May 02, 2010

Bertolt Brecht: Die heilige Johanna der Schlachthöfe, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Nicolas Stemann)

Brecht ist in: Land auf, land ab wuchten Theater den Meister der Kapitalismuskritik auf die Bühne, um abzutasten, ob er nicht Antworten haben könnte auf die aktuelle Krise des Kapitalismus. Auch das Deutsche Theater macht da keine Ausnahme: Hat Michael Thalheimer nit seinem Puntila die Frage strikt verneint und aus Puntila einen Beckettschen Verlorenen gemacht, fällt die Antwort Stemanns sehr viel komplexer aus. Das liegt vor allem daran, dass er nicht an Brecht arbeitet, sondern mit ihm.

So nutzt Stemann Brechtsche Techniken, um sich dem Kern seiner "Johanna" zu nähern. Schon der Beginn zeigt das: Drei Stühle, darauf Schauspieler mit Textbüchern in der Hand, diebeginnen, den Text zu rezitieren. Dabei kommt es zum Streit um die Rollen: Jeder will Mauler sein, da kann es schon handgreiflich werden. Wer es zum Mikrofon schafft, hat gewonnen, wenn auch nur kurz. Hier wird verfremdet, was das Zeug hält, lautet die Botschaft.

Auch Brechts Vorliebe, Botschaften in Songs zu packen, greifen Stemann und sein Komponist Thies Mynther auf, mit Hilfe gar eines zwanzigköpfigen Chors. Wie oft bei Brecht sorgt die Musik für Struktur und Rhythmus des Stücks. Auch der Einsatz von live erstellten Videos zur Illustration ist in Brechts Sinne, neigte er doch durchaus zum Plakativen.

Stemann dekonstruiert Brecht also nicht, er überträgt Brecht mit Brecht. Das ist kein Naturalismus, Figuren entstehen, lösen sich auf, multiplizieren sich. Da wechseln die Maulers oder sind plötzlich drei, da wir die Arbeiterwitwe zum kommunistischen Agitator, oder einer der Maulers zum Missionar oder zum egoistischen Arbeiter. Das immer wieder behauptete Gegeneinander von Arm und Reich, Oben und Unten wird gleichzeitig aufgelöst und bestätigt. Immer rasanter wandelt sich das flexible Bühnenbild, Orte wie Menschen werden austauschbar und erhalten dann doch wieder ihren festen Platz.

Spätestens hier trennen sich Stemanns und Brechts Wege und beantwortet sich die Ausgangsfrage: Brecht sieht im Duell von Maulers profitgetriebenem Opportunismus und Johannas christlich grundiertem Moralismus eine dritte Kraft, einen möglichen Ausweg: den Aufstand der Unterdrückten, die - kommunistische - Umwälzung der Verhältnisse.

Bei Stemann gibt es diese Gewichtung nicht: Alle Wahrheiten sind gleich viel oder gleich wenig wert: Maulers, Johannas, die der Kommunisten. Das entwertet sie nicht, im Gegenteil. Antworten kann keiner geben und so endet das Stück in Johannas ebenso überraschtem wie ratlosem "Huch". Antworten auf die Krise, so sagt uns Stemann, kann Brecht vielleicht nicht geben, er kann aber - vielleicht - helfen, die richtigen Fragen zu stellen. Und das ist ja auch schon eine Menge wert.

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