November 11, 2010

Eugene O'Neill: Ein Mond für die Beladenen, Maxim-Gorki-Theater (Gorki Studio), Berlin / Schauspielhaus Bochum (Regie: Armin Petras)

Irgendwann während dieser gut 90 Minuten stehen Anja Schneider und Christian Kuchenbuch auf Stapeln von Sperrhulz-Quadraten, die zuvor die Bühne bedeckt hatten, und tasten sich unsicher an eine Liebeserklärung heran. Halb gelingt sie, halb bleibt sie im Versuch stecken, endet sie im Frage-, nicht im Ausrufezeichen. Es ist der vielleicht einzige Moment wirklicher Nähe, den O'Neill seinem düsteren Stück über Armut und Alkoholismus, vor allem aber über verletzte, seelisch versehrte und verkrüppelte Charaktere erlaubt. In Armin Petras Inszenierung ist dies die einzige Szene, die keine physische Nähe zulässt, ein Zusammensein unmöglich macht. Bei O'Neill wie bei Petras ist den Lebens- und Liebessuchenden von Beginn an der Misserfolg gewiss - es gibt nur, so heißt es schon zu Beginn, diese einzige mondklare Nacht, mehr ist es nicht, das sie teilen können. In dieser kurzen Nähe ist ihre Unmöglichkeit bereits präsent. Ein einfaches Bild - und doch ein äußerst eindringliches.

Leider bleibt es dabei, handelt Petras den Rest des Stücks doch eher holzschnittartig ab. So blendet er den politsischen Unterbau fast komplett aus, ein paar Sentenzen zum Klassenkampf sorgen eher für Belastigung. Es geht hier weniger wie bei O'Neill um den Einbruch existenzieller Ängste in die Privatheit, um tragische Interferenzen beider Sphären - der drohende Verlust der Familienfarm ist hier eher Beiwerk, das der Geschichte der nicht Zueinander-Finden-Könnenden etwas Würze verleiht. Und so irrt Thomas Azenhofer als Vater etwas verloren durch die Szenerie, spielt ein paar Lieder auf der Gitarre, ist aber eher schmückendes Beiwerk. Jim und Josies Geschichte steht im Mittelpunkt, alles andere ist Begleitrauschen.

Das mag als Konzentration aufs Wesentliche gemeint sein, nimmt dem Stück aber viel von seiner Kraft. Denn es ist eben nicht nur eine unmögliche Liebesgeschichte, es ist auch ein Kampf der großen Gegensätze - arm und reich, korrupt und ehrlich, mächtig und machtlos. All dies geht über weite Strecken unter, ebenso wie Jims persönliche Traumata. Der "wandelnde Tote", als der er bei O'Neill erscheint, ist er hier nicht, dazu ist er zu sehr Karikatur.

Und doch driftet er Abend nie ganz in Langeweile und völlige Belanglosigkeit ab - und das verdankt er Anja Schneider. Wie sie vom grenzdebilen groben Bauerntrampel zur desillusionierten Pragmatikerin wird, wie sie zwischen Verzweiflung und Hoffnung wechselt und sich am Ende der Wahrheit stellt, ohne Beschönigung, ohne sich ihr zu entziehen, ist faszinierend zu beobachten. In seinen besten Momenten ist Petras O'Neill spannendes Schauspielertheater. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

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