November 18, 2010

Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper, Berliner Ensemble (Regie: Robert Wilson)

1998 hat er zum ersten Mal hier inszeniert, seitdem kam er immer wieder: Den amerikanischen Theatermagier Robert Wilson und das Berliner Ensemble verbindet mittlerweile schon eine Langzeitbeziehung. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis Wilson Brecht inszenieren würde, den Gründer und bis heute Übervater des Hauses. Und welches Stück eignete sich besser als die Dreigroschenoper für einen Regisseur, der stets die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Bestandteile des Theaters propagiert - Text und Musik, Licht und Bühne. All diese sollen ihre eigene Sprache entwickelt, aus ihrem Zusammenspiel entsteht dann das einzigartige Theatererlebnis, mehr als die Summe seiner Teile. Wilson sieht sich darin bverwandt mit Brecht, dem Erfinder des epischen Theaters, dem Überschreiter von Grenzen zwischen Sprech- und Musiktheater, dem nach einer Einheit, nicht einem Nebeneinander Suchenden.

Doch der Vorhang ist noch nicht gehoben, die Bühne verdeckt von einer Wand voller ineinander verschlungener lichtbesetzter Kreise, da ist klar, dies ist zu allererst ein Wilson-Abend. Die weißgeschminkten Gesichter, die artifiziellen Bewegungen zwischen Puppenspiel und Karikatur, zwischen Expressionismus und Groteske, die Schwarz-Weiß-Ästhetik, die zwischen Zwanzigerjahre-Etertainment à la Cabaret und avantgardistischem Stummfilm schwankt: Das ist in erster Linie Wilson und noch lange nicht Brecht.

Und so stammt das Figurenarsenal aus dem Wilsonschen Universum: Karikaturenhafte, eindimensionale Charaktere mit grotesk überzeichneter Gestik, die sich jeglicher Psychologisierung verweigern - da ist Wilson nah bei Brecht. Sie bewegen sich marionettenhaft über die Bühne, die Wilson diesmal vor allem mit Leuchtstäben ausgestattet hat. Verschiebbare Quadrate aus vertikalen und horizontalen Stäben charakterisieren das Reich des Bettlerausstatters Peachum, ein großflächiges Dreieck, das später den Weg freimacht für einen blassblauen Himmel mit Mond, die Zuflucht Mackies und Pollys, ein paar vertikale Stäbe vor schwarzem Grund das Gefängnis.

Überhaupt ist vieles hier düster, weißes Licht auf Scharz die dominierende Farbwahl. Das ist dem Sujet angemessen und bleibt doch bloße Behauptung. Denn natürlich findet Wilson seine grandiosen Tableaus - sei es in der Spelunke der Huren oder in der abschließenden Galgenszene. Zwischendurch wähnt man sich fast im Musical, zu sehr erinnern die Gruppenszenen an die Masseninszenierungen am Broadway. Der Weg von Wilsons Brecht zu Les Misérables ist hier nur noch kurz.

Es gelingt Wilson eben nicht, eine eigene Sprache für sein Stück zu erschaffen, die Verbindung, aber auch Konfrontation visueller Poesie mit der des Textes, wie sie seine Bearbeitung von Shakespeares Sonetten am gleichen Haus zumindest teilweise auszeichnet, sie fehlt hier. Und das liegt vor allem daran, dass Wilson seinen Stil über das Stück stellt und dieses im Wilson-Look ertrinkt. Der sozialkritische Unterbau, der existenzielle Kampf, der immerwährende Konflikt zwischen Arm und Reich, von dem Brecht erzählt, sie gehen in Wilsons Hochglanz-Optik unter. Hier darf nichts arm, schäbig oder schmutzig sein.

Und so bleiben schöne Bilder ohne Botschaft - und kurze Momente, die allesamt den Schauspielern gehören. Stefan Kurts schmierig-stolzer Mackie, Axel Werners naiv-melancholischer Tigerbrown, vor allem àber  Jürgen Holtz' selbstbewusst-herrisch-karikaturesker Peachum bleiben im Gedächtnis. Die Krone gebührt jedoch Angela Winkler, deren Jenny aus der Welt und aus dem Stück gefallen scheint und sie als einzige andeutet, auf welchen Untiefen dieses Stück eigentlich gründet. Für Brecht imagined by Wilson ist das etwas wenig.

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