April 11, 2010

Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug, Maxim-Gorki-Theater, Berlin (Regie: Jan Bosse)

Mit populären "Klassikern" ist das so eine Sache. Jeder hat sie schon hundertmal gelesen und auf der Bühne gesehen und weiß genau, wie sie zu spielen und zu inszenieren sind. Die haben oft über jahrhundertelange Rezeptionsgeschichte soviel Patina und staub angesetzt, dass sie unter diesen dicken Schichten kaum mehr zu erknnen sind. Und während Shakespeares Historien und Tragödien oder Goethes Faust genug Tiefe und Komplexität aufweisen, dass ein guter Regisseur hin und wieder in der Lage ist, noch eine frische Sicht auf vermeintlich Altbekanntes zu finden, fällt dies einer von jeher recht derben Komödie wie Kleists "Zerbrochnem Krug" viel schwerer. Wer ihn inszeniert, endet bald - wie kürzlich Altmeister peter Stein am Berliner ensemble -bei altbackenem, biederen Boulevardtheater.

Dabei kann leists Lustspiel viel mehr. Es bietet großartigen Sprachwitz, einen guten Schuss Anarchie, einen durchaus ernsten und gesellschaftskritischen, ja sogar revolutionären Sprengstoff aufweisenden Hintergrund und, last but not least, einige der großartigsten Charaktere der Theatergeschichte.

Jan Bosse hat den "Krug" 2006 in Zurich inszeniert und diese Inszenierung nun für das Maxim-Gorki-Theater und die Ruhrfestspiele Recklinghausen adaptiert. In seinem Ansatz hat sich Bosse konsequent für die Komik des Stückes entschieden. Ein grandioses Ensemble, in dessen Mittelpunkt der unglaublich anpassungsfähige und doch verletzliche Dorfrichter Adam Edgar Selges steht und der kongeniale Unterstützung in Jean-Pierre Cornus Gerichtsrat Walter findet. Bosses Ansatz ist spielerisch: Vor allem spielt er immer wieder mit den Erwartungen des Publikums: So beginnt die Vorstellung mit einem geschundenen und nackten Adam bereits im Foyer inmitten der auf Einlass wartenden Zuschauer, so schickt Adam die Zuschauer in die Pause, um Walter allein auf seine Seite ziehen zu können, während dieser das Publikum zum Bleiben animiert, so gibt es mehrere falsche Enden, ehe der Theaterabend, wie er es letzlich muss, beschlossen wird.

Wenn das Publikum endlich in den Saal tritt findet es sich in einer Art Gemeindemehrzwecksaal wieder, in dem die Spuren der vorabendlichen Dorfdisco schrittweise getilgt und der Ort vor den Augen der Zuschauer, die immer auch Zeugen und Gäste der Gerichtsverhandlich bleiben, zum Gerichtsraum wird, der übrigens sicher nicht zufällig ein wenig an die Fernsehgerichte à la Barrbara Salesch erinnert. Dieses Speil mit den Konventionen des Theaters und der Grenze zwischen Bühne und Punlikum ist nicht neu und hat doch selten so leicht und unideologisch stattgefunden. Hier geht es nicht um einen Diskurs irgendeiner Art, sondern um das spure Spiel, die Wurzel und der Kern jedes Theaters.

Denn was hier passiert, ist pures Lust-Spiel, ganz im Sinne Kleists. Das ist immer komisch und manchmal schamlos albern, das heißt albern, ohne dass sich irgendjemand dieser Albenheit schämt. So zum Beispiel, wenn Erbrochenes vom Vorabend zu multiplen Unfällen führt, wenn Marthe Rull (großartig: Franziska Walser) die Geschichte des Krugs mittels Overhead-Projektor doziert oder wenn sich Matti Krause als Ruprecht in seinen Zeugenaussagen bei der Mimik und Gestik eines Mario Barth bedient.

Bosse interessiert sich nicht für den gesellschaftlichen Unterbau oder für die großen Themen wie Macht versus Ohnmacht, Korruption der Mächtigen gegen das Leid der Entmachteten. Er iszeniert einen Schwank, und das mit einer Frische, leichtigkeit und Dynamik, dass einem als zuschauer ganz schwindelig wird. er reduziert den "Krug" konsequent auf das Schwankhafte und befreit ihn damit von der Schwere jahrhundertelangen interpretatorischen Ballasts. Es gab einmal eine zeit, da wollte und sollte Theater nur unterhalten. Jan Bosse zeigt, dass Regietheater auch dies vermag, ohne dumpf zu werden. Die Patina ist ab, das Rennen um die ultimative "Krug"-Interpretation darf beginnen.

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