September 30, 2010

Jean-Luc Godard: Die Chinesin, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: Dimiter Gotscheff)

Schön anzusehen ist das ja: eine weite Bühne voller drehbarer gelber Segel, ein rotes Transparent, später rollt sich noch eine riesige blaue Stoffbahn von der Decke hinab. Die drei Primärfarben bilden das visueelle Grundgerüst wie schon in Godards Film, dessen "Übermalung" Dimiter Gotscheff und sein Bühnenbildner, der Maler Mark Lammert, hier versuchen. Die Farben stehen für die größtmögliche Reduktion, aus ihnen kann jede andere Farbe entstehen, mit ihnen ist alles möglich.

Gotscheff ist ja ein Meister der Reduktion, er schafft immer wieder klare, einfache, zentrale Bilder und oft sind es Wände, Mauern, die trennen und durch die hindurch sich etwas Bahn bricht. Der Nebel in Iwanow, die schon fast legendäre gelbe Wand in den Persern, nun also eine Reihe von Stoffwänden, von denen jedoch nur die gelben Segel eine echte dramaturgische Funktion haben. Zwischen ihnen irren die namenlosen Figuren umher, hinter ihnen verstecken, in ihren verlieren sie sich, aus ihnen quellen sie hervor.

Godards Film war eine Versuchsanordnung, fast dokumentarisch sollte er sein, über eine Gruppe junger Menschen, die Marxismus-Leninismus spielten, "wie Kinder, die in den Ferien versuchen, ein Indianerzelt zu bauen", so Godard in einem im Programmheft zitierten Text. Man redet über das Handeln, man bastelt an Theorien, aber man handelt nicht. Vor allem aber wird zitiert - von den Figuren, deren Sätze kaum jemals ihre eigenen sind, aber auch von Godard selbst, schließlich ist sein Lieblingssujet das Kino selbst.

In Gotscheffs Bearbeitung stehen die Zitate nun allein, es gibt nichts mehr, das zitiert werden könnte oder auf das es sich lohnte sich zu beziehen. Gotscheff bedient sich nicht nur bei La Chinoise, sondern auch bei anderen Godard-Filmen, doch ein Bedeutungsrahmen ergibt sicht nicht, er ist vielleicht auch nicht gewollt.

Und so ergibt sich eine Nummernrevue der Monologe. Es geht um Terrorismus, gesellschaftliche Utopien, um Sex, philosophische Erklärungsmuster und vieles mehr. Bald fließt alles ineinander, was gesagt wird, ist nicht mehr von Bedeutung, nur dass geredet wird, zählt. Und doch bleibt der Eindruck, es ginge noch um etwas, doch worum erschließt sich nicht. Stattdessen entsteht eine Beliebigkeit, die das Interesse erschlaffen lässt und in Langeweile mündet.

Die Versatzstücke verbiden sich nicht, eine Richtung ist nicht zu erkennen, einen Grund für das, was da aufgeführt ist, scheint es nicht zu geben. Wozu das Ganze? Geht es noch um etwas? Findet hier noch ein Diskurs  statt? Wo immer das hinzielen sollte, es läuft ins Leere, das von Marie-Lou Sellem gelangweilt berichtete sexuelle Abenteuer hat die gleiche Bedeutung wie das Gerede über gesellschaftliche Utopien. Aneinadergereihte Texte, die mehr Geräusch sind als dass sie Sinn vermitteln.

Die wenigen Momente, in denen so etwas wie Bewegung entsteht, gehören fast ausschließlich Sebastian Blomberg, der als einziger nicht in Primärfarben gekleidet ist und den Grübler, den Zweifler, den Suchenden geben kann. Wie er verschiednenste Arten des Selbstmords - oder des Selbstmordattentats? - pantomimisch und parodistisch durchspielt, wie er in einem Duett - oder Duell? - mit Max Hopp seinen Opferwillen kundtun soll und sein roboterhaftes Nachsprechen von einer zutiefst menschlichen Verzweiflung erstickt wird, oder wie er versucht, Lenin zu rezietieren und die Worte in einen physischen Kampf mit seinem Körper und seinem Sprechapparat eintreten: Das alles deutet an, wieviel mehr in diesem Abend gesteckt hätte, wenn man der bei Godard durchaus vorhandenen Substanz eine Richtung und Raum zum Atmen gegeben hätte. So aber bleibt nicht viel mehr als gähnende Leere und ein paar hübsche Bilder.

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