February 06, 2011

Sophokles: Antigone, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Friederike Heller)

Spricht man über diesen Abend, stellt sich zunächst eine Frage: Darf eine antike Tragödie Spaß machen? Darf man sich dabei unterhalten fühlen, lachen, Vergnügen empfinden? Friederike Hellers Antigone beantwortet diese Frage mit einem emphatischen ja und zumindest die Mehrheit des Publikums erklärt sich bereit, ihr zu folgen. Wie schon in Der gute Mensch von Sezuan arbeitet Heller mit der Band Kante zusammen, zwei Schauspieler vervollständigen das - frauenlose! - Ensemble.

Dabei tut Heller zunächst das Naheliegende: Sie nähert sich dem Stoff auf der Familienebene. Das ist nicht verwunderlich, ist doch nirgends in der antiken Tragödie das unentrinnbare tragische Schicksal so sehr mit dem Familiären verknüpft wie in der Themenwelt rund um Ödipus, vielleicht noch bei den Atriden. Zudem fungierte Ödipus ja auch als einer der Geburtshelfer der Psychoanalyse, und so ist es nicht verwunderlich, dass Heller die Bereiche Familie und Analyse miteinander verknüpft: in einer Familienaustellung.

Kate-Sänger Peter Thiessen gibt den Therapeuten mit selbstgewiss-kontrolliert-beruhigend säuselnder Stimme. Natürlich ist das ironisch gebrochen, überschreitend zeitweise die Greze zum Albernen, ist in hohem Maße amüsant ("Du kannst dich jetzt hinlegen, du bist erschlagen")  und eröffnet trotz - oder wegen? - alledem neue unverstellte Blicke auf das Geschehen, weitab vom heiligen Ernst des Originals und der teils in Schwülstige kippenden Romantik der Hölderlin-Fassung. Direkt und schonungslos fällt der Blick auf eine Familie, deren Selbstzerstörungswillen kein unabwendbares Schicksal braucht.

Zwei Grundregeln gäbe es im - auch aber nicht nur familiären - Zusamenleben. Erstens: Jeder hat das gleiche Recht dazuzugehören. Zweitens: Esgibt immer eine Hierarchie, der der zuerst da war, hat stets Vorrang. Knapper und präziser lässt sich Antigone kaum zusammenfassen - wenn man es denn zu allererst als familiäres Drama, oder im weitesten Sinn als Stück über das Zusammenleben von menschen begreift. Hellers Ansatz legt nahe, dass die Regisseurin genau diese Perspektive einnimmt - trotz Heidegger und Lacan im Programmheft.

Und so entfaltet sich der Konflikt der widerstrebenden Prinzipien, am stärksten in den Szenen der Familienaufstellung zu Beginn und gegen Ende des Abends. Das kann und soll, so Thiessen am anfang, schmerzhaft sein und bei allem Unterhaltungswert ist es das auch. es ist gerade die Ironie, das Nicht-Ernstnehmen des therapeutischen Brimboriums, das den Blick freilegt auf die darunter schwelenden Konflikte, auf den Kern menschlicher Beziehungen, den Heller - hier endet die Macht der Iropnie - vielleicht nicht freilegt, aber immer wieder erahnen lässt. Am stärksten vielleicht am Ende, wenn Kreon (Tilman Strauß) ganz allein auf der Bühne ist. Die Aufstellung ist vorüber und er bleict allein, mit seiner Schuld, seinen Taten, seinen Dämonen, die hier nichts Metaphysisches haben.

Natürlich lässt sich die Familienaufstellung nicht zwei Stunden lang durchhalten und Heller begeht nicht den Fehler, das zu versuchen. Und so bricht die strenge Konstruktion irgendwann auf - die Schauspieler stellen Szenen aus dem Stück dar, die Band gibt aucf der einer kozertbühne nachempfundenen Bühne den Chor, mit eigenen Vertonungen der sophokleisch-hölderlinschen Verse. Das hat Längen, streift zuweilen die Belanglosigkeit, wird aber immer wieder in den Chorpassagen zwingend. Die Musik von Kante verleiht dem Text eine neue Ausdrucksebene, die diesen mal verstärkt, mal in Frage stellt.

Am Ende steht wieder der therapeutische Kreis, ernster diesmal, von den vorangegangenen Erschütterungen nicht unberührt. Heller versucht hier keine Gesellschaftsanalyse oder -kritik, sie lässt auch lacan weitgehend außen vor und mit ihm den Ballast psychoanalytischer Überhebung. stattdessen zeigt sie familiäre und zwischenmenschliche Konstellationen, die sie immer wieder bricht und so vor der absolutsetzung bewahrt. Und das alles auf ein spielerische Weise, wie sie dem Theater eigentlich entspricht. Das ist SchauSPIEL, vielleicht nicht mehr, keinesfalls aber weniger. Ein echter Höhepunkt in dieser bislang sehr zähen Berliner Spielzeit.

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