April 07, 2010

Kean ou Désordre et Genie Comédie en cinq actes par Alexandre Dumas et Die Hamletmaschine par Heiner Müller, Volksbühne, Berlin (Regie: Frank Castorf)

Angesichts der Wiederaufnahme des "Kean" habe auch ich meine Castorf-Allergie für einen Abend zur Seite gelegt. Das Fazit: Ein angesichts seiner Länge erstaunlich kurzweiliger Abend mit einem Hauptdarsteller, der verhindert, dass er irgendwann vollends auseinanderfällt. Alexander Scheer ist phänomenal: Er schreit, rennt, springt, tanzt und ist trotzdem nie nur Clown, nur Show, nur Effekt. Wenn der Abend auch stillere, ernsthaftere Nuancen enthält, ist das vor allem Scheer zu verdanken. Kurz gesagt: Die Inszenierung funktioniert, wenn er auf der Bühne ist. Ist er es nicht, zerfällt sie zumeist in Beliebigkeit und Albernheit.

Das hat natürlich auch mit Castorfs Arbeitsweise zu tun: Castorf inszeniert nicht einfach Dumas Stück über den legendären und skandalumwitternden Schauspieler, er kombiniert den Text mit Müllers "Hamletmaschine" und Texten Lothar Trolles zur industriellen Revolution in England. Vor allem die Behandlung des Müller-Texts zeigt das Problem des Abends.

Zweimal wird er vor der Pause zitiert. Das erste Mail durch Kean/Scheer, der daraus eine Auseinandersetzung mit seinem Beruf, seiner Berufung vielleicht und seiner Rolle - im Leben wie auf der Bühne - macht. Hier gelingt es, mit dem Text dem Charakter Kean eine zusätzliche Dimension, ja Tiefe zu geben, die ihn und auch seine späteren Handlungen, in anderem Licht erscheinen lässt. Das zweite Auftauchen ist eine gelungene Parodie, vorgetragen von jungen Damen, die Kean aufsuchen, um Schauspielerinnen zu werden. Dabei hätte man es bewenden lassen können. Nicht jedoch Castorf: Er sucht die ernsthafte, vielleicht auch ideologische Auseinandersetzung mit Müller, jetzt völlig ohne Scheer. Und plötzlich ist es ein Brüllen und Ringen in Holzhütten, das ernst genommen werden will, aber keinerlei Sinn zu vermitteln vermag. Theatersport, Deklamationstheater, wie schon in der ersten Szene, als die Figuren ihre Texte aufsagen, gewollt künstlich, neben und nicht zueinander.

Der Abend ist dann am stärksten, wenn man ihn Theater sein lässt. Tragödie, Komödie, Farce, Boulevard - egal! Die Castorfschen Zutaten - Trolles Texte, Frau Keans Verwandlung in Nico, Keans Telefonat mit Uschi Obermaier - geschenkt. Wenn Castorf die Szenen laufen lässt und die Darsteller spielen, entfaltet sich plötzlich ein Schauspiel über Rollen und die Wahrheit dahinter, über gesellschaftliche und private, auch über Klassenunterschiede, über das Festhalten von Gesellschaften jeder Art an Rollenbildern. Das mag nicht sonderlich originell sein, bietet aber in seinen besten Momenten das, was die Volksbühne will: Theater mit Relevanz. Nicht mehr, nicht weniger.

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