November 25, 2010

spielzeit'europa - Un Tramway nach Tennessee Williams, Odéon-Théâtre de l’Europe Paris (Regie: Krzysztof Warlikowski)

Am Anfang, die Bühne ist noch dunkel, nur ein einzelnes Licht erhellt eine einsame Figur auf einem Barhocker, auf einer verglasten Galerie im Bühnenhintergrund, die Beine gespreizt. Sie rezitiert einen Kinderreim, irgendwo im Dreieck zwischen Laszivität, Unsicherheit und Unschuld. Ein Bild der Einsamkeit, der fortschreitenden Vereinsamung, der Einkapselung in sich selbst. Eion Bild, in dem die weitere Geschichte bereits vorweggenommen ist. Der Kinderreim wird am Ende wiederkehren. Stanley Kowalski wird ihn sprechen, um Blanche, die längst in sich gefangen ist, zu beruhigen, bevor sie weggebracht wird, in die Psychiatrie.

Regisseur  Krzysztof Warlikowski erzählt Tennessee Williams Drama konsequent aus der Perspektive von Blanche, sie ist der Dreh-, Angel- und Mittelpunkt und später die Leerstelle, über die sich alles andere definiert. Das ist auch folgerichtig, inszeniert er das Stück doch als Studie über Einsamkeit, über Sehnsüchte und ihr Absterben in der Unmöglichkeit echter menschlicher Beziehungen.

Und er hat in Isabelle Huppert eine Blanche, die das ganze Spektrum dieser Figur, die hier strahlende Symbolkraft hat, ausloten und ausspielen kann. Sie wechselt scheinbar mühelos zwischen Hysterie und Resignation, Kämpfertum und Selbstaufgabe, Unsicherheit und Selbstbewusstsein, Lebenswille und tiefster Verzweiflung, Stärke und Verletzlichkeit, bis sie am Ende, in sich zurückgezogen, in Erstarrung endet. Huppert macht aus dieser Blanche ein Symbol der Vereinsamung, das über die Figur hinausreicht und diese doch nie verrät. Un Tramway ist oim besten Sinne des Wortes Schauspielertheater und es hat eine Hauptdarstellerin, die die Möglichkeiten, die sich ihr bieten, restlos auslotet, ohne es zu einer narzisstischen One-Woman-Show werden zu lassen.

Sie steht dabei für das gesamte Personal dieses Stücks, denn Warlikowski zeigt ohne Ausnahme jeden als vereinsamten, als Insel, der nicht imstande ist, Brücken zu den anderen zu bauen. In einem der vielenen Einschübe, die die Spielhandlung immer wieder unterbrechen, spottet Renate Jett über die Auffassung, Liebe bedeute, Kompromisse einzugehen und spricht dabei ein Grundmotiv des Abends an. Denn das, worin sich Blanche von den anderen Figuren Unterscheidet, ist nicht ihre Isolation, ihre Einsamkeit. Das sind alles einsame Menschen, deren Sehnsüchte, so noch vorhanden langsam absterben. Auch Kowalski ist nicht mehr der einst von Brando verkörperte, starke, von archaischer Kraft erfüllte wilde Mann, er ist ein Melancholiker, ein Einsamer, dessen Gewalt ein Ventil der Angst vor dem Alleinsein ist.

Nein, was Blanche von den anderen unterscheidet, ist ihr Unbedingtheit, ihre Weigerung, die Kompromisse einzugehen, die Abmachungen zu treffen, die es den anderen ermöglicht, ein vereinbartes Nebeneinander so zu leben, dass es als Miteinander erscheint. Ein wirkliches Miteinander kann es hier aber nicht geben. So ist Blanche vielleicht nur die einzig Konsequente. Und so behält sie am Ende ihre Würde, wie die anderen, die einen anderen Weg gegangen sind. Es gehört zu Warlikowskis Verdiensten, dass er niemanden opfert, niemanden vorführt.

Kongenial auch die Bühne von Malgorzata Szczesniak: Ein langer Glasriegel nimmt die gesamte Breite ein, wird vor und zurückgeschoben, unter ihm eine Bowlingbahn. Das wirkt edel, elegant, wie Blanche und ihre Klaidung, aber auch kalt, unpersönlich, nüchtern, abweisend. Ein schönes Gefängnis, aber ein Gefängnis nichtsdestotrotz. Hier gibt es keine Wärme, nicht in der Ausstattung, nicht in den Farben. Schwarz dominiert, am Ende trägt Blanche blau, aber da leuchtet, da lebt nichts.

Dazu trägt auch die Musik bei, die fast ohne Unterbrechung zu hören ist, ein meist ruhiger, trauriger Fluss, der laut wird, wenn Blanche ausbricht. Sie untermalt, sie stört nicht, wie so oft. Das gilt auch für das Video, das im Bühnenhintergrund versteckte Szenen zeigt, aber auch Nahhaufnahmen der Gesichter. Nichts an dieser Inszenierung ist aufdringlich, alles trägt dazu bei, die Grundstimmung des Verlorenseins, der unentrinnbaren Einsamkeit, zu schaffen und aufrechtzuerhalten.

Wenn der Abend eine Schwäche hat, liegt sie in den schon erwähnten Einschüben. Wenn Renate Jett scheinbar endlos eine Sage rezitiert und singt, wenn die biblische Gesichte der Salomé erzählt wird, wenn Jett wiederholt Liedgut der Popgeschichte zum besten gibt, trägt das wenig zum Geschehen bei, sondern unterbricht den Spielfluss, stört den Rhythmus,sorgt für unnötige Längen. Und ist angesichts der Naturgewalt Huppert und der sonst sehr stimmigen Inszenierung nur ein kleiner Schönheitsfehler.

1 comment:

  1. Toller Bericht - überhaupt ein sehr interessanter Blog! Weiter so!

    Ludwig

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