht immer weiter, es ist nie vorbei, wie die Schlusspolonaise.

Es ist ein schriller, überdrehter, auch abgedrehter Biberpelz, den der ehemalige Volksbühnen-Schauspieler in Schwerin auf die Bühne gezaubert hat. Die schroffe, düstere Verzweiflung ohne den Trost der Menschlichkeit, der harte Naturalismus, der so oft mit Hauptmann assoziiert wird, er hat hier keinen Platz. Herbert Fritsch nimmt die "Diebskomödie" (so der Untertitel des Stücks) wörtlich und dreht die Schraube noch ein bisschen weiter. Zu einer grellen Farce, der auch der letzte Funken Realismus ausgetrieben wird von Beginn an. Die Schauspieler brüllen im Chor die Szenenanweisungen Hauptmanns, begleitet von comichafter Gestik und Mimik, wären der Zuschauer einen kahlen Raum mit beweglicher Wand sieht, ein rechteck aus bunter Blümchentapete mit Goldfransen (die später sogar einmal in wilder Drehung Gotscheffs gelbe Perser-Wand parodieren darf).

Die Figuren sind karikaturenhaft vereinfacht gezeichnet, in Konstümierung, Makeup wie in Bewegungen und Gesten. Expressionistisches Gezappel, weit aufgerissene Augen und Münder, verzerrte Gesichter: Subtilität ist Fritschs Sache nicht und will es auch nicht sein. Die Figuren sind Typen, jeder steht für einen Aspekt menschlicher Vielfalt, vor allem aber auch für eine Rolle in der Gesellschaft: der Vertreter der Obrigkeit, der sein bisschen Macht immer wieder beweisen muss, in erster Linie sich selbst, der arrogante und doch in ständiger Verlustangst erstarrte Reiche, der tumbe sich unterdrücken lassende Arbeiter, der schmeichelnde Speichellecker, der aasige Denunziant.

Gut kommt keine dieser erstarrten Figuren weg, Bewegung, vielleicht auch Hoffnung verkörpern wie so oft bei Hauptmann ausschließlich die Frauen. Allen voran Mutter Wolffen, eine gerissene Diebin und Manipulateurin,die aber ganz ihrem Namen verpflichtet bedingungslos ihr Rudel, will heißen ihre Familie zusammenhält und beschützt. Auch sie entgeht natürlich der Karikaturisierung nicht, den Produkt der deformierten Gesellschaft, die Fritsch beschreibt, ist auch sie.

Immer wieder lässt er seine Figuren erstarren, er malt Bilder mehr als dass er Theater spielen lässt. Es sind zumeist Gruppenanordnungen, zu denen er seine Tableaus ordnet. Am Anfang stehen alle Figuren eng zusammen, eine homgene Gruppe, vereint in Angst vor dem im ersten Satz des Abends adressierten Hauptmann, und in Entschlossenheit, die eigene Existenz zu verteidigen. Später finde sich die Gruppe (fast) wieder, da umschlingt sie jedoch ein Seil, die Gesichter erstarrt in Angst. Der Amtsvorsteher steht jetzt außen, ein sadistischer Dompteur, ein Sinnbild der Macht. Wenig später hat sich die Gruppe aufgelöst, der Vorsteher gehört wieder dazu, denn jetzt haben sie einen neuen gemeinsamen Gegner, ein Opfer diesmal.

Immer wieder stehen sich kleine Gruppen gegenüber, zuweilen auch Einzelpersonen. Die Regel bei Fritsch: Je höher jemand auf der sozialen Leiter steht, desto isolierter ist er. Die Kerngruppe der Familie Wolffen, sie wird kaum auseinandergerissen. Und so ist es auch folgerichtig, Mutter Wolffen irgendwann als eine Art Madonna hinzustellen, umgeben von ebenso zweifelhaften Heiligen.

So klamaukig das wirkt, so schrill-überzogen das gespielt ist, Fritsch bringt hier gesellschaftliche Mechanismen auf den Punkt, indem er sie bis zur Kenntlichkeit verzerrt. Wer über die zuweilen doch recht platten Wortspiele und die doch trotz gerade 80 Minuten Dauer spürbaren Längen hinweg-und durch sie durchsehen kann, dem bietet sich eine ins Extreme weitergesponnene Gesellschaftsparodie. Ob oben oder unten: Die Zwänge, welche die gesellschaftliche Mechanismen dem Individuum auferlegen, deformiert dieses in jedem Fall, zeigt uns Fritsch. Und wenn das so amüsamt geschieht, kann man sich dieser Wahrheit gern auch einmal stellen. Oder man schließt sich vergnügt der Polonaise an.

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